Volle Fahrt voraus

Die Globalisierung hat der Schifffahrt eine grandiose Renaissance beschert. Die Reeder verdienen prächtig, die Werften auch, die Häfen melden Umschlagrekorde. Aber wie geht es weiter?

Hinterm Bierglas leuchtet die neue Welt. Von der „Strandperle“ in Neumühlen aus ist sie am besten zu sehen, die Lightshow am anderen Elbufer, die illuminierte Stadt der stählernen Riesen, Hamburgs Containerhafen im Tag- und Nachtbetrieb. Turmhoch ragen die Doppelkatzbrücken am Burchardkai, deren tonnenschwere Riesenklauen Container aus den Bäuchen der Schiffe holen, eine Massenbewegung, präzise Maßarbeit, gesteuert von Brückenfahrern in Leitständen in einsamer Höhe, 40 Meter über den Kaimauern. Haushohe Van-Carrier fuhrwerken durch die Kulisse, tonnenschwere Hochstapler auf Rädern. Die Ungetüme packen und schleppen Container über die Kais, laden ab, laden um, türmen sie drei, vier Stockwerke hoch.

Auf dem Containerterminal Altenwerder verhindern hohe Zäune, dass ein Mensch dazwischenkommt. Hier sind die Roboter unter sich, 60 Giganten, die zwischen den Stapeln verkehren, automatisch gesteuerte, intelligente Greifer, die Container heben und senken, fahrerlos, über Induktionsschleifen im Boden gesteuert. Altenwerder ist halb so groß wie der Burchardkai, auf dem die Van-Carrier von Menschen gesteuert werden, aber doppelt so produktiv. Roboter arbeiten 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.

Die Sturmflut der Konsumgüter hat Hamburgs Hafen groß gemacht. Nach dem Zweiten Weltkrieg stand die zerbombte Stadt unter den Seehäfen der Welt auf Platz 27, jahrzehntelang blieb Hamburg ein Hafen ohne Hinterland. Die Dynamik kam mit der Wende. „Wir sind heute Schnittstelle zwischen den spannendsten Wachstumsmärkten“, sagt Jürgen Sorgenfrei, Vorstand des Hafen Hamburg Marketing e.V. „Hamburg verbindet China, Japan und Korea mit Osteuropa. Asiens Wachstum in Polen läuft über den Hamburger Hafen. Dort wächst der Umschlag seit Jahren in zweistelligen Raten, ist die Drehscheibe für die Warenströme in den Osten, ins „European Hinterland“ bis zum Ural und auf Feederschiffen in die Ostsee. Von Hamburg aus klappern sie die Häfen ab, fahren wie Sammeltaxis von Pier zu Pier. Die Nachfrage ist uferlos. Russland hat einen Riesenbedarf an Konsumgütern, das Baltikum boomt wie nie. Hamburg verdient.

Der Container ist der Turbolader der Globalisierung. Entwickelt wurde er für den Koreakrieg, als praktischer Transportbehälter, der sich per Bahn oder Lkw, Schiff oder Landungsboot an die Front schaffen ließ. Eine geräumige Kiste aus Stahl, 20 oder 40 Fuß lang, drei Tonnen schwer, ihr Standardmaß TEU (Twenty Foot Equivalent Unit) ist zur Weltwährung der Logistik geworden. Voll beladen, wiegt die Blechkiste bis zu 32 Tonnen, je nach Fracht. Wenn Barbiepuppen darin sind, ist sie natürlich leichter. Container bringen Kinderwagen, Waschmaschinen und Mobiltelefone. Was nicht hineinpasst, wie Rotorblätter für Windräder oder komplette U-Bahn-Züge, wird auf Containerflats befestigt und reist auf den Stapeln mit.

Die Hochstapelei birgt Risiken. Falsch belegt, hängt ein Schiff in der Mitte durch wie ein Hängebauchschwein; schlecht gelaschte Container können auf hoher See ein Eigenleben entwickeln und gehen im Sturm schon einmal über Bord. Frei schwimmende Container sind die Schrecken der Segler, treibende Ungeheuer, die nicht zu sehen sind, weil sie kaum über die Wasseroberfläche ragen. Wer mit ihnen kollidiert, sollte keine Zeit verlieren. In etwa 60 Sekunden ist der Rumpf einer Hochseeyacht vollgelaufen und versinkt. Der Container schwimmt weiter.

Ein Container fasst alles und kostet wenig. In Massen auf ein Schiff gestapelt, ist er das billigste und umweltfreundlichste Transportmittel, denn er braucht wenig Energie. Weil Transporte so günstig sind, lässt Ikea seine Möbel in China fertigen. Durch den Container wurde es möglich, Produktionen ins Ausland zu verlegen. Standortvorteile schmelzen dahin. Container sind die Preisbrecher des Welthandels. Deshalb ist der Transport einer Flasche Rotwein von der Ahr nach Hamburg drei Mal so teuer wie der einer Flasche aus Australien. Wer sich in sein Auto setzt, um im 500 Meter entfernten Supermarkt eine Mango zu kaufen, zahlt höhere Transportkosten, als auf 5000 Seemeilen von Caracas angefallen sind.

Container schaffen Fleisch, Fisch und Früchte heran. Der klassische Bananenfrachter mit gekühltem Laderaum wird zunehmend vom Containerschiff für Kühlboxen verdrängt. Hochseefähige Gefrierschränke garantieren eine lückenlose Kühlkette. Die Ware wird erntefrisch, schlachtfrisch oder fangfrisch in die Box geladen und verlässt den Container erst am Zielort. Früchte schmecken besser, wenn sie am Baum gereift sind, sind aber auch anspruchsvoll.

Kiwis und Weintrauben reisen gern am Gefrierpunkt, Mango und Papaya bei 10 und Bananen bei 13,6 Grad Celsius. Früchte sind Lebewesen. Sie atmen, verändern die Atmosphäre, den Sauerstoffgehalt ihrer Umwelt, ersetzen ihn durch CO2. Eine individuelle Gaskomposition, in die Box injiziert, versetzt sie in Tiefschlaf, um den Alters- und Reifeprozess zu unterbinden. Die Früchte halten den Atem an.


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mare No. 59

No. 59Dezember 2006 / Januar 2007

Von Emanuel Eckardt

Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, lebt in Hamburg und arbeitet als freier Autor, unter anderem für Stern, Geo, Die Zeit und Merian.

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Vita Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, lebt in Hamburg und arbeitet als freier Autor, unter anderem für Stern, Geo, Die Zeit und Merian.
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Vita Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, lebt in Hamburg und arbeitet als freier Autor, unter anderem für Stern, Geo, Die Zeit und Merian.
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