Die pausenlose Marter des Glücks

Ist das Paradies doch nur ein tropisches Inselresort? Das, wonach sich Menschen wirklich sehnen, ist für sie kaum erträglich

Wir sind nur Parasiten, dieser Strand ist nichts anderes als ein Ferienresort. Ein Ferienresort für Menschen, die keine Ferienresorts mögen.“ Alex Garland beschreibt in seinem 1996 erschienenen Kultroman „The Beach“ das Dilemma des privilegierten westlichen Menschen. Eine ganz konkrete Paradiesvision treibt ihn auf die Reise. Es ist eine Vision von türkisblauem, warmem Wasser, unberührter Natur und Bambushütten, wildem Sex am Strand und einem einfachen Leben – einem Leben mit allen Annehmlichkeiten und ohne natürliche Feinde, ein Leben, in dem der Mensch einfach Mensch sein kann, irgendwo da draußen an einem einsamen Strand, den möglichst kein anderer Paradiessucher kennt.

Es ist erstaunlich, wie wenig sich die Paradiesvorstellungen in der westlichen Kulturgeschichte in den letzten Jahrhunderten verändert haben – und es ist ein Paradox, dass sie uns immer wieder zu dem führen, was der westliche Kulturbürger eigentlich hasst. Wer „einsame Insel“ in eine Suchmaschine eingibt, landet auf den Seiten hochpreisiger Urlaubsresorts auf den Malediven, vollgebaute kleine Atolle mit All-inclusive-Versorgung, damit der Paradiesbewohner nicht viel für seinen Lebensunterhalt tun muss. Und wir finden „Robinson“-Hütten mit Klimaanlage, die direkt ins Meer gebaut sind, damit der Urlauber es mitten in der blauen Lagune nachts nicht zu warm hat.

Die Behausungen der Reiseveranstalter stehen den Hütten am einsamen, geheimen Strand in Alex Garlands Roman in nichts nach. Und selbst in dieser fiktiven Aussteigergesellschaft sind es die menschlichen Bedürfnisse und Triebe, die dem dauerhaften Genuss des Paradieses im Weg stehen: Der Mensch vertreibt sich in erster Linie selbst aus seinen einsamen türkisblauen Träumen, immer und immer wieder. Denn was er glaubt zu suchen, kann er in Wahrheit nur äußerst schwer aushalten: zu viel freie Zeit. In Garlands Roman sitzen die Paradiesbewohner in ihrer Hüttenwelt am Strand – und langweilen sich. Das Phänomen kennt jeder, der einmal eine Woche Strandurlaub gebucht hat: Auch der schönste Blick auf das Meer langweilt irgendwann; die Sehnsucht danach, sich zu beschäftigen, im Idealfall etwas zu erreichen, nimmt auch im Urlaub schnell überhand.

Die Tourismusindustrie reagiert auf dieses Paradox geschickt mit einem unentwegten Unterhaltungsangebot: kein Inselclub ohne Extrapakete aus Partys, Sportangeboten von Bogenschießen bis Wellenreiten, Exkursionen, Weinproben, Tennisstunden und Zumbakursen in den Morgenstunden. Das Paradies langweilt. In Garlands Aussteigerroman vertreibt sich der Held Richard seine Zeit schon bald mit Gameboyspielen, direkt am Strand. Die Gemeinschaft organisiert Sportturniere, und wenn gar nichts mehr hilft, bleibt noch der Blick auf die schöne Frau oder den schönen Mann, gern die Partner der anderen und noch lieber mit Aussicht auf eine Affäre. Was folgt, ist Stress: mit der Gemeinschaft, den verlassenen Liebhabern oder mit Nachbarn, die einem das mühsam abgesteckte Terrain streitig machen. „The Beach“ zeichnet nur nach, was schon seit Adam und Eva gilt: Der Mensch, der im Paradies dauerhaft etwas mit sich anzufangen weiß, muss erst noch geboren werden. Es liegt offenbar in unserer Natur, dass das friedliche Leben unter Palmen eine Sehnsucht bleibt.


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mare No. 137

No. 137Dezember 2019 / Januar 2020

Von Alexander Kohlmann

Alexander Kohlmann, geboren 1978, ist Germanist und Medienwissenschaftler und promovierte zu Erinnerungsträumen im Kino. Er arbeitet als Dramaturg und Autor und fragt sich jedes Jahr in den Theaterferien, warum wir eigentlich fast alle stets zurückkehren von den fernen Stränden und nicht einfach ein Leben lang dort bleiben – wie es ein befreundeter Segellehrer tut.

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Vita Alexander Kohlmann, geboren 1978, ist Germanist und Medienwissenschaftler und promovierte zu Erinnerungsträumen im Kino. Er arbeitet als Dramaturg und Autor und fragt sich jedes Jahr in den Theaterferien, warum wir eigentlich fast alle stets zurückkehren von den fernen Stränden und nicht einfach ein Leben lang dort bleiben – wie es ein befreundeter Segellehrer tut.
Person Von Alexander Kohlmann
Vita Alexander Kohlmann, geboren 1978, ist Germanist und Medienwissenschaftler und promovierte zu Erinnerungsträumen im Kino. Er arbeitet als Dramaturg und Autor und fragt sich jedes Jahr in den Theaterferien, warum wir eigentlich fast alle stets zurückkehren von den fernen Stränden und nicht einfach ein Leben lang dort bleiben – wie es ein befreundeter Segellehrer tut.
Person Von Alexander Kohlmann