mare: Eine drei Kilometer lange Landebahn mitten im Südchinesischen Meer – was hat China hier vor?
Alexander Proelß: Es geht um zwei verschiedene Inselgruppen, die von China und anderen Staaten beansprucht werden: die Spratly- und die Paracel-Inseln. Beide liegen im sogenannten Südchinesischen Meer, wobei bereits diese Benennung zu Unstimmigkeiten führt. Wenn Sie in Vietnam sind, dürfen Sie nicht von der „South China Sea“ sprechen, sondern nur von der „East Sea“. Man versucht also schon, mit Begriffen Politik zu machen.
Welche sind die anderen Staaten, die Anspruch auf die Inseln erheben?
Das sind Vietnam, die Philippinen, Brunei, Malaysia und Taiwan.
So viele Länder streiten sich um diese winzigen, atollartigen Inselchen. Warum bloß?
Derjenige Staat, der nachweisen kann, dass er die Souveränität über die betreffenden Inseln ausübt, kann maritime Ansprüche geltend machen. Das heißt: Er hat Zugriff auf in diesem Meeresgebiet möglicherweise lagernde Ressourcen. Es geht um Öl und Gas, aber auch um lebende Ressourcen, also die Fischerei. Denken Sie an den gewaltigen Ressourcenhunger der Chinesen. Es verwundert nicht, dass Peking in diesem Konflikt die treibende Kraft ist.
Geht es den Chinesen wirklich nur um Rohstoffe?
Einerseits ja. Andererseits wollen die Chinesen mit der Schaffung eines Außenpostens ihre Einflusssphäre vergrößern, so wie es die USA seinerzeit mit der Karibik gemacht haben. Die militärische Bedeutung der Spratlys ist meines Erachtens eher zweitrangig. Und auch die Sorge, die Chinesen wollten in der Region die Schifffahrt kontrollieren, ist unberechtigt. Denn in allen Meeren der Welt gilt die Freiheit der Schifffahrt.
Wenn man sich die Lage der Spratly-Inseln anschaut, sieht jedes Schulkind: Die können ja gar nicht zu China gehören, die liegen über 1000 Kilometer weit weg vom chinesischen Festland.
So einfach ist die Sache leider nicht. Es gibt viele Inselstrukturen, die Tausende Seemeilen von ihren Heimatstaaten entfernt liegen. Was China geltend macht, ist, dass die Inseln innerhalb eines Gebiets liegen, das eine sogenannte Neun-Strich-Linie umfasst. Die Neun-Strich-Linie ist eine Linie, die man auf uralten Seekarten, unter anderem auf einer aus dem Jahr 1947, gefunden hat.
Vermutlich auf chinesischen Karten.
Stimmt, auf Karten der Republik China, die heute ihren Sitz auf Taiwan hat. Die chinesische Regierung hat lange Zeit gar nicht Bezug darauf genommen. Erst als jetzt dieser Streit wieder hochkochte, hat man gesagt: Wunderbar, da haben wir doch etwas.
Jahrhundertealte chinesische Karten, in die vermutlich auf Anordnung des Kaisers von China Striche eingezeichnet wurden – Das kann man völkerrechtlich doch nicht ernst nehmen.
Wenn es um die Zuordnung von Territorien geht, ist es entscheidend, welcher Staat darlegen kann, dass er von alters her über die betreffenden Gebiete Hoheitsgewalt ausgeübt hat. Und zwar in einer Weise und über eine so lange Zeit, dass man sagt: Dann müssen sie ihm auch zugeordnet werden. Das versuchen eigentlich alle, also auch Vietnam, die Philippinen, Brunei, Malaysia und Taiwan. Da muss man den Chinesen gegenüber fair sein. Sie alle graben teilweise jahrhundertealte Karten und Dokumente aus. Für uns Europäer ist es extrem schwierig, das Material zu beurteilen, weil wir diese Dokumente nicht lesen können.
Früher war es doch so: Wenn ein Land ein neues Gebiet entdeckt oder erobert hat, wurde eine Note herausgegeben, Eine Art Informationsschrift, in der stand: Liebe andere Staaten, uns gehört jetzt ein neues Territorium.
Das mit der Note ist korrekt. Worauf es dann in der Folge ankommt, ist der Gedanke der Effektivität. Ist das betreffende Gebiet effektiv okkupiert worden? Und dazu gehört, dass man eben über einen sehr langen Zeitraum ununterbrochen Herrschaftsgewalt ausgeübt hat. Deswegen versuchen jetzt alle, so viele dieser Noten hervorzukramen. Aber die Karten gehören eben auch dazu. Die Chinesen sagen: Ihr wusstet das doch. Und da sagen die anderen: Aber dagegen haben wir immer protestiert. Und wenn man Protest hört, impliziert das, dass die Hoheitsgewalt nicht unumstritten war, möglicherweise daher auch nicht effektiv. Die ganze Diskussion läuft unter dem juristischen Konzept „historische Rechte“.
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Jan Keith, Jahrgang 1971. Studium der Politikwissenschaft, Japanologie und Geografie in Bonn, Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. Bevor er im August 2008 zu mare kam, arbeitete er als Redakteur und Autor bei der Financial Times Deutschland.
Alexander Proelß, Jahrgang 1973, war bis 2010 Professor für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Seerecht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Heute hat er den Lehrstuhl für Völker- und Europarecht an der Universität Trier inne.
Vita | Jan Keith, Jahrgang 1971. Studium der Politikwissenschaft, Japanologie und Geografie in Bonn, Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. Bevor er im August 2008 zu mare kam, arbeitete er als Redakteur und Autor bei der Financial Times Deutschland.
Alexander Proelß, Jahrgang 1973, war bis 2010 Professor für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Seerecht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Heute hat er den Lehrstuhl für Völker- und Europarecht an der Universität Trier inne. |
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Person | Ein Interview von Jan Keith |
Vita | Jan Keith, Jahrgang 1971. Studium der Politikwissenschaft, Japanologie und Geografie in Bonn, Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. Bevor er im August 2008 zu mare kam, arbeitete er als Redakteur und Autor bei der Financial Times Deutschland.
Alexander Proelß, Jahrgang 1973, war bis 2010 Professor für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Seerecht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Heute hat er den Lehrstuhl für Völker- und Europarecht an der Universität Trier inne. |
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