Unterwassermarsch

40 Meter unter der Oberfläche des Ärmelkanals gleitet „U17“ dahin. Die Beherrschung der Technik auf engstem Raum und die exakte Ausführung von Befehlen bringen das U-Boot immer wieder auf- und vorwärts. Der Druck ist gewaltig – auf Schiff und Mannschaft

Die Elbmündung liegt achteraus, und „U17“ nimmt Kurs auf die offene Nordsee. Überwassermarsch notiert Oberbootsmann Ron Alexander im Logbuch, die ungemütlichste Gangart in einem U-Boot, besonders wenn der Wind wie jetzt mit Stärke sechs weht und die Wellen von der Seite auf den Rumpf knallen. Das U-Boot ist rund wie ein Stehaufmännchen. Bei Druck von Steuerbord legt es sich widerstandslos nach Backbord, so weit, wie es der tiefe Schwerpunkt erlaubt, dann rollt es zurück in die Gegenrichtung. Der Neigungsmesser über dem Durchgang zum Maschinenraum schlägt aus wie das Pendel einer Uhr. Wenn man nur den Horizont fixieren, den Gleichgewichtssinn eichen könnte.

Aber ein U-Boot hat keine Fenster; es ist ein Elend für alle, die seekrank werden. Wer keinen Dienst hat, verkeilt sich mit den Knien schlingerfest in der Koje, was nicht fest verzurrt ist, schwingt im Rhythmus der Wellen. Parkas und Uniformjacken, Ölzeug, dazwischen eine Salami und ein Räucherschinken, die Netze mit Brot und Nudeln unter der Decke, alles schwankt. Warum geht „U17“ nicht einfach auf Tauchstation? Warum verdrückt sich das U-Boot nicht einfach in Tiefen, wo ihm die Wellen nichts anhaben können? „Die Nordsee ist zu flach“, sagt Steuermann Alexander, „unter den Frachtern und Tankern bleibt nicht genügend Platz für uns.“ Also weiter wanken, bis zum Eingang des Ärmelkanals, dann wird getaucht.

Inneres Gefecht.
„Zur Übung! Feuer im Schiff! Es brennt in der Kombüse! Zur Übung!“ Die Freiwache hangelt sich aus den Kojen, greift nach den roten Beuteln, die unter der Decke baumeln – mit der Tauchermaske, dem Anschluss für die Atem-Notluft-Anlage. Feuer ist der Albtraum. Wenn der ganze Kabelsalat hier schmort, ziehen sofort giftige Gase durchs Schiff. Wie Anfang Oktober, als auf der kanadischen „Chicoutimi“ ein Schaltpult durchbrennt. Das U-Boot ist manövrierunfähig, ein Mann stirbt, Rauchverletzungen.

Die Brandbekämpfer halten über die Sprechanlage ihren Kommandanten auf dem Laufenden, der jede Meldung mit einem knappen „Ja“ quittiert. „Einsatzleiter kommt durch.“– „Ja.“ – „Platte mit Fett brennt.“ – „Ja.“ – „Brandabwehrtrupp kommt durch.“ – „Ja.“ – „Feuer unter Kontrolle.“ – „Ja.“ – „Das Boot wird mit einem Diesel durchgelüftet.“ – „Ja.“ Bei Überwasserfahrt atmen die Maschinen durch den Schnorchel im Turm. Wird der verriegelt, holen sich die Diesel ihre Luft aus dem Schiffsinneren. Der Rauch zieht ab, der Luftdruck sinkt. Das Ventil zum Schnorchel wieder auf. Frische Luft strömt nach, dass es in den Ohren knackt. „Boot ist rauchgasfrei.“ – „Ja.“ In einem U-Boot geht es beim inneren Gefecht um Leben und Tod. Die Besatzung probt es täglich.

20 Uhr, Wachwechsel. Der Zweite Wachoffizier (IIWO) Frédéric Strauch und Sonarmaat Anja Kemsies lösen die Besatzung auf dem Turm ab. Sechs Lagen gegen die Februarkälte, Thermo-Unterwäsche, Pullover und Faserpelze, darüber den wasserdichten Überlebensanzug, Neoprenhandschuhe, extra Fäustlinge, die beiden können sich kaum noch bewegen. „Zwei Mann Brücke!“, ruft Strauch, und beide klettern die Leiter zum Turm hoch; nach oben geht es nur im Einbahnverkehr. Es ist eine finstere Nacht, und aus dem eisigen Nichts klatscht einem die Gischt ins Gesicht, die der Bug nach hinten wirft. Das Schanzkleid der Brücke reicht knapp bis zur Brust, Schutz ist etwas anderes. „Das sind die Freuden des Cabriofahrens“, knurrt der IIWO, und Ausguck Kemsies macht ein grimmig entschlossenes Gesicht. Wie lange wirkt Willenskraft gegen Kälte? Zwei Stunden hoffentlich, dann wird sie abgelöst. Der Wachoffizier muss vier Stunden durchhalten.

„Wenn es ungemütlich wird, also bei drei, vier Meter Welle, können wir das Boot auch von unten fahren. Nur haben wir am Radar einfach nicht die gleiche Übersicht, wenn es eng wird“, erklärt Strauch. Über den Bildschirm in der Operationszentrale (OPZ) zieht der Schiffsverkehr als harmloser Schwarm von Lichtpunkten, denen nicht anzusehen ist, ob sie bei einem Kollisionskurs noch rechtzeitig abdrehen. Das U-Boot hat eine schmale Silhouette, sein Turm ragt nur ein paar Meter über die Wellenberge hinaus. „Wir müssen davon ausgehen, dass die uns von ihrer Brücke nicht sehen“, erklärt Strauch und zeigt auf die Lichter, zwei weiße und ein grünes, die sich schnell von Steuerbord nähern. Der Mann am Radar in der OPZ hat für den Aufkommer einen Punkt der geringsten Entfernung von vier Kabellängen errechnet – vier Zehntel einer Seemeile, etwa 700 Meter, und das ist auf See kein übertriebener Sicherheitsabstand. Der Bremsweg bei einem großen Containerfrachter beträgt ein paar Kilometer. Dieser zieht vorbei, ohne dass es kritisch wird.


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mare No. 47

No. 47Dezember 2004 / Januar 2005

Von Olaf Kanter

Olaf Kanter, geboren 1962, hat Anglistik und Geschichte studiert. Bei der Zeitschrift mare betreute er bis Ende 2007 die Ressorts Wissenschaft und Wirtschaft. Seit 2008 ist er Textchef im Ressort Politik bei Spiegel Online. Er lebt in Hamburg.

Petra Koßmann, geboren 1973 im Sauerland. Lebt seit 1997 in Berlin und absolvierte am Lette-Verein ihre Ausbildung zur Fotografin. Seit November 2000 arbeitet sie in der Bildredaktion von mare. Neben dem Heft ist sie verantwortlich für den World Ocean Review und die Buchcover.

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Vita Olaf Kanter, geboren 1962, hat Anglistik und Geschichte studiert. Bei der Zeitschrift mare betreute er bis Ende 2007 die Ressorts Wissenschaft und Wirtschaft. Seit 2008 ist er Textchef im Ressort Politik bei Spiegel Online. Er lebt in Hamburg.

Petra Koßmann, geboren 1973 im Sauerland. Lebt seit 1997 in Berlin und absolvierte am Lette-Verein ihre Ausbildung zur Fotografin. Seit November 2000 arbeitet sie in der Bildredaktion von mare. Neben dem Heft ist sie verantwortlich für den World Ocean Review und die Buchcover.
Person Von Olaf Kanter
Vita Olaf Kanter, geboren 1962, hat Anglistik und Geschichte studiert. Bei der Zeitschrift mare betreute er bis Ende 2007 die Ressorts Wissenschaft und Wirtschaft. Seit 2008 ist er Textchef im Ressort Politik bei Spiegel Online. Er lebt in Hamburg.

Petra Koßmann, geboren 1973 im Sauerland. Lebt seit 1997 in Berlin und absolvierte am Lette-Verein ihre Ausbildung zur Fotografin. Seit November 2000 arbeitet sie in der Bildredaktion von mare. Neben dem Heft ist sie verantwortlich für den World Ocean Review und die Buchcover.
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