Das Salz in der Suppe. Ihr seid das Salz der Erde. Heißen wir Sie willkommen mit Salz und Brot.
Es klingt elementar, es klingt wichtig. Es scheint äußerst fordernd und ernsthaft an unsere Verantwortung zu appellieren oder auch Begrüßungsriten in Molwanien, jenem imaginären Land des schadhaften Lächelns, zu beschreiben. Kurz: Es wirkt alles andere als anmutig. Kein frivoler Hauch von Zucker, keine der luftigen Assoziationen, die wir mit jenem Stoff verbinden: zuckersüßes Lächeln, Zuckerrohrprodukte (sprich: Caipirinha), Zuckerbäckerstil.
Dass dabei jedoch auf den Zuckerrohrplantagen der Tropen jahrhundertelang schwarze Sklaven bis aufs Blut ausgebeutet wurden und die Zuckerbäckerarchitektur gerade im stalinistischen Moskau der dreißiger Jahre wahre Triumphe feierten, blenden wir bei alledem geflissentlich aus. Am Ende sind wir unbeschadet aller kulturgeschichtlichen Kenntnisse doch mehr oder minder die Pawlowschen Hündchen geblieben, die nur sehen, was sie fühlen, und dann dementsprechend reagieren.
Entrücktes Lächeln und speichelfeuchte Lippen also allein bei der Erwähnung der Vokabel Zucker, dagegen inneres Erstarren beim Klang des anderen Wortes, ganz, als tauchte vor unserem inneren Auge plötzlich eine Salzwüste auf, bis zum Horizont angefüllt mit Billionen unbarmherziger weißer Körnchen. Doch was heißt hier eigentlich unbarmherzig?
Also doch: Salz und Sex
Nicht nur das altdeutsche Wort Salair, noch heute die französische Bezeichnung für Gehalt, hat quasi mineralische Wurzeln, da ein salarium in der Römerzeit jenes Salz bezeichnete, welches Soldaten und Beamte auf ihren Reisen quer durch das Imperium als notwendige Wegration erhielten. Auch das englische salacious, auf Deutsch schon weit interessanter als „wollüstig, geil“ übersetzt, leitet sich vom lateinischen salax, salzig, ab, der damaligen Bezeichnung für einen heftig verliebten Mann. Süß war es demnach, fürs Vaterland zu sterben, dagegen aber salzig, seiner Libido nachzugehen? Diese Frage beschäftigte den walisischen Psychoanalytiker Ernest Jones, Schüler und Freund Sigmund Freuds, so sehr, dass er bereits im Jahr 1912 eine gelehrte Abhandlung über die menschliche, will sagen: sexuelle Fixierung auf Salz publizierte, die nach seinen Forschungen nicht nur die Römer, sondern bereits die Griechen aus Homers und Platons Zeiten charakterisiert habe. Gänzlich irrational sei dies nicht gewesen, so Jones: Salz habe man häufig in Verbindung mit Fruchtbarkeit gebracht, da beobachtet worden sei, dass im Salzmeer lebende Fische eine ungleich höhere Zahl von Nachkommen zustande brachten als Tiere auf dem Land.
Irgendwann musste sich das Legendenhafte aber doch eingeschlichen haben. So schloss man aus der Tatsache, dass auf Salz transportierenden Schiffen massenweise Mäuse zu finden waren, auf deren Fortpflanzung ohne Paarung – es genügte anscheinend, dass Maus sich zwischen den Salzkörnern tummelte. Im alten Ägypten zog man daraus für zölibatär lebende Mönche die Lehre, jeglichen bewussten Salzgenuss strengstens zu verbieten, während der gleiche Aberglaube im mittelalterlichen Europa ins stimulierende Gegenteil verkehrt wurde – und noch heute in einigen ländlichen Gebieten folkloristischer Brauch geblieben ist: So trägt der Bräutigam in den Pyrenäen eine Prise Salz in der linken Brusttasche, was angeblich – ebenso wie die altdeutsche Tradition, Salz auf die Schuhe der Braut zu streuen – die männliche Impotenz bannen soll.
Salz als Movens der Zivilisationen
Tatsache nämlich ist, dass es nicht etwa funkelndes Gold, sondern das eher unscheinbare und nur unter ganz bestimmten Lichtverhältnissen ebenfalls gleißende Salz ist, das sich seit Urzeiten als Antriebsmotor für menschliche Gesellschaften erwiesen hat. Wobei es freilich nicht reichte, nur über Salzlagerstätten zu verfügen, aus denen erst durch technische Kenntnisse und Fertigkeiten das begehrte reine Salz gewonnen werden konnte. Forscher gehen davon aus, dass es als Erste die Ägypter waren, die um die vitale, und das heißt nicht nur Menschenleben, sondern auch Macht erhaltende Kraft des Minerals wussten. In ihrem Riesenreich, abhängig von jener schmalen Uferzone zu beiden Seiten des Nils, konnte ein einziges Dürrejahr, in welchem der Fluss nicht über seine Ufer trat, um fruchtbare Landschaft zu hinterlassen, existenzbedrohende Ausmaße annehmen. Also ließ man im Nildelta Meerwasser verdunsten, besorgte sich weiteres Salz aus eigenen, wenn auch weit abgelegenen Lagerstätten in der Wüste oder durch den Küstenhandel mit Libyen und Äthiopien, um anschließend etwas zu tun, was die damaligen Nachbarn zwar als großherrschaftliche Luxusmarotte verspotteten, heute aber als zivilisatorischer Sprung sondergleichen anerkannt wird: Ägypten wurde zum ersten Reich, das in bislang unbekanntem Ausmaß Nahrungsmittel durch Einsalzen (das heißt: durch das Entziehen von Wasser, Bakterien und Hefe- oder Schimmelpilzen) für lange Zeit konservierte und so etwa Fisch und Geflügel für die berüchtigten symbolischen „sieben dürren Jahre“ zu pökeln lernte.
Was anfangs nur zur Selbstversorgung gedacht war, entwickelte sich dann mit der Zeit zu einem veritablen Standortvorteil, so dass bereits im Jahr 2800 vor Christus Ägypter darangingen, jene quasi „künstlich behandelten“ Lebensmittel an die Phönizier und schließlich an weitere Mittelmeeranrainer Gewinn bringend zu verkaufen. Der Handel mit gesalzener Nahrung begann und sollte für die nächsten vier Jahrtausende (eigentlich bis zur Verwendung von Eisblöcken und der Erfindung von Tiefkühltruhen und Konservenbüchsen) darüber entscheiden, welches Land sich mobiler erwies als andere. Neben dem wirtschaftlichen Aspekt ließ sich Salz sogar noch für das verwenden, was bis heute hauptsächlich mit ägyptischer Hochkultur assoziiert wird: Natrun (deutsch: Natron) hieß der Ort nordwestlich von Kairo, wo man graues und rotes Salz fand – von den Ägyptern als „göttlich“ bezeichnet. Es wurde bald unverzichtbar für die perfekte Mumifizierung ihrer Verstorbenen. Während die Kelten, bis weit hinein ins 19. Jahrhundert zu Unrecht als Barbaren geschmäht, bereits versierte Salzbergwerker unter sich hatten und ihr Pökelfleisch selbst an Griechen und Römer verkauften, blieb es Letzteren vorbehalten, den Überlebensprodukten noch die verfeinerte Nuance hinzuzufügen. Um ihr Grünzeug von bitterem Geschmack zu befreien, salzten sie es: die Geburtsstunde des Salats. Manchmal, wie etwa 241 vor Christus, musste auch militärisch nachgeholfen werden, so dass am Ende des Ersten Punischen Krieges nicht nur der ewige Konkurrent Karthago besiegt, sondern auch das weizen- und fischreiche Sizilien unter römische Kontrolle gebracht war. Vereinfacht gesagt: Das Know-how des Salzens und Pökelns, die Errichtung von Salinen plus robuster Zugriffsmöglichkeit auf fischreiche Regionen – und eine Vormachtstellung war zumindest auf Zeit gesichert. Da die Salzgewinnung von der Nachbarschaft von Fischfanggründen abhing und diese quantitativ eher im Meer als in Flüssen interessant waren, entstand so nach dem Schiffbau eine zweite primär maritime Wirtschafts- und Handelskultur. Jahrhunderte nach dem Untergang des Römischen Reiches waren es dann mit Cristoforo Colombo (Christoph Kolumbus) und Giovanni Caboto (John Cabot) ausgerechnet zwei Genuesen, die auf der Suche nach Indien Amerika entdeckten – und das heißt in unserem Zusammenhang: dass sie gewaltige Kabeljaubestände an den Küsten jenes neuen Kontinents ausfindig machten. Das Spiel um die machttechnisch effizienteste Nutzung des Salzes konnte in eine neue Runde gehen.
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Marko Martin, Jahrgang 1970, lebt als Schriftsteller in Berlin. Zuletzt erschien von ihm Sommer 1990 (Deutsche Verlagsanstalt München). Aufgewachsen mit politisch korrekten Pablo-Neruda-Gedichten voller Salz, Zwiebeln etc., lernte er das Mineral erst wieder beim Schreiben dieses Essays schätzen.
Vita | Marko Martin, Jahrgang 1970, lebt als Schriftsteller in Berlin. Zuletzt erschien von ihm Sommer 1990 (Deutsche Verlagsanstalt München). Aufgewachsen mit politisch korrekten Pablo-Neruda-Gedichten voller Salz, Zwiebeln etc., lernte er das Mineral erst wieder beim Schreiben dieses Essays schätzen. |
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Person | Von Marko Martin |
Vita | Marko Martin, Jahrgang 1970, lebt als Schriftsteller in Berlin. Zuletzt erschien von ihm Sommer 1990 (Deutsche Verlagsanstalt München). Aufgewachsen mit politisch korrekten Pablo-Neruda-Gedichten voller Salz, Zwiebeln etc., lernte er das Mineral erst wieder beim Schreiben dieses Essays schätzen. |
Person | Von Marko Martin |