Tanz doch auf der Flosse des Haifischs!

Der Dichter Nikos Kavvadias fuhr als Funker zur See und hat während seiner Freiwachen das Meer besungen – offen und schonungslos wie sonst kaum jemand. Ein Porträt

Die Seeleute, mit denen ich reiste, sagen,
dass ich ein Aas bin, unnahbar und pervers,
dass ich die Frauen heimlich hinterrücks hasse,
und dass ich nie mit ihnen schlafe.

Sie sagen, dass ich mir Haschisch und Koks reinzieh,
dass ich von finst’rer Leidenschaft besessen bin,
dass mein Körper übersät ist mit obszönen Bildern,
und mit absonderlichen, abstoßenden, abgrundtiefen Zeichen.

Sie sagen ganz scheußliche Sachen über mich,
die allesamt üble Lügen sind.
Die Wahrheit aber, die mich immer beschäftigt hat,
kennt niemand – ich hab sie nie erzählt.

Jetzt aber, wo die tropische Nacht
sich über das Schiff legt,
wo die Marabuschwärme nach Westen ziehen,
drängt es mich, mein Geheimnis aufzuschreiben …


So beginnt ein Gedicht, das nicht zufällig am Anfang des kleinen Werkes von Nikos Kavvadias steht. Es trägt den Titel „Marabu“ und hat den schreibenden Seemann in Griechenland so berühmt gemacht, dass ihn danach nicht nur die Männer auf See den „Marabu“ nannten und seine Gedichte murmelten, sondern auch die Daheimgebliebenen. In den Versen antwortet er all jenen, die in ihm den frauenverachtenden Seefahrer sehen; den Mann, der den Hafen der Ehe zeitlebens erfolgreich umschifft und sich beharrlich weigert, sein Glück in einem „Häuschen im Grünen“ zu suchen; der das Blau des Meeres dem Grau des Staubes vorzog. Er schreibt: „Du fährst aufs Meer, weil du dich vor dem Festland fürchtest. Und du schläfst mit Prostituierten, weil du feige bist.“ Denn „die Nutten lassen alle ran, Krüppel, Blinde, Bucklige“.

Das Festland ist für ihn voll trauriger, tragischer Geheimnisse wie dem der jungen Frau, das er im Gedicht „Marabu“ preisgibt und das die Rätsel um den Dichter und die Frauen lösen soll. Doch viel erfährt man nicht über Nikos Kavvadias, aus dem Gedicht „Marabu“ nicht, aus den anderen Gedichten nicht und auch aus den wenigen Spuren nicht, die der Dichter hinterlassen hat.

Kavvadias selbst trug einiges dazu bei, den Mythos vom unbekannten Marabu aufzubauen, indem er seine Person in einen Kokon widersprüchlicher Anekdoten hüllte. Neugierigen Fragen wich er aus, und wenn jemand einmal unvermittelt fragte, ob er der bekannte Dichter sei, soll er geantwortet haben: „Nein, nein, das ist mein Cousin, ich verstehe nichts von Dichtern und Papieren.“ Stellte er sich doch einmal den Fragen der Journalisten, dann versorgte er sie mit fantasievollen Geschichten. „Auf der ,Appolonia‘ war eine Professorin an Bord, der ich versicherte, dass ich jede Frau, egal von welchem Kontinent, schon am Geruch und an einer einzigen Berührung erkennen könne. Sie lud mich ein zu einem Experiment an die Sorbonne, der Saal war voller Professoren.“ Mit verbundenen Augen führt man ihn ins Zimmer, fünf Frauen laufen nackt an ihm vorüber und legen für einen kurzen Moment die Hand auf seine Brust. „Mehr nicht. Aber ich erkannte sie sofort: Die eine war Französin – Südfrankreich –, die andere Japanerin, eine kam aus Skandinavien, und dann noch eine aus Guadihalfa.“ Die Gelehrten beginnen zu flüstern und zu tuscheln, bis sie endlich die fünfte ins Rennen schicken. „Nichts! Absolut nichts. Ich war verblüfft, diese Frau hatte etwas vollkommen Unbekanntes. Ich wollte schon aufgeben, aber da kam mir eine Idee: Sie war keine Frau, sie war ein Hermaphrodit.“

Mit solchen Legenden belustigte Kavvadias die wissbegierige Öffentlichkeit ebenso wie die Seeleute an Bord. Doch gibt es ein Buch, das etwas Licht wirft auf den Dichter. Es heißt „Die Wache“, und selten ist ein poetischeres, ein ehrlicheres und schonungsloseres Buch über das Meer geschrieben worden. Es erzählt von der Reise der „Pytheas“, eines schmucklosen Frachters, benannt nach dem Geografen Pytheas von Massilia, dessen verschollenes Hauptwerk den Titel „Über den Ozean“ trug. In der „Wache“ kommt ein Mann vor, der Nikos heißt, der so wie der Dichter ein Leben lang Nachrichten übers Meer funkt und der wie Nikos Kavvadias von unscheinbarer Gestalt ist: „Der Funker trat als Erster ein, klein, mit spärlichem Haar. Er trug khakifarbene Shorts, in der Taille nur vom obersten Knopf zusammengehalten. Die übrigen fehlten. Ein Ohr war nach vorne geklappt und größer als das andere.“

Bei aller Ungeschminktheit dieser literarischen Selbstdarstellung lässt Kavvadias jedoch ein Detail aus: Er neigte zum Stottern. Alles zusammen – der kleine Wuchs, das abstehende Ohr, die fehlenden Haare, das Stottern – werden es ihm beim Ringen um Anerkennung an Bord nicht leicht gemacht haben, und es könnte sein, dass seine Neigung zum Erzählen fantastischer Geschichten hier ihren Ursprung hatte. „Er kam nie hoch ohne einen Witz auf den Lippen“, erzählt Kapitän Loukas Niforatos, der vier Jahre mit Kavvadias zur See fuhr, „und manchmal dachte ich, jetzt hat er wieder die halbe Nacht darüber nachgedacht, mit welcher Geschichte er heute auf Deck erscheint. Er war wie ein kleines Kind manchmal.“ Und Kavvadias selbst schrieb, er sei „jederzeit bereit, Purzelbäume zu schlagen, nur um die anderen zum Lachen zu bringen“.

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mare No. 65

No. 65Dezember 2007 / Januar 2008

Von Hans W. Korfmann und Marei Schweitzer

Hans W. Korfmann stieß während eines längeren Griechenland-Aufenthalts in den achtziger Jahren auf die vertonten Gedichte von Nikos Kavvadias.

Marei Schweitzer wurde 1973 wurde in Unna geboren. Später studierte sie in Bremen, Stockholm und Straßburg Grafik Design, Freie Druckgrafik und Illustration.

Die zitierten Verse aus den Gedichten „Marabu“ und „Frau“ sind Erstübersetzungen von Michaela Prinzinger. Sie wurde 2004 für ihre literarischen Übersetzungen mit dem deutsch-griechischen Übersetzerpreis ausgezeichnet.

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Vita Hans W. Korfmann stieß während eines längeren Griechenland-Aufenthalts in den achtziger Jahren auf die vertonten Gedichte von Nikos Kavvadias.

Marei Schweitzer wurde 1973 wurde in Unna geboren. Später studierte sie in Bremen, Stockholm und Straßburg Grafik Design, Freie Druckgrafik und Illustration.

Die zitierten Verse aus den Gedichten „Marabu“ und „Frau“ sind Erstübersetzungen von Michaela Prinzinger. Sie wurde 2004 für ihre literarischen Übersetzungen mit dem deutsch-griechischen Übersetzerpreis ausgezeichnet.
Person Von Hans W. Korfmann und Marei Schweitzer
Vita Hans W. Korfmann stieß während eines längeren Griechenland-Aufenthalts in den achtziger Jahren auf die vertonten Gedichte von Nikos Kavvadias.

Marei Schweitzer wurde 1973 wurde in Unna geboren. Später studierte sie in Bremen, Stockholm und Straßburg Grafik Design, Freie Druckgrafik und Illustration.

Die zitierten Verse aus den Gedichten „Marabu“ und „Frau“ sind Erstübersetzungen von Michaela Prinzinger. Sie wurde 2004 für ihre literarischen Übersetzungen mit dem deutsch-griechischen Übersetzerpreis ausgezeichnet.
Person Von Hans W. Korfmann und Marei Schweitzer