Vier gewinnt

Vier Jahrhunderte lang lenkten die Seerepubliken im heutigen Italien den Handel und die Geschicke des gesamten Mittelmeerraums. Mit kluger Machtpolitik und aggressiver Expansion sicherten sie sich ihre Handelsplätze gegen die islamische Konkurrenz

Als im fünften Jahrhundert das Weströmische Reich zusammenbricht und ein Jahrhundert später in Persien die Herrschaft der Sassaniden niedergeht, werden die Karten im ganzen Mittelmeerraum neu gemischt. Stück für Stück zerfällt das Byzantinische Reich, die Quellen seines Reichtums trocknen aus, der Wohlstand versiegt. Die alten Handelsrouten erlöschen, und aus den Trümmern der gefallenen Großreiche ersteht eine neue Macht auf: der Islam. Dessen Zentren sind Damaskus unter den Omaijaden und Bagdad unter den Abbasiden.

400 Jahre dauert der Aufstieg der Muslime, dann kontrol- lieren sie die neuen Handelsrouten über die nordafrikanische Küste, übers Mittelmeer und das Rote Meer, mit direktem Zugang zum Indischen Ozean. Kairo, Damaskus, Bagdad und Isfahan handeln mit China und Indien, und Tunis ist der Hafen, in dem Sklaven und Gold umgeschlagen werden. Nach Ansicht der Historiker zählt es zu den großen Verdiensten des Islams, die verschiedenen Wege Zentral- und Westasiens und des Mittelmeerraums erfolgreich in ein einziges großes Handelssystem eingebunden zu haben.

Allerorten gelten die islamischen Ge- setze, der Warenverkehr ist gut organisiert. Und die Konsequenzen sind enorm: Die Eroberung der Süd- und Westküsten des Mittelmeers durch die Muslime bringen die Pfeiler der bewährten Ordnung des mediterranen Raumes ins Wanken. Da, plötzlich, im frühen neunten Jahrhundert, betreten Akteure die neu geschaffene Bühne, die die Zeichen der Zeit erkannt haben: Kaufleute aus einem Fischerdorf mit dem Namen Amalfi.

Amalfi ist ein Nest an der heutigen italienischen Riviera, seine Nachbarn sind das antike Pompeji, Positano und Ravello, schräg gegenüber liegt die Insel Capri.

An die Felswand einer herrlichen Küste geschmiegt, ist das Dorf von Natur aus privilegiert: Die Küste ist felsig, geschützte Buchten sind garantiert, und man verfügt über einen gut gesicherten Hafen mit ausreichend Tiefgang.

Die Lage an der steil abfallenden Sorrentinischen Halbinsel schützt die Bewohner vor den Attacken jenes neuen Feindes, gegen den sich über die Jahrhunderte hinweg die gesamte Mittelmeerregion zu erwehren hat: die Sarazenen – muslimische Piraten, die die Küsten plündern, ihren Einflussbereich nordwärts ausbauen und die fruchtbaren Inseln Sizilien und Sardinien in ihrer Gewalt haben. Amalfi ist damals die am südlichsten gelegene Gemeinde des christlichen Italiens und profitiert dadurch von der überlegenen islamischen Kultur in Süditalien.

Wer im hohen Mittelalter im mediterranen Raum Erfolg haben will, muss die Sarazenen entweder bekämpfen oder sich mit ihnen arrangieren – oder beides zugleich tun. Die Kaufleute von Amalfi sind klug genug, sich dem Feind zu öffnen, und sie betreiben Politik durch Handel. Durch Kontakte mit Sizilien setzen die Amalfitaner ihre Waren in Nordafrika ab und verschaffen sich selbst den Zugang zu den Luxusgütern des islamisch geprägten Raumes. Sie verfolgen intensive Handelsbeziehungen mit Tunesien und Ägypten und vermitteln deren Güter wiederum auf die großen Messen im lombardischen Pavia, dem zentralen Handelsplatz des frühen Hochmittelalters.

Raffiniert taktiert Amalfi zwischen den Welten, zwischen dem angeschlagenen Byzanz und den Langobarden wie zwischen Kaiser und Papst. Die Stadt entsendet sogar Schiffe zur Verteidigung Roms, und als der Flottenverband mit Neapel und Gaeta bei Ostia die Sarazenen schlägt, steigt das Fischerdorf zur Seerepublik auf: Byzanz erkennt die strategische Bedeutung Amalfis als Tor ins westliche Mittelmeer und stattet die Kaufleute mit Privilegien aus.

Der Begriff der „Seerepublik“ ist auf italienische (damals richtigerweise: italische) und dalmatische Städte anwendbar, die auf den maritimen Handel und das Meer ausgerichtet sind, die über eine leistungsfähige Handelsflotte verfügen, Seewege kontrollieren und deren Führungsschicht fast immer aus Fernkaufleuten besteht. Streng genommen kann man von „Republik“ erst sprechen, wenn eine kommunale Selbstverwaltung erkämpft wurde, was ab etwa 1100 der Fall war. Mit Beginn des zwölften Jahrhunderts bilden sich in den Kommunen sogenannte Schwurgemeinschaften, Wahlen finden statt, kleinere und größere Räte organisieren die Verwaltung, die Bürger nehmen Positionen in den kommunalen Regierungen ein.


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mare No. 106

No. 106Oktober / November 2014

Von Christian Schüle

Christian Schüle, Jahrgang 1970, studierte Philosophie und Politische Wissenschaft, ist freier Autor und lebt in Hamburg. In mare No. 96 schrieb er über jene Macht, die die Ägide der vier Seerepubliken einmal ablösen sollte: die Niederländische Ostindien-Kompanie.

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Vita Christian Schüle, Jahrgang 1970, studierte Philosophie und Politische Wissenschaft, ist freier Autor und lebt in Hamburg. In mare No. 96 schrieb er über jene Macht, die die Ägide der vier Seerepubliken einmal ablösen sollte: die Niederländische Ostindien-Kompanie.
Person Von Christian Schüle
Vita Christian Schüle, Jahrgang 1970, studierte Philosophie und Politische Wissenschaft, ist freier Autor und lebt in Hamburg. In mare No. 96 schrieb er über jene Macht, die die Ägide der vier Seerepubliken einmal ablösen sollte: die Niederländische Ostindien-Kompanie.
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