Teile und hersche

Der Vatikan besaß nie eine eigene Flotte, aber er beherrschte die Meere wie kein zweiter Staat. Seit im 15. Jahrhundert Papst Alexander VI. über die Aufteilung der Meere entschied, befahlen die Päpste über Krieg und Frieden in der Welt

Der Vatikanstaat besitzt einen Bahnhof und eine Tankstelle, aber keinen Hafen. Dann und wann benutzt der Heilige Vater ein Flugzeug oder das Papamobil; der christlichen Seefahrt steht er eher fern. Doch in der Reihe der Päpste, die der Legende nach mit einem Fischer auf dem See Genezareth begann, gab es einen weitsichtigen Diplomaten, dem es gelang, allein mit seiner Unterschrift den Apostolischen Stuhl zur größten und ersten universalen Seemacht der Welt zu machen.

Groß ist die Autorität des Heiligen Vaters als Gottes Stellvertreter auf Erden. Niemand kann ohne seine Zustimmung Kaiser werden, Könige dürfen seine Füße küssen. Mit dem Kirchenbann kann der Pontifex maximus die Könige dieser Welt in große Schwierigkeiten bringen. Sie dürfen keine Kirche mehr betreten, niemand braucht ihnen mehr Gefolgschaft zu leisten. Der Bannstrahl eines Papstes bedeutet den Verlust an Autorität und ewige Verdammnis. Doch hat er auch das Recht, die Welt zu verschenken?

Wir schreiben das Jahr 1492. Eine Zeitenwende. Kolumbus entdeckt die Neue Welt. In Spanien endet die Reconquista, „Rückeroberung“; Granada fällt nach 800 Jahren muslimischer Herrschaft an die katholischen Könige Ferdinand von Aragón und Isabella von Kastilien. Die Inquisition in Spanien inszeniert schreckliche Judenpogrome. Und in Rom ist der Teufel los. Der Katalane Rodrigo Borgia (1431– 1503) lässt sich mit hohen Bestechungsgeldern als Alexander VI. zum Papst wählen. Sein Terrorpontifikat schreibt die dunkelsten Seiten der Kirchengeschichte. Und doch hat der Wüstling auf dem Heiligen Stuhl, dessen Existenz die Kirche am liebsten aus ihren Büchern tilgen möchte, wie kein anderer Papst in die Ordnung der Welt eingegriffen. Und das mit einer generösen Schenkung.

Die Entdeckung Amerikas verändert die Welt. Neue Horizonte tun sich auf, neue Länder, unermessliche Reichtümer. Wem sollen sie gehören? Für den spanischen Papst, der sein Pontifikat als gewinnorientiertes Familienunternehmen ansieht, ist das keine Frage: Spanien. Es ist sein Land, die katholischen Könige stehen hoch in seiner Gunst. Im Mai 1493 verfügt er in seiner Bulle „Inter caetera“: „Kraft Unserer apostolischen Gewalt und der Autorität des Allmächtigen Gottes schenken wir Euch, den Königen von Kastilien und Leon, auf immer alle entdeckten und zu entdeckenden Inseln und Länder in Richtung nach Westen und Süden, wobei eine Linie vom Nordpol zum Südpol zu ziehen ist, welche von den Azoren und Kapverdischen Inseln hundert Meilen nach Westen und Süden verläuft, sodass alle entdeckten Inseln und Länder jenseits der Linie Euch gehören, und wir setzen Euch, Eure Erben und Nachkommen als deren Herren mit voller, freier und allseitiger Gewalt, Autorität und Jurisdiktion ein.“

Nun ist es an den Spaniern, das Geschenk auszupacken. Zunächst einmal sind das die Inseln Kuba und Hispaniola, die Kolumbus auf seiner ersten Reise entdeckt hatte. Ein vielversprechender Anfang für ein Start-up-Unternehmen auf Expansionskurs. Dass dahinter ein ganzer Kontinent liegt, kann der Papst nicht ahnen. Wohl aber, dass seine Bulle einen alten Familienstreit beleben würde.

Der Coup des Kolumbus’ stellt Portugal, das bisher einzige Königreich, das hoheitlich Entdeckungsfahrten betrieb, vor eine Blamage. Einmal, vor 15 Jahren, als Spanien und Portugal um die Kanaren stritten, hatte der Papst eingegriffen. Man einigte sich. Die Inseln wurden 1479 im Vertrag von Alcáçovas Kastilien zugesprochen. Dafür bekam Portugal einen Freibrief von unschätzbarem Wert: die Exklusivrechte an allen Gewässern und Ländereien südlich von Kap Bojador. Zwei Jahre später legalisierte Papst Sixtus IV. (1414–1484) in der päpstlichen Bulle „Aeterni regis“ den Portugiesen allen Landgewinn südlich der Kanarischen Inseln. Eine völkerrechtliche Entscheidung von großer Tragweite, wie sich bald herausstellen sollte.

Mit der großzügigen Schenkung Papst Alexanders VI. an Spanien erwacht nun die alte Rivalität. Portugals König João II. (1455–1495) verlangt, bei allem Respekt, nach einer gerechten Teilung – Portugiesen sind auch gute und vor allem papsttreue Katholiken. Der Heilige Vater sieht Spanien ebenso wie das Königreich Portugal als Lehnsstaaten an. Warum sollte er nicht beiden die Welt zu Füßen legen? Hat Moses nicht schon das Meer geteilt?

Die Diplomaten beider Länder ringen um eine klare Trennung zwischen spani- scher und portugiesischer Einflusssphäre. Portugals Verhandlungsführer, der Geograf, Astronom und Seefahrer Duarte Pacheco Pereira, schafft es in zähen Verhandlungen, die päpstliche Linie um rund 1770 Kilometer nach Westen zu verschieben. Nun liegt sie etwa auf der Länge von 46° 37' West und verwandelt so – was noch niemand ahnt – weite Gebiete Brasiliens in portugiesischen Besitz.


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mare No. 95

No. 95Dezember 2012 / Januar 2013

Von Emanuel Eckardt

Der Hamburger Autor Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, reist seit Jahren nach Portugal und sah sich als Autor herausgefordert, den Konflikt zwischen Spanien und Portugal unparteiisch zu betrachten.

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Vita Der Hamburger Autor Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, reist seit Jahren nach Portugal und sah sich als Autor herausgefordert, den Konflikt zwischen Spanien und Portugal unparteiisch zu betrachten.
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