Tausche Berg gegen Meer

Eine Meinungsumfrage über die Liebe der Schweizer zur See – und warum viele nicht einmal eine Küste wollen

Nieder mit dem Matterhorn – für freie Sicht auf das Mittelmeer!“ Wer diese alte, nicht ganz ernstgemeinte Forderung der Flachländler stets als reine Zumutung für die Schweizer begriffen hat, wird nun eines Besseren belehrt. Teilweise zumindest: Es gibt Grund zu der Annahme, dass der Anteil derjenigen Eidgenossen steigt, die einen Teil ihrer Alpenberge hergeben würden, wenn ihr Land im Gegenzug eine Meeresküste erhielte. Schon heute beträgt dieser Anteil ein Drittel (33 Prozent). Weshalb er steigen könnte: Unter den jungen Schweizern zwischen 15 und 34 Jahren sehnen sich sogar zwischen 42 und 43 Prozent so sehr nach dem Meer, dass sie mit dem Tausch einverstanden wären.

Nur die Alten wollen mit großer Mehrheit die Topografie ihrer Heimat gewahrt wissen: 80 Prozent der 55- bis 74jährigen sprechen sich gegen einen solchen Handel aus. Diese Zahlen ergab eine repräsentative Umfrage von mare, die das Schweizer Institut Demoscope jetzt unter 1008 Landsleuten durchführte.

Deutliche Unterschiede im Hang zur Küste gibt es in der Schweiz auch zwischen den Bevölkerungsgruppen. Der Sankt-Gotthard-Pass scheidet nicht nur den Lauf der Wasser, sondern auch die Geister in Sachen Meer: 43 Prozent aller Bewohner des italienischsprachigen Tessin würden die Hälfte ihrer Berge gegen eine Küste tauschen, aber nur 29 Prozent der Deutschschweizer. Die Bewohner der französischen Westschweiz liegen mit 37 Prozent dazwischen.

65 Prozent aller Schweizer würden es ablehnen, Berge für eine reizvolle Küste herzugeben. 59 Prozent finden es sogar ausgesprochen begrüßenswert, dass ihr Land nicht am Meer liegt, und würden einen Strand nicht mal geschenkt annehmen – selbst wenn sie alle ihre Berge behalten dürften. Aus dem geringen Unterschied zwischen den beiden Prozentzahlen lässt sich folgern, dass bei den Tauschgegnern eher die Abneigung vor dem Meer eine Rolle spielt als die Liebe zur Bergwelt. Ergo: Die Schweizer genießen mehrheitlich – immer noch – ihren Status als Binnenländler.

Führen morgen alle Eidgenossen ans Meer ihrer Wahl, so würden sich ihre Wege trennen. Für die meisten Tessiner ist die Richtung klar: ans Mittelmeer (48 Prozent). Von den frankophonen Westschweizern würden sich die meisten (38 Prozent) an die Gestade des Indischen Ozeans begeben, während die Deutschschweizer zwischen den sieben Weltmeeren eher unentschieden sind. Immerhin: 7 Prozent aller Deutschschweizer sowie 12 Prozent der Gruppe mit niedrigem Einkommen würden einen Urlaub am Meer nicht einmal geschenkt nehmen, sondern lieber zu Hause bleiben.

Was zieht die Schweizer ans Meer? Auffällig ist, dass die Bewohner der italienischen Schweiz nicht nur eine größere, sondern ebenso eine weitaus emotionalere Bindung zum Meer haben als ihre anderssprachigen Landsleute: So spielen, wenn es um die Faszination des Meeres geht, bei den Tessinern sehnsüchtige Gefühle und romantische Erinnerungen eine etwa doppelt so große Rolle wie bei den Deutsch- und Französischschweizern. Groß sind die Unterschiede auch zwischen den Geschlechtern. Während sich die Frauen unter den vielen vorgegebenen Möglichkeiten vor allem (36 Prozent) von der weiten Sicht faszinieren lassen, ist dies für die Männer nur zu 24 Prozent ausschlaggebend. Sie gehen lieber (zu 27 Prozent) baden.

mare No. 10

No. 10Oktober / November 1998

Von Ulli Kulke

Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.

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Vita Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.
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