Vor dem Untergang

Die extensive Nutzung des Meeres bedroht die Küsten. Der neue „World Ocean Review 5“ zeigt Auswege aus einem Dilemma

Eine Million Kilometer LANG sind die Küsten der Welt, schätzen Experten. Und jede hat ihren eigenen Charakter. Urlauber schätzen die karstigen Küsten Kroatiens und das blaue Wasser. Vor der deutschen Nordseeküste erstreckt sich das Wattenmeer, in dem sich Unmengen an Sediment aus der Elbe und der Weser ablagern. Sibiriens Küste besteht aus metertiefem Permafrostboden, und die Küsten Indonesiens gehören mit ihren Korallenriffen zu den artenreichsten Gebieten weltweit.

Für den Menschen sind die Küsten schon seit Jahrtausenden ein bedeutsamer Lebensraum, der Nahrung in Form von Fisch und Meeresfrüchten liefert. Die Attraktivität der Küsten ist nach wie vor ungebrochen. Häfen sind wichtige Handelsplätze, in deren Nähe sich große Städte gebildet haben. An vielen Küsten liegen große Industriereviere und Kraftwerkparks. Wegen dieser enormen Bedeutung widmet sich der jetzt erschienene „World Ocean Review 5“ („WOR 5“) ganz diesem Lebensraum, der aufgrund der intensiven Nutzung besonders bedroht ist.

Die Küstengebiete der Welt liefern einen Großteil des wild gefangenen Fisches. So finden 90 Prozent der globalen Fischerei in Küstengewässern statt. In vielen Fällen ist diese Fischerei nicht nachhaltig. Es wird mehr Fisch gefangen, als nachwachsen kann, weshalb heute mehr als ein Drittel aller Fischbestände überfischt ist.

Von großer wirtschaftlicher Bedeutung ist auch die Förderung von Erdgas und Erdöl in küstennahen Gebieten. So trägt Offshoreöl mit etwa 40 Prozent und Offshoregas zu etwa 30 Prozent zur jeweiligen globalen Förderung bei. Die Küstengewässer sind in den vergangenen Jahren auch für die Erzeugung von Strom aus Windenergie interessant geworden. Ende 2015 waren weltweit Offshorewindräder mit einer Gesamtleistung von gut 12 000 Megawatt in Betrieb, was in etwa der Leistung von 24 Atomreaktoren entspricht.

Weitere Ressourcen, die die Küsten liefern, sind Sand und Kies. Sie werden für die Betonherstellung, als Füllsand auf Baustellen oder zum Aufspülen neuer Hafen- und Wirtschaftsflächen an der Küste genutzt. Das größte Sandabbaugebiet liegt an der Küste von Marokko. Dünen werden dort in großem Stil mit Radladern abgebaggert, mit der Folge, dass manche Abschnitte einer Mondlandschaft gleichen.

Solche Beispiele führen uns vor Augen, wie übernutzt die Küsten vielerorts sind. Dazu kommen Umweltverschmutzungen infolge der extrem dichten Besiedlung. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen leben heute rund 2,8 Milliarden Menschen in einem Abstand von maximal 100 Kilometern zur Küste. Von den weltweit 20 Megastädten mit mehr als zehn Millionen Einwohnern liegen 13 direkt am Meer. Dazu zählen etwa die Städte beziehungsweise Ballungszentren Istanbul (14,4 Millionen) oder Mumbai (18,2).

Nach Meinung vieler Experten wird die Verstädterung der Küstengebiete weiter zunehmen. Ein Beispiel ist der Großraum Jakarta, der 2015 bereits gut zehn Millionen Einwohner hatte und bis 2030 auf etwa 13,8 Millionen Einwohner anwachsen wird. Jakarta gehört zu den Küstenmetropolen, die unter ihrem eigenen Gewicht langsam versinken. Die Stadt liegt in einer flachen Region mit teils torfhaltigen Böden. Weil zudem viel Grundwasser entnommen wird, sackt die Stadt um bis zu zehn Zentimeter jährlich ab, wodurch sich Überschwemmungen häufen.

Im „WOR 5“ geht es zum einen darum, wie der Mensch durch sein Handeln die Küsten bedroht; zum anderen aber auch um die Bedrohungen, denen der Mensch selbst ausgesetzt ist. Je mehr Menschen in küstennahen Ballungszentren auf engem Raum leben, desto höher ist das Risiko, dass Sturmfluten oder Tsunamis Menschenleben fordern. Der „WOR 5“ zeigt dabei nicht nur die Gefahren auf, sondern stellt auch Lösungswege für einen besseren Schutz der Küsten vor. Erläutert werden umfassende Managementstrategien wie etwa das Integrierte Küstenzonenmanagement, bei dem die Interessen verschiedener Küstennutzer unter einen Hut gebracht werden, mit dem Ziel, die Küste schonend zu bewirtschaften.

Diskutiert wird auch, wie der Mensch verschiedenen Bedrohungen effektiv begegnen kann, etwa Tsunamis oder dem durch den Klimawandel verursachten Meeresspiegelanstieg. So gibt es moderne Tsunamifrühwarnsysteme, die heute in fast allen gefährdeten Meeresgebieten installiert sind. Wichtig ist auch das Konzept des adaptiven Küstenschutzes. Dahinter steckt die Überzeugung, nicht einfach nur immer höhere Deiche zu bauen, sondern dem Wasser mehr Raum zu geben, um die extremen Schäden zu verhindern, die es geben würde, falls die Deiche versagen sollten.

Vor allem die kleinen pazifischen Inselstaaten haben bereits jetzt mit den Folgen des Klimawandels zu kämpfen. Zu den Problemen gehören extreme Dürren, häufige Überflutungen und die Versalzung der Süßwasserreservoire. In internationalen Projekten wird versucht, Lösungen zu finden. Trotz aller Bemühungen aber wird man nicht alle Küsten der Welt retten können. Der „WOR 5“ zeigt, wie Regierungen von Inselstaaten wie Kiribati schon heute einen geordneten Rückzug vorbereiten, etwa durch Bildungsprogramme. Diese sollen die Menschen für ausländische Arbeitsmärkte interessant machen. Ziel ist es, dass sich die Betroffenen möglichst schnell eine neue Existenz im Ausland aufbauen können und eben nicht zu mittellosen Klimaflüchtlingen werden.

Ein kostenloses Exemplar des „WOR 5“ können Sie bestellen unter www.worldoceanreview.com.

mare No. 125

No. 125Dezember 2017 / Januar 2018

Von Tim Schröder

Der Wissenschaftsjournalist Tim Schröder, Jahrgang 1970, stammt aus der kleinen Ostseestadt Kappeln an der Schlei, wuchs in Hamburg auf und lebt heute als freier Autor in Oldenburg in Niedersachsen. Nach seinem Biologiestudium absolvierte er ein Redaktions-Volontariat bei der Nordwest-Zeitung. Anschließend war er Redakteur im Wissenschafts-Ressort der Berliner Zeitung und zuständig für die Bereiche Naturwissenschaft und Technik. Heute befasst er sich am liebsten mit Umwelt-Themen. mare ist für ihn eine Herzensangelegenheit, denn nirgendwo sonst kann oder darf er harte Fakten so schön in Erzählgeschichten verwandeln wie in diesem Magazin. Tim Schröder ist verheiratet, hat zwei Jungs und eine Garage voller Fahrräder

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Vita Der Wissenschaftsjournalist Tim Schröder, Jahrgang 1970, stammt aus der kleinen Ostseestadt Kappeln an der Schlei, wuchs in Hamburg auf und lebt heute als freier Autor in Oldenburg in Niedersachsen. Nach seinem Biologiestudium absolvierte er ein Redaktions-Volontariat bei der Nordwest-Zeitung. Anschließend war er Redakteur im Wissenschafts-Ressort der Berliner Zeitung und zuständig für die Bereiche Naturwissenschaft und Technik. Heute befasst er sich am liebsten mit Umwelt-Themen. mare ist für ihn eine Herzensangelegenheit, denn nirgendwo sonst kann oder darf er harte Fakten so schön in Erzählgeschichten verwandeln wie in diesem Magazin. Tim Schröder ist verheiratet, hat zwei Jungs und eine Garage voller Fahrräder
Person Von Tim Schröder
Vita Der Wissenschaftsjournalist Tim Schröder, Jahrgang 1970, stammt aus der kleinen Ostseestadt Kappeln an der Schlei, wuchs in Hamburg auf und lebt heute als freier Autor in Oldenburg in Niedersachsen. Nach seinem Biologiestudium absolvierte er ein Redaktions-Volontariat bei der Nordwest-Zeitung. Anschließend war er Redakteur im Wissenschafts-Ressort der Berliner Zeitung und zuständig für die Bereiche Naturwissenschaft und Technik. Heute befasst er sich am liebsten mit Umwelt-Themen. mare ist für ihn eine Herzensangelegenheit, denn nirgendwo sonst kann oder darf er harte Fakten so schön in Erzählgeschichten verwandeln wie in diesem Magazin. Tim Schröder ist verheiratet, hat zwei Jungs und eine Garage voller Fahrräder
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