Vor uns die Sintflut

Dystopische Untergangsfantasien beschäftigen seit je Literatur und Medien. Liegt darin ein verborgenes Verlangen nach Apokalypse?

Die Katastrophe braucht bei Stephen Baxter nicht länger als einige Jahrzehnte. Als der Meeresspiegel urplötzlich zu steigen beginnt, ahnt noch niemand, was für ein Desaster die zunächst nur leicht ansteigenden Pegelstände ankündigen. Als schließlich die ersten Inseln für immer im Wasser versinken, ist es bereits zu spät. Was nach düsteren Zukunftsprognosen unserer Tage klingt, entwickelt sich im Science-Fiction-Epos „Flood“ (deutsch: „Die Flut“, 2008) zur Apokalypse. Der Meeresspiegel steigt und steigt und verschlingt nach und nach alle Kontinente dieser Erde. In einer Schlüsselszene beschreibt der britische Autor, wie die große Flut schließlich ganz langsam den letzten Flecken Land der Erde mit Wasser bedeckt: Es ist der einstige Gipfel des Mount Everest. Mit einem leisen Plätschern endet im Roman zwar die Geschichte der Landmassen des Planeten, nicht aber die der Menschheit. 

Der (Alb-)Traum einer Welt, die komplett mit Wasser bedeckt ist, zieht sich durch die Literatur- und Mediengeschichte nicht nur der westlichen Welt. Es ist eine der Urerzählungen der menschlichen Zivilisation. Nicht zuletzt die Filmbilder des Hollywoodkinos haben in den letzten Jahrzehnten immer wieder das schon in der Bibel vorhandene Bild eines vollständig blauen Planeten lustvoll reproduziert, einer Welt, in der sich das Landwesen Mensch an völlig neue Gegebenheiten anpassen muss.

Bereits 1995 kam mit „Waterworld“ eine groß angelegte Science-Fiction-Verfilmung mit Kevin Costner in die Kinos, in der eine zahlenmäßig stark dezimierte Menschheit auf verrosteten Metallinseln und gerade noch schwimmfähigen Tankern ihr Dasein fristet. Oder aber – und das war der Clou dieser Erzählung – Menschen hervorbringt, die sich angepasst haben. Kevin Costner spielt ein Geschöpf, das über Schwimmhäute zwischen den Fingern und Kiemen hinter den Ohren verfügt. Halb Fisch, halb Mensch, kann er in der schönen neuen Welt bestehen und schwimmend sogar die Grenze zwischen Gegenwart und Vergangenheit überwinden. 

In einer der eindrucksvollsten Szenen des Films schwimmt er von der Meeresoberfläche hinab zu den Ruinen einer versunkenen amerikanischen Großstadt. Verfallene Wolkenkratzer und Autowracks sowie Unmengen mit Algen überzogenen Zivilisationsmülls durchstreift der Fischmensch auf dem Grund des Ozeans – Relikte einer Überflussgesellschaft, die grotesk unnütz in einer Welt des Wassers erscheinen und in einem sinnfälligen Gegensatz stehen zu dem, was den Schwimmer auf der Oberfläche erwartet: eine endlose, wunderschöne und in der Sonne funkelnde Wasserfläche, die die Auswüchse der menschlichen Zivilisation auf diesem Planeten gnadenvoll bedeckt. 

Denn auch darum geht es in nahezu allen audiovisuellen Erzählungen von der Sintflut: um eine fast rituelle Reinigung eines Planeten, der bereits vor den steigenden Wassermassen durch das Einwirken des Menschen bedenklich aus dem Lot geraten ist. So zeigt der aus Deutschland stammende Katastrophenfilmspezialist Roland Emmerich gleich mehrmals eine Welt, die in der gemeinsamen Unfähigkeit erstarrt ist, auf die selbst geschaffene Bedrohung des Klimawandels eine überzeugende Antwort zu geben. 

Bereits 2004 entwarf er in „The Day After Tomorrow“ ein Szenario, in dem ein Klimaforscher beharrlich vor dem plötzlichen Versiegen des Golfstroms warnt und auf einen ignoranten US-Vizepräsidenten trifft, der nicht bereit ist, auf die Prognose des Wissenschaftlers zu hören. Lange vor dem weltweiten Erstarken der Fridays-for-Future-Bewegung bebildert Emmerichs Film die katastrophalen Folgen in einem dramaturgischen Zeitraffer, der es innerhalb der filmischen Diegese ermöglicht, dass die Protagonisten der Gegenwart für ihr Handeln geradestehen müssen und nicht etwa künftige Generationen. 

Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 148. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 148

mare No. 148Oktober / November 2021

Von Alexander Kohlmann

Alexander Kohlmann, Jahrgang 1978, hat während seines Studiums diverse mediale Sintfluten wie zum Beispiel den ewigen Untergang der „Titanic“ verfolgt. Der promovierte Medienwissenschaftler arbeitet als Schauspieldramaturg und Publizist und hat in mare unter anderem über das „Kreuzen im Theatermeer“ (mare No. 88) und die unerfüllbaren Paradiesvisionen der westlichen Welt geschrieben (No. 137).

Mehr Informationen
Vita Alexander Kohlmann, Jahrgang 1978, hat während seines Studiums diverse mediale Sintfluten wie zum Beispiel den ewigen Untergang der „Titanic“ verfolgt. Der promovierte Medienwissenschaftler arbeitet als Schauspieldramaturg und Publizist und hat in mare unter anderem über das „Kreuzen im Theatermeer“ (mare No. 88) und die unerfüllbaren Paradiesvisionen der westlichen Welt geschrieben (No. 137).
Person Von Alexander Kohlmann
Vita Alexander Kohlmann, Jahrgang 1978, hat während seines Studiums diverse mediale Sintfluten wie zum Beispiel den ewigen Untergang der „Titanic“ verfolgt. Der promovierte Medienwissenschaftler arbeitet als Schauspieldramaturg und Publizist und hat in mare unter anderem über das „Kreuzen im Theatermeer“ (mare No. 88) und die unerfüllbaren Paradiesvisionen der westlichen Welt geschrieben (No. 137).
Person Von Alexander Kohlmann