Suffragetten im Seebad

Im Ersten Weltkrieg kam es an Frankreichs Ärmelkanalküste zu einem frühen Sieg – der Frauen. Sie machten ein allein von ihnen geführtes Kriegslazarett zum Erfolgsmodell

Im Billardzimmer, wo sich die Männer einst zum Geplauder bei Cognac und Zigarren trafen, hatte man den Operationstisch installiert. Im Empfangssalon, unter den säulengestützten Stuckdecken mit ihren Kristalllüstern, standen Kisten mit Verbandszeug, Chloroform und Morphium. Auf Feldbetten stöhnten und halluzinierten Kriegsverwundete, denen man gerade Granatsplitter aus dem Fleisch entfernt oder ihre zerschossenen Knochen zusammengeflickt hatte. Im zauberhaften Rosengarten waren Särge für jene gestapelt, die nicht überlebten. Über Nacht war aus der Villa Les Mauriciens ein improvisiertes, aber vorbildlich geführtes Krankenhaus geworden. Der im Empirestil gestaltete Prunkbau, heute als privates Feriendomizil genutzt, war unter wechselnden Eigentümern mal Casino, mal schlossähnlicher Herrensitz, mal Grandhotel gewesen, ehe er im Ersten Weltkrieg von dem ausschließlich aus Frauen zusammengesetzten britischen Women’s Hospital Corps zu einem Lazarett umfunktioniert wurde.

Das Seebad Wimereux, an den nordfranzösischen Atlantikgestaden, war nicht auf die Grauen des von den Franzosen als „Grande Guerre“ bezeichneten Massakers vorbereitet. Als anglophil angehauchtes „Nizza des Nordens“ hatte es vorher mit seinem makellosen Sandstrand an den türkisfarbigen Wassern der Opalküste, seinen Tennisplätzen und Kricketfeldern sowie seinem nach dem Vorbild der Pariser Opéra errichteten Theater die Bourgeoisie der Belle Époque angelockt. Reiche französische Tuchfabrikanten und spleenige britische Adlige schufen in dem einstigen Fischerdorf über 800 Villen sowie mehrere Hotels, die größtenteils überdauert haben und noch heute den zeitentrückten Charme des verschlafenen Meereskurorts ausmachen. 

Ihre Erbauer überboten sich in extravaganten Stilmischungen: anglonormannisches Fachwerk, flämische Renaissancegiebel, Tudorbogenfenster, toskanische Loggien mit Meeresblick. Die Fassadenkokettieren wie eh und je mit bunten Pastelltönen, von  Pistaziengrün über Kanariengelb bis zu Malvenblau. Auf Keramikschildern stehen in verschnörkelter Schrift die von Unbeschwertheit geprägten Namen der Häuser: Villa Joliette, Graziella, Les Perles, Albatros, Mon ami Pierrot. Die Villa Les Mauriciens hat ihre Bezeichnung von der Heimat ihres Erschaffers, ein von der Insel Mauritius stammender Geschäftsmann und Diplomat, der 1896 den namhaften englischen Neobarockarchitekten John Belcher mit den Plänen beauftragt hatte.

Wie in den anderen opulenten Gründerzeitanwesen der Küstenstadt verlustierten sich in der Villa Les Mauriciens schillernde Gäste: Industriebarone, Glücksspieler, Komtessen, schottische Lords und ägyptische Prinzen. Doch der Erste Weltkrieg setzte dem mondänen Müßiggang ein Ende. Keine Golfturniere mehr, keine Champagnergelage, keine bengalischen Feuerwerke. So wie viele Orte rund um Boulogne-sur-Mer war Wimereux zu einem strategischen Nachschubposten umgerüstet worden. An dieser schmalsten Passage des Ärmelkanals ist die englische Küste nur etwa 30 Kilometer entfernt, sodass Hunderttausende britische Soldaten über die Häfen transitierten, von wo aus sie zu den Schlachtfeldern der Front verfrachtet wurden, nach Westflandern, zum Artois und zur Somme. In der gesamten Region Nord-Pas-de-Calais wurden Lazarette eingerichtet. Die verletzten britischen Soldaten, einmal notoperiert und auf dem Weg zur Genesung, wurden zur weiteren Behandlung mit Schiffen nach England gebracht.

Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 141. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 141

mare No. 141August / September 2020

Von Rob Kieffer

Rob Kieffer, Jahrgang 1957, lebt als Journalist und Autor in Luxemburg. Bei seinen Recherchen im nostalgisch angehauchten Seebad Wimereux konnte er auf das Archiv von Jérôme Lanoy, Besitzer der Villa Les Mauriciens, zurückgreifen. Um die Chronik seines Hauses zu vervollständigen, nimmt dieser Informationen über frühere Bewohner, besonders während der deutschen Besatzungszeit, gern entgegen.

Mehr Informationen
Vita Rob Kieffer, Jahrgang 1957, lebt als Journalist und Autor in Luxemburg. Bei seinen Recherchen im nostalgisch angehauchten Seebad Wimereux konnte er auf das Archiv von Jérôme Lanoy, Besitzer der Villa Les Mauriciens, zurückgreifen. Um die Chronik seines Hauses zu vervollständigen, nimmt dieser Informationen über frühere Bewohner, besonders während der deutschen Besatzungszeit, gern entgegen.
Person Von Rob Kieffer
Vita Rob Kieffer, Jahrgang 1957, lebt als Journalist und Autor in Luxemburg. Bei seinen Recherchen im nostalgisch angehauchten Seebad Wimereux konnte er auf das Archiv von Jérôme Lanoy, Besitzer der Villa Les Mauriciens, zurückgreifen. Um die Chronik seines Hauses zu vervollständigen, nimmt dieser Informationen über frühere Bewohner, besonders während der deutschen Besatzungszeit, gern entgegen.
Person Von Rob Kieffer