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„Das Geistesleben der Fische wird völlig unterschätzt“, sagt ein deutscher Biologieprofessor in England. Er zeigt uns, dass die Wasserwesen über verblüffende Intelligenz verfügen

Ein junger Goldfisch schlängelt sich im Slalom zwischen Kippstangen hindurch. Ein anderer schwimmt anmutig durch Reifen. Dann beginnen die beiden, gegeneinander Fußball zu spielen, versuchen die Kugel mit der Stirn ins Tor des Gegners zu bugsieren. Jens Krause fiebert mit wie beim letzten Finale der Champions League. „Eindrucksvoll, nicht wahr?“, schwärmt er.

Professor Krause ist Fischforscher. Seit fast zehn Jahren leitet der Biologe mit der langen Mähne eine renommierte Arbeitsgruppe an der britischen University of Leeds, „Krause Lab“ genannt. Zur Entspannung sieht er sich auf dem Laptop Videoaufzeichnungen von Goldfischwettkämpfen an. Er ist begeistert, welche Kunststücke diese Tiere lernen können, wenn man geduldig mit ihnen übt und sie regelmäßig mit Futter belohnt.

Krause selbst hat jedoch ehrgeizigere Ziele, als einem Goldfisch das Fußballspielen beizubringen. Er will verstehen, wie Fische denken. Kürzlich hat er gemeinsam mit Kollegen das Standardwerk „Fish Cognition and Behavior“ herausgegeben, einen Wälzer mit 352 Seiten über Sozialverhalten und kognitive Prozesse bei Fischen. „Das Geistesleben dieser Tiere wird völlig unterschätzt“, sagt der Wissenschaftler. Wenn man sich die winzigen Guppys, Stichlinge und Moskitofische in den Tanks seines Labors so ansieht, ist das schwer zu glauben. Belämmert gucken sie durch die Glasscheiben. Ob das täuscht? Selbst der Kinotrickfilm „Findet Nemo“ aus dem Jahr 2003 gestand dem Fischlein Dorie nur eine Gedächtnisspanne von wenigen Sekunden zu. „Schwer untertrieben“, sagt Krause.

Bereits in den siebziger Jahren untersuchten Verhaltensforscher, wie lange Tiere sich an Futter erinnern können, das man vor ihren Augen versteckt. Fische überwachten das Versteck immerhin drei Minuten lang. Pferde hingegen verharrten nur sechs Sekunden beim Futter – dann schienen sie es vergessen zu haben.

Manche Fische können Informationen sogar monatelang im Gedächtnis behalten, sagt Krause. Zoologen brachten Forellen bei, einen Hebel herunterzudrücken, um Futter zu bekommen. Später entfernten sie die Stange und fütterten die Tiere drei Monate lang, ohne dass die sich dafür anstrengen mussten. Als die Forscher die Hebelvorrichtung im Aquarium wieder anbrachten, wussten die Fische sofort, was sie zu tun hatten.

Welse scheinen ein besonders gutes Gedächtnis zu haben. Charles Eriksen von der University of Illinois in den USA rief ihnen immer „Fish! Fish!“ zu, bevor er sie fütterte. 19 Tiere kamen nach wenigen Tagen auf diesen Lockruf hin angeschwommen. Nach drei Monaten übernahmen andere Leute die Fütterung, ohne Lockrufe. Erst ein Jahr später rief Eriksen die Fische erneut. 14 Exemplare reagierten sofort. Nach weiteren fünf Jahren Pause noch ein Versuch. Verblüfft beobachtete er, dass bereits beim ersten „Fish! Fish!“-Ruf neun Welse herbeischwammen.

Krause und sein Team beschäftigen sich vor allem mit dem Phänomen Schwarmintelligenz. „Never change a winning team“, wissen Fußballtrainer – eine Faustregel, die offenbar auch für Fische gilt. Guppys, die sich bereits länger kennen, schafften es in Experimenten jedenfalls schneller, Futter zu finden, als frisch zusammengewürfelte Gruppen. Doch wie laufen Entscheidungsprozesse in Fischschwärmen ab?

Dieses Rätsel versucht Jolyon Faria im „Krause Lab“ zu lösen. Moskitofischen brachte der Doktorand in einem ersten Schritt bei: Wenn irgendwo am Beckenrand ein rotes Licht aufleuchtet, gibt es kurz darauf an jener Stelle Futter. Faria schaltet das Lämpchen an – und pfeilschnell flitzen sie hin. „Solche Dinge kapieren Fische problemlos“, sagt er. Aber was, wenn plötzlich zwei rote Lichter aufleuchten, an gegenüberliegenden Stellen des Beckenrands? Wie erreichen die Fische Konsens darüber, wohin sie schwimmen sollen?

Faria schaltet nun zwei rote Lämpchen an – gleichzeitig. Die zehn Moskitofische im Becken wirken verwirrt; zögerlich bewegen sie sich in unterschiedliche Richtungen. Durch die Analyse Hunderter Versuche und komplizierte Berechnungen kam jedoch heraus: Manche Fische folgen dem ersten Artgenossen, der sich entschieden hat. Wenn gar zwei Fische vorausschwimmen, sind die Auswirkungen gewaltig. Selbst wenn sich viel mehr Fische in der Nähe von Lichtquelle A befinden, bewegt sich der Schwarm zielstrebig zu Lichtquelle B, sobald zwei Pionierfische dorthin eilen. Der Schwarm folgt zwei Pionieren sogar, wenn sie direkt auf einen Raubfisch zuschwimmen. Trotz Lebensgefahr.

„Beim Menschen scheint das ähnlich zu sein“, sagt Krause. Er steht jetzt an der großen Kreuzung vor dem Bahnhof von Leeds, wo er regelmäßig Studien zum Verhalten von Fußgängern betreibt. Eine Traube von Passanten wartet an der Ampel. Wann gehen die Leute los, obwohl es immer noch Rot ist? Die bisherigen Ergebnisse: Ein einzelner Mensch, der vorausgeht, reicht selten, um den Herdentrieb auszulösen. Zwei Vorbilder jedoch ziehen fast immer einen Großteil der Unschlüssigen mit – genau wie bei Moskitofischen.


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  mare No. 72

No. 72Februar / März 2009

Von Till Hein und Matthew Hawkins

Besonders beeindruckt war der Berliner Autor Till Hein, geboren 1969, von der Tatsache, dass manche Fische Routen von mehreren tausend Kilometern im Gedächtnis behalten. „Rechnen und Fußball spielen kann ich selbst auch ein bisschen“, sagt Hein. „Aber ich verirre mich häufig schon im eigenen Kiez.“

Fotograf Matthew Hawkins, Jahrgang 1964, lebt in London und ist Dozent an der School of Media am London College of Communication.

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Vita Besonders beeindruckt war der Berliner Autor Till Hein, geboren 1969, von der Tatsache, dass manche Fische Routen von mehreren tausend Kilometern im Gedächtnis behalten. „Rechnen und Fußball spielen kann ich selbst auch ein bisschen“, sagt Hein. „Aber ich verirre mich häufig schon im eigenen Kiez.“

Fotograf Matthew Hawkins, Jahrgang 1964, lebt in London und ist Dozent an der School of Media am London College of Communication.
Person Von Till Hein und Matthew Hawkins
Vita Besonders beeindruckt war der Berliner Autor Till Hein, geboren 1969, von der Tatsache, dass manche Fische Routen von mehreren tausend Kilometern im Gedächtnis behalten. „Rechnen und Fußball spielen kann ich selbst auch ein bisschen“, sagt Hein. „Aber ich verirre mich häufig schon im eigenen Kiez.“

Fotograf Matthew Hawkins, Jahrgang 1964, lebt in London und ist Dozent an der School of Media am London College of Communication.
Person Von Till Hein und Matthew Hawkins