Verloren zwischen Land und Meer

Tückisch und unberechenbar ist das Watt selbst für erfahrene Wattläufer. Johann Franzen kam mit dem Schrecken davon

Am 12. September 2006 steht der Ossengoot auf dem Programm, ein Priel, etwa sieben Kilometer draußen vor Büsum. Um 9.30 Uhr marschiert die Gruppe los, barfuß, vorneweg Johann Franzen, der wie immer Handy, Leine, Signalpistole, Verbandskasten, Kompass, Seekarte, Traubenzucker und Wasser dabeihat. Laut amtlichem Tidekalender ist Niedrigwasser um 10.47 Uhr. Auf dem festen Sandwatt lässt sich an diesem Morgen gut laufen.

Johann Franzen, 55, ist ein großer, kräftiger Mann, sein Gesicht braun gebrannt von den Tausenden Stunden, die er in der Natur verbracht hat. Seit 25 Jahren arbeitet er als Wattführer. Die wundersame Schlicklandschaft vor der Küste Schleswig-Holsteins ist seine Welt. Wer Franzen sieht, spürt sofort: Diesem Mann kann man vertrauen.

Das tun auch die 15 Touristen, die sich für die fünfstündige Wattwanderung angemeldet haben. Ein Großvater mit seinem 13-jährigen Enkel, zwei Frauen Mitte zwanzig, eine 57-jährige Krankenschwester aus Frankfurt. Die meisten sind zwischen 50 und 70. Eine ganz normale Gruppe. Niemand ahnt, dass die heutige Tour beinahe in einer Katastrophe enden wird.

Warum auch? Seit Jahren ist niemand mehr im schleswig-holsteinischen Watt ertrunken. Und die Bedingungen heute sind optimal. 30 Kilometer beträgt die Sicht. Es ist zwei Tage nach Springflut, höher auflaufendes Wasser ist daher nicht zu erwarten. Der Wind weht schwach aus Südost, und am wolkenlosen Himmel strahlt die Sonne. 25 Grad werden es heute, ein herrlicher Spätsommertag.

Zunächst wandert die Gruppe ein Stückchen parallel zur Küste, dann geht es hinaus Richtung Ossengoot, der auch bei Ebbe nicht passierbar ist. „Dort spürt man den Puls der Nordsee“, erzählt Franzen seinen Gästen. „Am Ossengoot steht das Wasser nie still, es läuft ab und wieder auf.“ Um 12.30 Uhr erreichen sie den Priel, wo sie eine Picknickpause einlegen. Die Wanderer holen ihre belegten Brote hervor und beobachten, wie der Ossengoot in den Hauptpriel Norderpiep mündet, ein großartiger Anblick.

Kurz darauf machen sie sich auf den Rückweg. Mittlerweile läuft das Wasser wieder auf, aber es gibt keinen Grund zur Eile. Auch dass drei Frauen aus der Gruppe immer wieder zurückfallen, bereitet Franzen keine Sorgen. „Wir waren gut in der Zeit, da war es völlig okay, auch mal fünf oder zehn Minuten zu warten.“ Was Franzen nicht weiß: Es sind kostbare Minuten, die ihm fehlen werden.

Bewusst wird ihm das erst, als er mit seinen Gästen das Scholl-Loch erreicht, einen kleineren Priel. Sie hatten ihn bereits auf dem Hinweg überquert, da war er noch ein harmloser Bach. Jetzt steht Franzen völlig überrascht vor einem 100 Meter breiten Fluss. „Ich dachte: Das gibt’s doch nicht! Das Scholl-Loch voller Wasser!“


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mare No. 80

No. 80Juni / Juli 2010

Von Jan Keith und Heike Ollertz

Jan Keith, Jahrgang 1971, mare-Redakteur, hat schon etliche Wattwanderungen gemacht. Nie ist etwas passiert.

Heike Ollertz, geboren 1967, Fotografin in Hamburg, war noch nie im Watt, will das aber nachholen. „Am liebsten hätte ich Herrn Franzen als Wattführer.“

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Vita Jan Keith, Jahrgang 1971, mare-Redakteur, hat schon etliche Wattwanderungen gemacht. Nie ist etwas passiert.

Heike Ollertz, geboren 1967, Fotografin in Hamburg, war noch nie im Watt, will das aber nachholen. „Am liebsten hätte ich Herrn Franzen als Wattführer.“
Person Von Jan Keith und Heike Ollertz
Vita Jan Keith, Jahrgang 1971, mare-Redakteur, hat schon etliche Wattwanderungen gemacht. Nie ist etwas passiert.

Heike Ollertz, geboren 1967, Fotografin in Hamburg, war noch nie im Watt, will das aber nachholen. „Am liebsten hätte ich Herrn Franzen als Wattführer.“
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