Warum ist das Meer so blau?

Physik und Biologie bestimmen, wie wir drei Viertel der Erdoberfläche sehen

Astronauten erschließt sich aus dem Kosmos sogleich der Charakter der Erde. Sie ist leuchtend blau, im Gegensatz zur sandgelben Venus und zum eisengesteinroten Mars. Die Ozeane der Erde machen nicht nur drei Viertel der Erdoberfläche aus, das von ihnen zurückgeworfene Sonnenlicht bestimmt auch ihre Farbe.

Aber warum sind die Meere blau? Etwa, weil sie den blauen Himmel reflektieren? Der Blick aus dem All zeigt: Nein, das Wasser muss in sich etwas Blaues haben, das weit über den Himmel hinaus strahlt. Und tatsächlich ist es sogar umgekehrt der Wasserdampf in unserer Luft, der den Himmel blau erstrahlen lässt.

Beim näheren Blick auf das Meer enthüllt sich eine schier unendliche Vielfalt an Nuancen: Stahlblau im offenen Ozean, schimmerndes Türkis in den Lagunen von Korallenriffen, mattes Blau, fast schon ein Grau unter tiefen Wolken, die schwarze Schatten auf das Wasser werfen, silberne Glitter gespiegelter Sonne, die wie kleine Kometen auf dem Wasser tanzen, dann wieder dunkles Grün, manchmal Braun wie an den Küsten von Nord- und Ostsee. Die Meere sind nicht einfach nur blau.

Blau als „Wüstenfarbe“ – der offene Ozean

Farbe ist keine physikalische Größe. Farbe ist eine Definition, die durch die Physiologie unserer Sehzellen bestimmt und nicht für alle Tiere gleich ist. In physikalischem Sinne bedeutet „Farbe“ Licht einer bestimmten Wellenlänge. Kurzwelliges Licht nennen wir „blau“, langwelliges Licht „rot“. Bienen sehen Wellenlängen und Farben, die wir nicht sehen können; ihr Farbspektrum und – könnten sie Farbeindrücke artikulieren – ihre Farben sind verschieden von den unsrigen.

Farbe entsteht durch das, was wir nicht sehen. Im weißen Licht erscheint uns ein rotes Plakat rot, weil das Material, aus dem das Plakat gemacht ist, nur das rote Licht reflektiert. Blaues, grünes und gelbes Licht aber wird absorbiert, sozusagen „verschluckt“ – Farbe ist das Zusammenspiel von Reflexion und Absorption. Im Gegensatz zum roten Plakat bestimmen zwei Prozesse die Farbe des Meeres. Da ist zunächst die Reflexion des Sonnenlichtes an der Wasseroberfläche. Sie lässt das Meer bei trübem Wetter grau erscheinen; bei niedrigem Sonnenstand hüllt sie die Wogen in goldigen Glanz.

Doch der größere Teil des Lichtes wird nicht an der Oberfläche reflektiert, sondern dringt in das Wasser ein. Das sind in Mitteleuropa bei glatter See durchschnittlich etwas mehr als 90 Prozent. Im Wasser trifft das Licht auf Wassermoleküle, gelöste Stoffe und kleine Partikel wie schwebende Sandkörner oder treibende, mikroskopisch kleine Organismen. Auch sie verschlucken dabei Licht unterschiedlicher Wellenlängen, der Rest wird in alle Richtungen reflektiert, physikalisch gesprochen: „gestreut“. Deshalb gelangt ein Teil wieder zurück an die Wasseroberfläche. Bei klarem Wetter ist es vor allem diese Lichtstreuung, die die Meeresfarbe bestimmt.

Durch die physikalischen Eigenschaften der Wassermoleküle wird kurzwelliges Licht überwiegend gestreut, langwelliges hingegen überwiegend „verschluckt“. Daher besitzt reines Wasser, gemein als farblose Flüssigkeit angesehen, einen Schimmer des kurzwelligen Lichtes: Blau. Demnach müssten, je tiefer die Wasserschicht wird, das Wasser um so „tiefer“ blau werden und tiefe Ozeane blauer erscheinen als flache Küstenmeere. In der Tat sind die zentralen Becken der tropischen Ozeane tief blau, Küstengewässer wie Nord- und Ostsee eher braun-grünlich.

Doch beruht dies nicht allein auf der Wassertiefe, denn reines Wasser gibt es im Meer nicht. Auch gelöste Stoffe und kleine Partikel beeinflussen die Farbe des Meeres – in unterschiedlichen Farb-Richtungen, da sie je nach Beschaffenheit verschiedene Wellenlängen des Lichtes „schlucken“ oder „streuen“, das reine Blau also „verwässern“.

Da die Becken der Ozeane am weitesten von Landeinflüssen entfernt liegen, ist die Konzentration gelöster Stoffe und Partikel hier besonders gering. Weil die Algennährsalze Nitrat und Phosphat seltener sind, wird ein üppiges Algenwachstum verhindert.

Die tief blaue Farbe des offenen Ozeans zeugt daher von geringer biologischer Fruchtbarkeit und wird oft als die „Wüstenfarbe“ des Meeres bezeichnet. Das blaueste Wasser befindet sich in einem relativ engen, tiefen Einschnitt in den flachen Gewässern zwischen den Bahamas und ist als „Zunge des Meeres“ bekannt geworden.


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mare No. 15

No. 15August / September 1999

Von Frank J. Jochem

Dr. Frank J. Jochem, Jahrgang 1961, war mare-Wissenschaftsredakteur. Seit April 1999 arbeitet der Meeresökologe am Marine Science Institute der University of Texas. In mare No.14 schrieb er über wirkungslose Krebstherapien mit Hai-Knorpel

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Vita Dr. Frank J. Jochem, Jahrgang 1961, war mare-Wissenschaftsredakteur. Seit April 1999 arbeitet der Meeresökologe am Marine Science Institute der University of Texas. In mare No.14 schrieb er über wirkungslose Krebstherapien mit Hai-Knorpel
Person Von Frank J. Jochem
Vita Dr. Frank J. Jochem, Jahrgang 1961, war mare-Wissenschaftsredakteur. Seit April 1999 arbeitet der Meeresökologe am Marine Science Institute der University of Texas. In mare No.14 schrieb er über wirkungslose Krebstherapien mit Hai-Knorpel
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