Vom Winde verweht

Der Irrflug der Darwinfinken: ein Geschenk für die Forscher

Charles Darwins erster Eindruck von Galápagos war nicht gerade positiv. Als der britische Naturforscher, der an Bord des Dreimasters „Beagle“ die Welt umsegelte, sich dem Archipel im September 1835 näherte, sah er „ein zerklüftetes Feld schwarzer basaltischer Lava, ... überall von sonnenverbranntem Buschwerk bedeckt, das nur wenige Zeichen von Leben gibt.“ Und Kapitän Robert FitzRoy, dessen Auftrag es war, die südamerikanische Küste für die britische Kriegsmarine zu vermessen, assoziierte Galápagos gleich mit der Hölle. „Scheußliche Leguane liefen in allen Richtungen davon“, erinnerte er sich. Nur wenige Menschen siedelten auf den unwirtlichen Inseln, die früher Piraten als Schlupfwinkel gedient hatten. Selbst aus dem Tierreich waren überwiegend die Hartgesottenen vertreten: Skorpione, Echsen, Panzertiere.

Während die Besatzung der „Beagle“ sich auf die Suche nach Schildkröten machte, um ihr Fleisch zu rösten, durchstreifte Darwin bei glühender Hitze die Kraterlandschaft. Die „vorsintflutlichen“ Schildkröten und die „hässlichen“ Echsen interessierten den 24-jährigen mehr als die „trübe gefärbten“ Vögel. Über sie berichtet er während des fünfwöchigen Aufenthalts auf Galápagos in seinem Tagebuch eher nebenbei; sie wurden auch nicht gerade respektvoll behandelt: „Kleine Vögel, nur etwa einen Meter entfernt, hüpften still von einem Busch zum anderen und hatten keine Angst vor den Steinen, die nach ihnen geworfen wurden. Mr. King tötete einen mit seinem Hut ...“

Ob die kleinen Vögel zu den ozeanischen Vulkanen geflogen sind oder vom Sturm dorthin verschlagen wurden, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Unbestritten ist jedoch, dass die gefiederten Neusiedler zum Wahrzeichen der Abstammungslehre avancierten. Noch heute dienen die berühmten, nach Darwin benannten Finken als Versuchstiere der Evolution, die in den meerumschlungenen Eilanden am Äquator ihre ideale Experimentierstube gefunden hat.

Wegen ihrer Abgeschiedenheit sind Archipele wie Galápagos oder Hawaii das Eldorado der Evolutionsforscher. Die Vulkaninseln schoben sich aus dem Meer empor und hatten nie Kontakt zum Festland. Ihre Pflanzen und Tiere müssen alle irgendwann mal über das Meer gekommen sein. Vielleicht wurden sie wegen einer Sturmflut oder Überschwemmung aus ihrer kontinentalen Heimat losgerissen. Entwurzelte Bäume oder anderes Treibgut drifteten über den Ozean. Auf ihnen hielten sich Tiere über Wasser: Insekten, Echsen, kleine Säuger. Mit viel Glück strandeten sie auf einer Insel und überlebten dort. Diese Pioniere begründeten Populationen, die sich unter ganz anderen Bedingungen als in ihrer alten Heimat weiter entwickelten. Das Meer isolierte sie, wirkte als Barriere, die nur wenige überwinden konnten. Die Flora und Fauna solcher Inseln besteht daher zu einem Großteil aus Endemiten, Lebewesen, die es nur dort und nirgendwo anders auf der Welt gibt.

Die Finken von Galápagos, schrieb Darwin in seinen Memoiren, seien das „Einzigartigste von allem auf dem Archipel“. Man unterscheidet 13 Arten, die alle von gemeinsamen Vorfahren abstammen und sich äußerlich ähneln. Aber jede Art hat einen anders geformten Schnabel, der sie als Spezialisten ausweist. Das hängt mit ihrer unterschiedlichen Ernährungsweise zusammen. Die einen leben am Boden und fressen Körner, andere hausen auf Bäumen und fangen Insekten. Wieder andere verhalten sich wie Spechte und suchen im morschen Holz nach Larven.

Da ihr Schnabel aber nicht pinzettenähnlich wie beim Specht geformt ist, behelfen sie sich mit Werkzeugen: einem Kaktus-stachel oder Stöckchen. Ohne Werkzeug, aber blutrünstig ernähren sich Vampirfinken, wie der Name schon vermuten lässt: Wenn sie ihren Hunger nicht anderweitig stillen können, lassen sie sich auf dem Rücken von größeren Seevögeln nieder und piesacken sie mit dem Schnabel, bis Blut fließt. Das trinken sie dann.

Die kuriosen Schnabelformen hat ein Wissenschaftler einmal mit Zangen für verschiedenste Aufgaben verglichen: Ein Schnabel erinnert an eine Rohrzange, ein anderer an eine Greifzange, der nächste ähnelt einer Rundzange. Außerdem gibt es Schmiedezangen mit schlanken Griffen und schweres Gerät wie für die Reparatur von Überlandleitungen. Die unterschiedlichen Werkzeuge spiegeln tatsächlich die verschiedenen „Berufe“ der Vögel wider oder – wissenschaftlich ausgedrückt – ihre ökologischen Nischen. Sie haben Nischen besetzt, die auf dem Festland von verschiedenen Vogelarten eingenommen werden: in Europa von Specht, Amsel, Zaunkönig, Laubsänger.

Darwin schoss rund 30 Finken aus neun verschiedenen Arten und brachte sie ausgestopft nach London – außerdem fossile Knochen, Steine, Käfer, Fische, Eidechsen. Anders als die Legende es will, erkannte der ehemalige Medizin- und Theologiestudent weder auf Anhieb die Besonderheit der Finken noch merkte er bei all ihren Arten, dass es sich überhaupt um Finken handelte. Einige hielt er für Verwandte von Amseln oder Zaunkönigen. Wie der US-amerikanische Wissenschaftsjournalist Jonathan Weiner in seinem Buch „Der Schnabel des Finken“ anhand historischer Quellen nachzeichnet, packte Darwin sogar die Finken von zwei verschiedenen Inseln in einen Sack, ohne sie nach Herkunft zu beschriften. Eine Nachlässigkeit, die er später bei der Auswertung in England sehr bereute. Gründlicher waren ausgerechnet die Nichtwissenschaftler gewesen, Kapitän FitzRoy und sein Diener. Beide hatten ebenfalls Tiere gesammelt und fein säuberlich nach Inseln beschriftet. Darwin hätte nicht im Traum daran gedacht, wie er später zugab, dass Inseln, die einander so ähnlich sahen, derart unterschiedliche Bewohner beherbergen würden. Erst nach intensiven Diskussionen mit dem Vogelexperten John Gould in London dämmerte Darwin langsam die Bedeutung der Finken.


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mare No. 16

No. 16Oktober / November 1999

Von Monika Rößiger

Monika Rößiger, ehemalige mare-Wissenschaftsredakteurin studierte Biologie und arbeitet als freie Wissenschaftsautorin, u. a. für die Zeit, Woche, Neue Zürcher Zeitung, Spiegel Spezial und Geo.

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Vita Monika Rößiger, ehemalige mare-Wissenschaftsredakteurin studierte Biologie und arbeitet als freie Wissenschaftsautorin, u. a. für die Zeit, Woche, Neue Zürcher Zeitung, Spiegel Spezial und Geo.
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