Tödliche Bleiche im Paradiesgarten

Nach dem großen Sterben zeigen die Korallenriffe Zeichen von Erholung. Doch die Forscher bangen weiter

In 30 Metern Tiefe scheint die Welt noch in Ordnung. Ein Barrakuda, stattliche eineinhalb Meter lang, schwimmt zielstrebig zu einer Höhle in einem mit Korallen überwucherten Hang. Dort verrichten schwarz-blau gestreifte Putzerfische ihren Dienst: Sie befreien einen Doktorfisch, der zehnmal so groß ist wie sie, von lästigen Hautparasiten. „Einmal Rücken, Kiemen, Schwanzflosse“ könnte der Auftrag lauten, denn an diesen Stellen wird eifrig geknabbert. Wenn die Diener dem Doktor zu stark unter die Haut gehen, zuckt er zusammen. Der alte Barrakuda, silbrig glitzernd, wartet geduldig, bis er an der Reihe ist.

Graue Riffhaie mit bulligen, mindestens zwei Meter langen Leibern ziehen gelassen ihre Bahnen, nur zwanzig Meter von ein paar Tauchern entfernt. Die fühlen sich im Süd-Ari-Atoll der Malediven wie in einem unterseeischen Wunderland: In rot-gelb-grüner und blauer Pracht präsentieren sich Schwämme und „Blumentiere“ – so heißen die Seeanemonen, Weich- und Steinkorallen unter Biologen. Schwerelos schweben die in Neopren gewandeten Fremdlinge durch verwunschene Gärten mit meterhohen Peitschenkorallen und Gorgonienfächern, ein Farbenrausch wie auf einem impressionistischen Gemälde. Wer könnte nicht ins Schwärmen geraten angesichts dieser marinen Parklandschaft?

So winzig die Korallenpolypen im Einzelnen sind, so spektakulär ist ihre Leistung insgesamt. Sie errichteten die Fundamente von Inselstaaten und Riffe wie das Great Barrier Reef vor Australien, das manchmal als achtes Weltwunder bezeichnet wird. Die massive ozeanische Barriere, die wir heute an der Wasseroberfläche sehen, entstand nach der Eiszeit und ist mindestens 10000 Jahre alt. Korallen sind die einzigen Tiere, deren Bauwerke Astronauten aus dem All noch mit bloßem Auge erkennen können.

Was den Tauchern im Indischen Ozean in 25 bis 30 Meter Tiefe zunächst nicht in den Sinn kommt: Das einzigartige Naturerbe ist bedroht, obwohl die Rifflandschaften meist fernab der industrialisierten Welt liegen. Doch je weiter die Aquanauten nach oben tauchen, desto mehr lichtet sich der lebende Bewuchs am Korallenhang. Und auf dem Riffdach, in zwölf Metern Tiefe, sind die Zeichen der Zerstörung mehr als deutlich. Immer wieder sieht man bleiche Korallenskelette, die von einem grün-braunen Algenflor überzogen sind. Das sind die Spuren des weltweiten Korallensterbens im Jahr 1998, als die Meerestemperaturen wegen des Klimaphänomens El Niño höher lagen als sonst. Dieses natürliche Ereignis, das alle fünf bis zehn Jahre auftritt, erwärmt das Oberflächenwasser des Pazifischen Ozeans um bis zu zehn Grad (siehe auch Seite 10). Die Inselgruppe der Malediven, eine der beliebtesten Tauchdestinationen der Welt, war mit am stärksten von der Korallenbleiche betroffen.

„Das mit ansehen zu müssen, war für uns alle ein Schock“, erinnert sich Thomas Meyer, der die Tauchbasis auf Machchafushi-Island im Süd-Ari-Atoll leitet. Binnen einer Woche entfärbte sich das impressionistische Gemälde wie nach einem Säure-Attentat. In totenbleichem Weiß liegt das Hausriff seither danieder, zumindest das Riffdach direkt unter der Wasseroberfläche ist komplett abgestorben. Zwei Taucher, die schon vor 1998 auf Machchafushi Urlaub gemacht haben, sind nach ihrem ersten Schnorchelgang durchs Hausriff sprachlos. Betreten stehen sie am Strand und starren kopfschüttelnd auf die Lagune. „Nicht wiederzuerkennen“, murmelt der eine dann. „Hier war mal eine paradiesische Korallenlandschaft“, sagt der andere.

„Eine so schwerwiegende weltweite Zerstörung der lebenden Korallenbestände wie 1998 wurde nie zuvor beobachtet“, erklärt der Korallenspezialist Götz Reinicke vom Deutschen Meeresmuseum in Stralsund. Bis auf einige entlegene Eilande im Pazifik waren alle Riff-Standorte der tropischen Meere vom „Coral Bleaching“ betroffen. In manchen Regionen, etwa im Indischen Ozean, starben einige Riffsysteme vollständig ab.

Ein Korallenstock besteht aus vielen Einzeltieren, den Polypen. Diese beherbergen einzellige Algen in ihrem Gewebe, die ihnen Nährstoffe liefern und ihnen die prächtige Farbe verleihen. Die Algen, wissenschaftlich Zooxanthellen genannt, liefern bis zu 95 Prozent ihrer Photosynthese-Produktion beim Wirt ab: Zucker, Kohlenhydrate, Eiweiß-Bausteine. Für Korallen eine willkommene Beilage – ansonsten ernähren sie sich von vorbeischwimmenden Kleinstorganismen. Umgekehrt dienen die Ausscheidungen der Korallen, Ammonium und Phosphat, den Algen als Dünger. Eine Allianz auf Gegenseitigkeit also.

Bei steigenden Wassertemperaturen stoßen die Korallen ihre Mitbewohner, die gelbgrünen bis bräunlichen Algen aus. Das durchscheinende Kalkskelett bestimmt dann die Farbe: Weiß. Ohne ihre Partner aber sind die Korallen auf Grund des gestörten Stoffwechsels nicht lange lebensfähig. Viele sterben bald nach der Bleiche ab, wenn sich das Wasser nicht binnen weniger Tage abkühlt und sie sich aus ihrer Umgebung neue Algen herausfangen können. Warum die Korallen ihre Untermieter rausschmeißen, ist noch nicht völlig geklärt. Wahrscheinlich wird der Photosynthese-Apparat der Algen durch Wärme lahm gelegt. Es entstehen so genannte „freie Radikale“, aggressive Substanzen, die zellschädigend wirken.

In den Tropen hat die durchschnittliche Meerestemperatur in den letzten hundert Jahren um fast ein Grad Celsius zugenommen. Während des gerade begonnenen Jahrhunderts wird mit einem weiteren Anstieg von ein bis zwei Grad gerechnet. Aus menschlicher Sicht mag das harmlos erscheinen, aber für Korallen können ein paar Grad mehr oder weniger über Leben und Tod entscheiden. „Riffbildende Korallen leben bereits jetzt an der Obergrenze ihres Temperaturlimits“, warnt Ove Hoegh-Guldberg, Direktor des Coral Reef Institute der Universität von Sydney in Australien. Die Obergrenze der Blumentiere liegt bei 30 Grad.


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mare No. 23

No. 23Dezember 2000 / Januar 2001

Von Monika Rößiger

Monika Rößiger war mare-Wissenschaftsredakteurin. Als Taucherin kennt sie das Phänomen der Korallenbleiche seit den achtziger Jahren.

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Vita Monika Rößiger war mare-Wissenschaftsredakteurin. Als Taucherin kennt sie das Phänomen der Korallenbleiche seit den achtziger Jahren.
Person Von Monika Rößiger
Vita Monika Rößiger war mare-Wissenschaftsredakteurin. Als Taucherin kennt sie das Phänomen der Korallenbleiche seit den achtziger Jahren.
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