Unheiliges Land

Aus dem Kampf um Wasser ist in Palästina ein Kampf gegen die Natur geworden. Palästinenser, Syrier und Jordanier und Israelis beuten die Ressourcen rücksichtslos aus. Das Sterben ihrer wichtigsten Wasserader, des Jordans, ist nur noch schwer aufzuhalten

Der Jordan ist tot.

Plötzlich taucht er wieder auf. Er plätschert, rinnt und rauscht und ist schon wieder fort. Gleich wird er in Korsette gezwängt, durch Kanäle gepresst, missbraucht, gedemütigt. Er röchelt, schäumt, versickert und sedimentiert, und wenn er nach 200 Kilometern ins Tote Meer mündet, ist er kein Fluss mehr, sondern eine Parodie auf sein großes Einst. Was bleibt, ist der große Mythos und der ewige Kampf um Wasser im Heiligen Land.

Der Sechstagekrieg liegt 44 Jahre zurück, und zwischen den Gestrüppen auf den Golanhöhen stehen noch immer Skelette kleiner Panzer. In den Dörfern patrouillieren israelische Soldaten, das MG im Anschlag. Sie fahren unterhalb der UN-Pufferzone, die Israel und Syrien voreinander schützt, oder sie flanieren auf den Straßen der Dörfer des Bergs Hermon und essen Hummus und syrische Teigrollen an arabischen Garküchen. Noch häufiger als sonst im Land sind an den Ausläufern dieser sandfarbenen Berge Gitterkäfige mit Wasserpumpen zu bemerken, als wäre jeder Käfig ein Hochsicherheitsgeviert. Ab und an donnert der Hall einer Explosion, und es rattern die Rotoren eines Hubschraubers. Was wie Krieg klingt, sind Wehrübungen des israelischen Militärs – eine Demonstration der Schlagkraft an strategisch brisanter Stelle.

Friedlich, verschämt und ohne vom anderen zu wissen, furchen sich eine ganze Weile zwei Bäche durch die manchmal rostrote Erde und den pockennarbigen Sandstein zwischen Golan und Galiläa. Der eine Bach, Dan, ist petrolfarben und fließt zügig von Nordwest; der andere, Banias, ist schlammfarben und dümpelt von Nordost. Kurz nach Bet Hillel, beim Städtchen Kefar Blum im Hula-Becken, einem Naturschutzgebiet mit Abermillionen Zugvögeln, Kormoranen, Weißstörchen, Pelikanen und Kranichen auf ihrer Reise von Europa nach Afrika und zurück, formiert sich auf einmal eine Art Zunge: eine schmale Halbinsel, an deren Spitze, unter hochragenden Weiden und Platanen, ein unbesetzter roter Stuhl steht, als säße sonst auf ihm ein Schiedsrichter, der über die ordnungsgemäßen Umstände wacht, aber wahrscheinlich nur nahelegt, dass es sich hier um einen besonders schönen Platz handelt. Von rechts kommt der Dan, von links der Banias, und dann berühren sie sich ohne großen Aufwand. Flüsseln ineinander, als begehrten sie sich seit je. An den Ufern rascheln hochragende Schilfstauden, der Abendwind schleicht sich heran, und Blüten duften süßlich. Heftiges Vogelzwitschern in allen Tonarten. Und kein Mensch. So romantisch beginnt der Jordan.

 

 

An manchen Stellen ist er noch 30 Zentimeter tief, an anderen nicht einmal fünf Meter breit. Ein großer Teil seines Wassers ist abgezweigt, Schätzungen gehen von bis zu 98 Prozent Zweckentfremdung aus. Von jährlich 1,3 Milliarden Kubikmeter Wasser vor 50 Jahren seien dem Jordan noch 30 Millionen geblieben. Die Gefahr von Hautausschlägen in seinem Wasser ist so groß wie die von Pestizidvergiftungen. Seit Jahrzehnten werden ätzende Salzlaugen zugeführt und Exkremente von einigen hunderttausend Menschen auf beiden Seiten eingeleitet. Pessimisten prophezeien dem Jordan künftig noch ein Fünftel seines jetzigen Volumens, und kurz nach dem südlichen Ende des Sees Genezareth ist der Fluss erst einmal verschwunden.

Wo er fließlogisch austreten müsste, gibt es ihn nicht. Die Suche in Schilf und Gehölz dauert länger als erwartet, dann tauchen aufs Neue zwei Bäche auf: linker Hand die flussartige Verlängerung eines großen Beckens, rechter Hand ein brackigbraunes Flüsschen, dessen Wasser aus der Öffnung eines lange unterirdischen Rohrs in ein neues Bett sprudelt. Jenseits, in 50 Meter Entfernung, aber eröffnet sich eine Idylle: Äste tauchen lianengleich ins Wasser eines Baches, Baumkronen spiegeln sich in der Politur einer unbewegten Oberfläche. An den Ufern lagern Reste ausgelassener Sabbatpicknicke: Gabeln, Papier, Plastikflaschen, Feuerstellen. Und im Hintergrund: ein beständiges Rauschen. Aus einem Rohrende quillt Kloaken-, aus einem anderen fließt Seifenwasser, der Schaum umschmeichelt Schilfgras im sumpfartigen Becken. Ein Palmenstamm, Gehölz und Plastikflaschen schwimmen an. Dann steht das Wasser wieder. Weiter geht es nicht. Aber wo ist der Jordan?

Ohne seine mystische Macht kann man diesen berühmtesten Fluss der Welt nicht verstehen. Seit biblischen Tagen ist er das Versprechen auf Erlösung in einem Land, in dem fast jeder Ort heilsgeschichtlich aufgeladen, religiös okkupiert, politisch instrumentalisiert und medial vereinnahmt ist. Im und um den Jordan herum spielte sich israelitische, islamische und vor allem christliche Geschichte ab. Den drei großen Offenbarungsreligionen (und also der Hälfte der Menschheit) ist der Fluss heilig. Einst, berichtet das Alte Testament, soll, vom Berg Nebo her kommend, das Volk der Hebräer durchs Flussbett des Jordans gezogen sein und Gott, der Herr, das Wasser zurückgehalten haben, während Joshua – nach Moses der neue Führer der Israeliten – in der Mitte zwölf Steine errichtete, für jeden Hebräerstamm einen. Und als sie den Jordan überschritten hatten, zogen 40 000 bewaffnete Männer weiter zum Kampf um Jericho und begannen, sich gewaltsam das von ihrem Herrn versprochene Land zu nehmen. Nicht weit von Jericho entfernt, dort wo der Jordan ins Tote Meer mündet, wurde später Jesus Christus von Johannes getauft, und an den östlichen Ufern auf jordanischer Seite sind in größeren und kleineren Moscheen bedeutende Gefährten und Interpreten des Propheten Mohammed begraben.


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mare No. 87

No. 87August / September 2011

Von Christian Schüle und Robert Voit

Christian Schüle, Jahrgang 1970, studierte Philosophie und Politische Wissenschaft in München und Wien und lebt als freier Autor in Hamburg. Zuletzt erschienen seine Bücher „Vom Ich zum Wir“ und „Die Bibel irrt“. Nach Israel und Jordanien ist er immer wieder gereist, fasziniert von den großen Mythen des Nahen Ostens. Den legendären Jordan bis zum Toten Meer hinabzufahren war für ihn das Eintauchen in einen großen Mythos der Weltgeschichte – den immer kümmerlicheren Zustand des Flusses dagegen zu ertragen eine leidvolle Erfahrung.

Robert Voit, 1969 geboren in Erlangen, studierte an der Kunstakademie Düsseldorf bei dem Fotografiekünstler Professor Thomas Ruff. Voit ist ein Magier des Lichtes, der seine Großformatkamera mit der Leichtigkeit einer Kleinbildkamera bedient. Seine Arbeiten sind in Museen im In- und Ausland zu sehen.

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Vita Christian Schüle, Jahrgang 1970, studierte Philosophie und Politische Wissenschaft in München und Wien und lebt als freier Autor in Hamburg. Zuletzt erschienen seine Bücher „Vom Ich zum Wir“ und „Die Bibel irrt“. Nach Israel und Jordanien ist er immer wieder gereist, fasziniert von den großen Mythen des Nahen Ostens. Den legendären Jordan bis zum Toten Meer hinabzufahren war für ihn das Eintauchen in einen großen Mythos der Weltgeschichte – den immer kümmerlicheren Zustand des Flusses dagegen zu ertragen eine leidvolle Erfahrung.

Robert Voit, 1969 geboren in Erlangen, studierte an der Kunstakademie Düsseldorf bei dem Fotografiekünstler Professor Thomas Ruff. Voit ist ein Magier des Lichtes, der seine Großformatkamera mit der Leichtigkeit einer Kleinbildkamera bedient. Seine Arbeiten sind in Museen im In- und Ausland zu sehen.
Person Von Christian Schüle und Robert Voit
Vita Christian Schüle, Jahrgang 1970, studierte Philosophie und Politische Wissenschaft in München und Wien und lebt als freier Autor in Hamburg. Zuletzt erschienen seine Bücher „Vom Ich zum Wir“ und „Die Bibel irrt“. Nach Israel und Jordanien ist er immer wieder gereist, fasziniert von den großen Mythen des Nahen Ostens. Den legendären Jordan bis zum Toten Meer hinabzufahren war für ihn das Eintauchen in einen großen Mythos der Weltgeschichte – den immer kümmerlicheren Zustand des Flusses dagegen zu ertragen eine leidvolle Erfahrung.

Robert Voit, 1969 geboren in Erlangen, studierte an der Kunstakademie Düsseldorf bei dem Fotografiekünstler Professor Thomas Ruff. Voit ist ein Magier des Lichtes, der seine Großformatkamera mit der Leichtigkeit einer Kleinbildkamera bedient. Seine Arbeiten sind in Museen im In- und Ausland zu sehen.
Person Von Christian Schüle und Robert Voit