Teure Delikatesse

Die weltweit hohe Nachfrage nach Tintenfischen gefährdet deren Bestand

Die Experten der amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA trauten ihren Augen nicht. Auf den Bildern, die eine bemannte Mission aus dem Erdorbit lieferte, tauchte südlich von Japans Küste plötzlich eine Stadt im Nordpazifik auf. Das Geheimnis war bald gelüftet: Die Astronauten hatten eine gewaltige Fischfangflotte abgelichtet, die auf Beutezug nach Tintenfischen die Gewässer durchkämmte.

Das ist einige Jahre her, und die Armada schwillt jede Fangsaison weiter an. Gut 513000 Tonnen allein des rund 50 Zentimeter langen und ein halbes Kilogramm schweren Kurzflossenkalmars Todarodes pacificus zogen die Schiffe 1995 vor Japan aus dem Meer – ein Drittel mehr als noch fünf Jahre zuvor. Den größten Fang machten dabei die japanischen Fischer mit 290000 Tonnen, gefolgt von den Südkoreanern, die es auf 201000 Tonnen brachten. Den Rest teilten China und Taiwan unter sich auf.

Für die Fischwirtschaft ist der Tintenfisch wegen seiner Artenvielfalt und weiten Verbreitung ein lukratives Geschäft. Die glitschigen Kopffüßer, zu denen neben den zehnarmigen Kalmaren und Sepien die achtarmigen Kraken gehören, werden in nahezu allen Küstenländern gefangen und konsumiert. Manche sind kaum größer als ein Markstück, einige große Oktopus-Arten bringen 80 Kilogramm und mehr auf die Waage. Gekocht, gegrillt, sautiert oder fritiert gilt die wabbelige Ware vor allem in Südostasien und dem Mittelmeerraum als wahrer Leckerbissen. An der Spitze der Abnehmer steht Japan, das trotz eigener Fangerträge von insgesamt rund 600000 Tonnen im Jahr noch große Mengen importiert. In Europa dominieren Spanien und Italien den Markt. Dort sind kleine Langflossenkalmare wie der Loligo und die Sepien be-sonders beliebt.

Die Nachfrage nach der teuren Delikatesse nimmt so stark zu, daß sie längst nicht mehr von den heimischen Küstenfischern gedeckt werden kann. Allein im letzten Jahrzehnt hat sich die Fangmenge nahezu verdoppelt, wie aus den letzten verfügbaren Statistiken der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO hochgerechnet werden konnte. Wurden 1986 weltweit noch 1,8 Millionen Tonnen Tintenfische aller Art angelandet, waren es 1995 bereits 2,8 Millionen. Mehr als die Hälfte davon stammt inzwischen von den industriellen Fischereiflotten, die im Nordpazifik und im Südwestatlantik ihre Angelleinen auswerfen. Eine Million Tonnen holten sie aus den Gewässern um Japan, weitere 642 000 Tonnen aus dem Gebiet um die Falklandinseln.

Obwohl der Tintenfisch-Anteil am gesamten Fisch-fang von 113 Millionen Tonnen mit nur 2,5 Prozent eher bescheiden ausfällt, zählen die Kopffüßer zu den wertvollsten Ressourcen. Nach Berechnungen der FAO belief sich der Wert der 1989 weltweit gefangenen 2,5 Millionen Tonnen auf 5,3 Milliarden US-Dollar – das entsprach einem Tonnen-Preis von 2100 US-Dollar. Zum Vergleich: Eine Tonne Hummer kostete 11 200 US-Dollar, eine Tonne Hering dagegen nur 200 US-Dollar. Nur der Shrimps- und der Thunfischfang brachten mit 7,3 und 6,7 Milliarden US-Dollar mehr ein.

Davon profitieren in erster Linie die Hochseefischer. Neben dem Todarodes pacificus haben es ihre Konvois vor allem auf den nur unwesentlich kleineren Illex argentinus abgesehen. Bis vor 10 Jahren war der Illex-Fang vor der argentinischen Küste nahezu bedeutungslos. Der in großen Schwärmen auftretende Kalmar ging den heimischen Küstenfischern höchstens beiläufig ins Netz. Das änderte sich schlagartig, als zunächst polnische und spanische, später dann taiwanesische Schiffe vor der Inselgruppe aufkreuzten. Zwischen 1992 und 1995 stieg die Ausbeute von 223000 auf 310000 Tonnen an. Zwei Drittel entfielen auf Argentinien, knapp ein Drittel auf die Verbände aus Taiwan und China.

Angeführt von koreanischen und japanischen Gesellschaften, wird vor den Falklands auch verstärkt Jagd auf Illex-verwandte Arten gemacht. Neuerdings beteiligen sich daran selbst die Chinesen, die in den letzten Jahren ihre Hochseefloote stark ausgebaut haben und seither zu einem führenden Anbieter auf dem Tintenfischmarkt aufgestiegen sind.

Durch die steigenden Fangmengen geraten die Populationen der Edelressource stark unter Druck. Weil sich viele Arten, wie etwa der Illex, nur einmal in ihrem zweijährigen Leben vermehren, variieren die Bestände sehr stark. Damit sie sich regenerieren können, müßte die Hälfte ihrer Populationen den Fangschiff-Armaden ent-gehen. Da angesichts stagnierender oder sinkender Erträge in der klassischen Fischerei jedoch immer mehr Flotten auf den Tintenfischfang umsteigen, befürchten Fischerei-Experten wie Uwe Piatkowski vom Kieler Institut für Meereskunde, daß die Bestände in den wichtigsten Fanggebieten schon bald in Gefahr geraten könnten. Auch die FAO warnt bereits vor einer drohenden Überfischung – etwa im Südwestatlantik und bei den Oktopus-Populationen auf den Sahara-Bänken vor der Westküste Nordafrikas.

mare No. 9

No. 9August / September 1998

Von Erwin Single
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