Tierische Therapeuten

Kann es Behinderten helfen, mit Delfinen zu baden?

Für Richard und Cathy Conibear war die Begegnung mit wilden Delfinen eine „wundervolle Erfahrung“. Vor einem Jahr waren sie mit ihrem dreijährigen Sohn Alexander, der von Geburt an schwer behindert ist, von England nach Hawaii geflogen. Mit einer Delfinkennerin fuhren sie per Boot ein paar hundert Meter vor die Küste der Hauptinsel Wahoo. An einer Stelle, wo sich rund 50 Delfine tummelten, gingen sie mit Alexander ins Wasser. Er ist gelähmt und fast blind, er kann nicht sprechen und hat kaum je gelächelt.

Nach kurzer Zeit schwammen ein paar Delfine herbei, neugierig näherten sie sich bis auf Armeslänge und musterten das behinderte Kind. Der Junge lauschte aufmerksam den Geräuschen, gab begeisterte Lall-Laute von sich und versuchte, sich in Richtung der Meeressäuger zu bewegen. Das Schönste aber für die Eltern war: Ihr Sohn lächelte!

„So entspannt wie mit den Delfinen haben wir Alexander nie zuvor erlebt“, schwärmt Richard Conibear. Es folgten weitere Begegnungen mit gefangenen Delfinen, in einem hawaiianischen Freizeitpark und in einer abgesperrten Lagune. Das Ergebnis war jedes Mal gleich: Die Tiere widmeten sich vor allem dem Jungen, und zwar so vorsichtig, „als wüssten sie, dass er besonders schutzbedürftig ist.“ Ein Delfin schnappte im Wasser etwas Seegras und warf es dem Jungen auf den Kopf. Unter Artgenossen gilt das als Aufforderung zum Spielen. Alexander zeigte sich im Beisein von Delfinen aufmerksam und gelöst; nur einmal, als er müde war, reagierte er kaum auf sie.

Seit der Begegnung mit den Delfinen lächelt Alexander öfter als vorher und ist öfter entspannt, berichtet sein Vater. Darüber hinaus gibt es aber keine Langzeitwirkung. Um andere Eltern mit behinderten Kindern bei der Suche nach einer Delfintherapie zu unterstützen, haben er und seine Frau Cathy eine Selbsthilfegruppe gegründet. Sie sammeln Informationen über entsprechende Therapie-Angebote von Florida über Hawaii bis Elat am Roten Meer.

Obwohl ihre eigene Erfahrung mit den Meeressäugern für die Conibears „überwältigend“ war, warnen sie andere Eltern vor übertriebenen Hoffnungen ebenso wie vor Geschäftemacherei und Missbrauch der Tiere in Gefangenschaft. „Ein Delfin kann eine Therapie unterstützen“, erklärt Richard Conibear, „aber er vollbringt keine Wunder.“ Auch hält er es für möglich, dass die Reaktionen von Alexander nicht durch die Delfine allein hervorgerufen wurden, sondern durch andere Faktoren: Sonne, Meer, feuchtwarme Tropenluft oder die Urlaubsstimmung der Eltern.

Dass Schwimmen mit Delfinen bei behinderten Kindern oft zu positiver Resonanz führt, ist unbestritten. Das gilt allerdings auch für heilpädagogisches Reiten oder andere Therapieformen, bei denen zum Beispiel Hunde oder Katzen eingesetzt werden. Ob der Delfin mehr als jedes andere Tiere zum Co-Therapeuten prädestiniert ist, darüber streiten die Gelehrten. Wissenschaftlich bewiesen ist diese Sonderrolle bislang nicht.

Bekanntester Befürworter der Delfintherapie ist der US-Psychologe David Nathanson. Seit Ende der siebziger Jahre untersucht er den Einfluss von Delfinen auf das Lernvermögen körperlich und geistig behinderter Kinder. 1998 kam er in einer Studie zu einer bemerkenswerten Aussage: Sowohl Sprach- als auch Bewegungsfähigkeiten der behinderten Kinder hätten sich bereits nach zwei Wochen Delfintherapie erheblich verbessert. Der Effekt sei deutlich größer als bei einer mindestens sechsmonatigen konventionellen Sprach- oder Körpertherapie.

Doch Nathansons Studie ist nicht unumstritten. Neurobiologen wie Lori Marino von der Emory-Universität in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia bezweifeln seine wissenschaftliche Seriosität aufgrund „methodischer Schwächen“. Etwa, dass es keine Kontrollversuche gab. So wisse man nicht, ob der Nutzen speziell auf die Delfine oder die Begleitumstände wie Schwimmen im warmen Wasser zurückgeht.

Nun gibt selbst Nathanson zu, dass weitere Untersuchungen notwendig seien, um die Erfolgsquote von Delfinen mit anderen Tieren zu vergleichen. Gegenüber Haustieren besitzen Delfine jedoch einen Exotenbonus: mystisch verklärte Wesen, die immer „lächeln“. Delfin plus behindertes Kind, das addiert sich zum doppelten Kindchenschema. Das öffnet Herzen und Portemonnaies – für die Besitzer von Delfinarien die Chance, ihr angeschlagenes Image aufzupolieren. Fluglinien, die Gratis-Tickets zum Delfin spendieren, tun Gutes und reden darüber.

Doch Delfine sind keine Heiligen. Wenn die Tiere in die Flegeljahre kommen, werden sie ungestüm, unberechenbar und neigen zu „sexueller Belästigung“. Die Leute seien oft geschockt, sagt die Anthropologin Betsy Smith, die jahrelang in Florida als Delfintherapeutin gearbeitet hat, wenn sie mit Delfinen schwimmen und ein Männchen sie plötzlich mit seinem Penis berührt. Solche Verhaltensweisen werden den Tieren in vielen Delfinarien abtrainiert, ebenso wie Aggressivität. Nicht immer mit Erfolg. So kann es sein, dass Menschen mit genau der Seite der Delfine konfrontiert werden, die so gar nicht zum Image der gütigen Unterwasser-Krankenschwester passt.


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mare No. 19

No. 19April / Mai 2000

Von Monika Rößiger und Gianluigi di Napoli

Monika Rößiger ist ehemalige mare-Wissenschaftsredakteurin. In Heft 19 schrieb sie über das Leben der Eisbären.

Gianluigi di Napoli, geboren 1962, ist Fotograf und lebt in München und Mailand. Derzeit arbeitet er an einem Buch über einen Zirkus

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Vita Monika Rößiger ist ehemalige mare-Wissenschaftsredakteurin. In Heft 19 schrieb sie über das Leben der Eisbären.

Gianluigi di Napoli, geboren 1962, ist Fotograf und lebt in München und Mailand. Derzeit arbeitet er an einem Buch über einen Zirkus
Person Von Monika Rößiger und Gianluigi di Napoli
Vita Monika Rößiger ist ehemalige mare-Wissenschaftsredakteurin. In Heft 19 schrieb sie über das Leben der Eisbären.

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