Wal-Essen ohne schlechtes Gewissen

Eines der vornehmsten Fischrestaurants Reykjavíks hat auch eine Rubrik „Fleisch“ auf seiner Speisekarte. Dort findet sich eine ganz besondere Delikatesse

Es dürfte auf der Welt nur einen Ort geben, wo selbst ein Greenpeaceaktivist bedenkenlos Walfleisch essen kann: das Restaurant Prír Frakkar – drei Mäntel – an der Baldursgata 14 etwas abseits vom Zentrum Reykjavíks. Es gehört einem angesehenen Traditionalisten unter Islands Spitzenköchen, Úlfar Eysteinson, und ist ein Tip für Eingeweihte.

Der Weg vom Zentrum aus ist nicht weit, aber steil. Die Gäste, die das Restaurant dennoch aufsuchen, sind selten Zufallspassanten. Sie hätten ohnehin Pech, meist sind die 42 Plätze am frühen Abend ausgebucht und bleiben es bis zur Polizeistunde.

Die Stammkundschaft rekrutiert sich aus dem soliden Bürgertum, ist Mitte 30 und darüber. Es herrschen enge Verhältnisse, die Einrichtung besteht aus kleinen Tischen und unbequemen Stühlen. Aber Liebe geht bekanntlich durch den Magen, und so hält sich das Prír Frakkar seine Verehrerinnen und Verehrer mit dem bei der Stange, was aus der kleinen Küche auf die Teller wandert: Fisch vom Feinsten. Wer im Prír Frakkar etwas anderes wünscht als Muscheln, Garnelen oder Fisch, bekommt das zwar, ist aber selber schuld.

Fisch über alles! Und doch lohnt es sich, der Rubrik „Kjötréttir“, sprich Fleisch, die ganze Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Hier findet man „Hwalkjöts poparsteik med poparsósu“, zu deutsch: Wal-Pfeffersteak in Pfeffersauce. Sich zu wundern ist erlaubt, und das tun die meisten, wenn sie nicht voller Entsetzen das Restaurant wieder verlassen, empört über die Barbaren im Norden, welche noch immer nicht begriffen haben, daß die größten Säugetiere der Welt nicht auf den Teller sondern ins Meer gehören. Die Empörung ist zweifellos berechtigt, und doch ist sie in diesem Fall fehl am Platz. Des Rätsels Lösung liegt ganz einfach im Alter des Steaks, beziehungsweise des Tiers, von dem es stammt.

1989 wurden vor Island offiziell die letzten Wale gefangen. 40 Tonnen Walfleisch sollten damals nach Deutschland exportiert werden. Greenpeaceaktivisten blockierten dort die Fracht, und als schließlich das Moratorium kam, wurde das Schiff samt seiner ganzen Fracht nach Island zurückgeschickt. So schenkte der Staat das Fleisch einem Mann, bei dem man es gut aufgehoben glaubte: Úlfar Eysteinson. Exklusiv und als einziger erhielt er die Erlaubnis, das Walfleisch auf seiner Speisekarte zu führen; nur solange, bis die 40 Tonnen aufgebraucht sind. So ist das Restaurant eine Art Museum für Gaumenfreuden.

Wie schmeckt nun aber ein sieben Jahre lang gelagerter Wal? „So gut wie am ersten Tag nach dem Fang“, versichert der Kenner, Chefkoch Byngar. Er muß es wissen, arbeitet er doch schon seit 1988 mit Eysteinson zusammen. Moderne Gefrier- und Vakuumtechnik machen’s möglich. Was aus der Tiefkühltruhe kommt, ist so bedenkenlos zu konsumieren, daß Eysteinson den Wal auch – und das ist die eigentliche Delikatesse – als Sushi anbietet.

Walfleisch übertrifft als Sushi beispielsweise Tunfisch an Geschmack und Festigkeit bei weitem. Als Steak leidet es etwas unter der Sauce. Müßte nicht sein, denkt man. Es bleibt aber immerhin soviel Geschmack erhalten, daß die Feststellung erlaubt ist: Vergleichbares gibt es nicht.

Es wäre nicht verwunderlich, würde sich Úlfar Eysteinson mit seinem inzwischen auf rund 26 Tonnen zusammengeschrumpften Walfleischvorrat (um durchschnittlich 30 Kilo pro Woche nimmt er ab) eine goldene Nase verdienen. Aber der Wal gehört zu den günstigeren Menüs auf der Karte. Der Chefkoch nennt den Grund: Jedem solle es wenigstens einmal im Leben gegönnt sein, etwas zu kosten, was er sonst voraussichtlich nie mehr essen wird.

Wer seine Skrupel trotz allem nicht überwinden kann und auf den Walgeschmack verzichten will, dem bleibt die Gelegenheit, im Prír Frakkar eine Küche zu kosten, die sich ansatzweise traditionell isländisch gibt. Ihr Grundprinzip: Einfachheit. Ausgefallene Gewürze werden nicht verwendet. Alles soll seinen eigenen Geschmack behalten, lautet Eysteinsons Philosophie. Was die isländische gegenüber anderen Nationalküchen auszeichnet, ist die Vielfalt und Ausgefallenheit der Konservierungsmittel. Fisch und Fleisch werden in der Regel luftgetrocknet oder eingelegt, in saurer Milch zum Beispiel. Ein beliebter Snack zum Fernsehen und zur Abendplauderrunde ist getrockneter Fisch, den man mit Butter und Brot verspeist. Das Prír Frakkar bietet ihn leider nicht an, auch in anderen Restaurant sucht man vergebens.

Aber immerhin auf der Speisekarte vertreten ist der Kabeljau, wie er in den Fischfangzentren Islands tonnenweise eingesalzen, getrocknet und für den Export – vor allem nach Portugal – verpackt wird. Die Köche im Prír Frakkar bereiten den Fisch, den man zuerst einige Stunden wässern muß, an einer Tomatensauce zu. In den guten Stuben auf dem Land wird einem derselbe Fisch wiederum einfach gesotten vorgesetzt, dazu serviert die traditionsbewusste isländische Hausfrau Kartoffeln, Brot und Butter.


Populär in Island

getrockneten Kabeljau wässern
mit wenig Salz bestreuen
in Eigelb und nicht zu scharfem Senf wenden
in Butter und Öl vier Minuten braten
zu servieren mit Kartoffeln, Butter und Brot


Prír Frakkar
Baldursgata 14, 101 Reykjavík.
Geöffnet Mo.–Fr. 11–15 und 18–22 Uhr, Sa.–So. 18–23 Uhr

mare No. 9

No. 9August / September 1998

Von Ronald Schenkel und Jürg Waldmeier

Ronald Schenkel, Jahrgang 1964, ist Redakteur der Neuen Zürcher Zeitung.

Jürg Waldmeier, geboren 1963, lebt in Zürich und München. Seit 1988 realisiert er als freier Fotograf Peopleaufnahmen, Reportagen, Still Lifes und Porträts für Magazine, Werbung und Buchverlage. Die Fähigkeit, seine eigene Bildsprache mit den Bedürfnissen der Kunden zu verbinden, beweist er bei verschiedensten Projekten in seinem Zürcher Studio oder auf Drehreise. Waldmeiers Fotografie zeichnet stets ein hohes Maß an Kreativität und Authentizität aus, ohne dabei den ihr eigenen Live-Charakter zu verlieren. Neben seiner professionellen Arbeit findet Waldmeier immer wieder Zeit, sich seinen freien Projekten zu widmen. So sind beispielsweise ein Bildband über Murano (Glasbläserinsel bei Venedig) oder eine fotografische Bestandsaufnahme in einem der ärmsten Länder der Welt, Burkina Faso, entstanden.

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Jürg Waldmeier, geboren 1963, lebt in Zürich und München. Seit 1988 realisiert er als freier Fotograf Peopleaufnahmen, Reportagen, Still Lifes und Porträts für Magazine, Werbung und Buchverlage. Die Fähigkeit, seine eigene Bildsprache mit den Bedürfnissen der Kunden zu verbinden, beweist er bei verschiedensten Projekten in seinem Zürcher Studio oder auf Drehreise. Waldmeiers Fotografie zeichnet stets ein hohes Maß an Kreativität und Authentizität aus, ohne dabei den ihr eigenen Live-Charakter zu verlieren. Neben seiner professionellen Arbeit findet Waldmeier immer wieder Zeit, sich seinen freien Projekten zu widmen. So sind beispielsweise ein Bildband über Murano (Glasbläserinsel bei Venedig) oder eine fotografische Bestandsaufnahme in einem der ärmsten Länder der Welt, Burkina Faso, entstanden.
Person Von Ronald Schenkel und Jürg Waldmeier
Vita Ronald Schenkel, Jahrgang 1964, ist Redakteur der Neuen Zürcher Zeitung.

Jürg Waldmeier, geboren 1963, lebt in Zürich und München. Seit 1988 realisiert er als freier Fotograf Peopleaufnahmen, Reportagen, Still Lifes und Porträts für Magazine, Werbung und Buchverlage. Die Fähigkeit, seine eigene Bildsprache mit den Bedürfnissen der Kunden zu verbinden, beweist er bei verschiedensten Projekten in seinem Zürcher Studio oder auf Drehreise. Waldmeiers Fotografie zeichnet stets ein hohes Maß an Kreativität und Authentizität aus, ohne dabei den ihr eigenen Live-Charakter zu verlieren. Neben seiner professionellen Arbeit findet Waldmeier immer wieder Zeit, sich seinen freien Projekten zu widmen. So sind beispielsweise ein Bildband über Murano (Glasbläserinsel bei Venedig) oder eine fotografische Bestandsaufnahme in einem der ärmsten Länder der Welt, Burkina Faso, entstanden.
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