Still steht das Automobil

Brücken sind die Fortsetzung der automobilen Eroberung zu Wasser. Die Fähre hingegen ist der letzte Garant der Langsamkeit

Ein Denkmal der Moderne. Neun Jahre waren seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vergangen. Nun waren die USA ein Traumland geworden. Der Titel der Zeitschrift zeigte eine seiner Ikonen: die riesigen Pylonen der Golden Gate Bridge. Zwei rote Träger, dazwischen das Asphaltband über die Hafeneinfahrt von San Francisco, darauf Autos.

Da war das Pathos noch die Tonart des historischen Augenblicks. „Die Golden Gate Brücke ist eine der mächtigsten Brücken der Welt und besitzt mit ihren 1280 Meter Pfeilerabstand die größte je erreichte Spannweite. Die beiden Pfeiler, 30 Meter unter der Wasseroberfläche beginnend, sind 258 Meter hoch und tragen die 2236 Meter langen, 93 Zentimeter dicken Kabel, jedes ein Bündel aus 27572 Drähten, an denen die sechsfache Fahrbahn aufgehängt ist. Die Brücken rot zu bemalen erforderte 500000 Liter Farbe, zum Unterhalt des Anstrichs sind dauernd 35 Maler beschäftigt …“

1954, das war die Zeit, als der technische Fortschritt noch ein Sieg und das Auto ein Versprechen auf eine Zukunft war, die Zeit, in der alle Ampeln auf Grün standen. Die Zeitschrift „du“ widmete vier Hefte jenes Jahrgangs einer Reise des Fotografen Emil Schulthess; der hatte „27.000 Kilometer zurückgelegt und 30 der 48 US-Staaten durchfahren“.

Alles kam aus Amerika. Der Kaugummi, der Kühlschrank, das Automobil. Die Deutschen produzierten ja keine eigentlichen Autos, sondern eine Art rollende Gamellen; man vergleiche nur einen Ford Taunus ’54 mit einem Oldsmobile des gleichen Jahrgangs.

Auf einer Farbdoppelseite sieht man den von Hunderten von Glühbirnen illuminierten Stellplatz eines Gebrauchtwagenhändlers an der Livernois Avenue in Detroit, nachts. Glanzvolle Schönheit stillstehender Clipper, Lacklichter und Chromglanz. Dazu wieder die Wochenschaustimme der Redaktion: „Zehn Kilometer der schnurgeraden Ausfallstraße entlang ein Occasionshändler nach dem andern, über 150 Occasionsgeschäfte, jedes mit einem halben hundert Wagen auf seinem Areal. 10.000 Autos werden jeden Monat an den Mann gebracht …“ Alles ganz ungebrochen. „Fließe, fließe, lieber Fluss“ – der Verkehr rauscht, Tag und Nacht, und der Fotograf komponiert eine der beliebten Einsichten hinunter in die Straßenschluchten Manhattans, Verkehrsströme auf einer meerumgebenen Felseninsel.

Ein Jahr nach diesen „du“-Heften stürzte sich James Dean in einem Amerikanerwagen – wir nannten das einen „Schlitten“ – über eine Klippe in den Tod. Vorerst nur im Film, „Denn sie wissen nicht, was sie tun“. Aber im September desselben Jahres baute er in Salinas, Calif., den tödlichen Unfall. Das war genau so viel Amerika wie der Verkehr auf der Golden Gate Bridge. Und auch James Dean und sein früher Tod wurden Kult.

In der Zeitschrift aber pries Messerschmitt auf einer ganzseitigen Anzeige seinen Kabinenroller. „Wetterfest – winterfest – bietet zwei Personen aufs Behaglichste Platz. Lächelnd meistern Sie den Winter.“

Die Gesamtheit der Verkehrswege nennt man bekanntlich ein Netz. Nun haben Metaphern die Tücke, mehrdeutig zu sein. Ein Netz? In dem Netz hat die ganze Welt sich verfangen, sie zappelt in ihm – das Netz überzieht sie mit Straßen, und wo diese nicht hinkönnen, mit Brücken, Fähren, Tunnels. Das kann man als eine „Errungenschaft“ sehen.

Als Schweizer weiß ich: Als die klassische Passstraße über den Gotthard, die Südrampe, die man aufgrund ihrer Schwindel erregenden Haarnadelkurven die „Tremola“ nennt, ersetzt wurde durch eine begradigte Piste, mit Galerien, Tunnels und pfeilergestützten Rampen, ging nicht nur ein Stück Landschaft, es ging auch ein Stück Weg in den Süden verloren. Der Abstand schrumpfte noch einmal mit der Eröffnung des Straßentunnels, und nur die damit einsetzenden Staus vor den Tunnelportalen machen die Verkürzung der Reisezeit einigermaßen wieder wett.

Sizilien wird sich wundern, wie wenig es mehr allein sein wird, wenn das so ehrgeizige wie überflüssige Projekt der Brücke über die Meerenge vom Messina doch noch Wirklichkeit wird. Es wird dann endgültig zu Ende sein mit des Fürsten von Salinas’ sicilianità, und es wird endgültig die seinem Autor Lampedusa so verhasste, die neue Zeit angebrochen sein. Um auf der Uferstraße zwischen Sorrent, Positano, Amalfi und Salerno, einst eine der schönsten Küstenstraßen Europas, rollenden Verkehr überhaupt noch zu ermöglichen, gilt sommers seit Jahren die Regel der targhe alterne, der geraden oder ungeraden Nummernschilder.


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mare No. 57

No. 57August / September 2006

Ein Essay von Dieter Bachmann

Dieter Bachmann, 1940 in Basel geboren, schrieb und schreibt Beiträge in vielen großen Blättern der Schweiz und Deutschlands. Von 1988 bis 1998 war er Chefredakteur der Zeitschrift du mit erneuertem Konzept. Er veröffentlichte zahlreiche Sachbücher und die drei Romane Rab (1985), Der kürzere Atem (1996) und Grimsels Zeit (2003). Bachmann lebt in Umbrien und in Zürich.

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Vita Dieter Bachmann, 1940 in Basel geboren, schrieb und schreibt Beiträge in vielen großen Blättern der Schweiz und Deutschlands. Von 1988 bis 1998 war er Chefredakteur der Zeitschrift du mit erneuertem Konzept. Er veröffentlichte zahlreiche Sachbücher und die drei Romane Rab (1985), Der kürzere Atem (1996) und Grimsels Zeit (2003). Bachmann lebt in Umbrien und in Zürich.
Person Ein Essay von Dieter Bachmann
Vita Dieter Bachmann, 1940 in Basel geboren, schrieb und schreibt Beiträge in vielen großen Blättern der Schweiz und Deutschlands. Von 1988 bis 1998 war er Chefredakteur der Zeitschrift du mit erneuertem Konzept. Er veröffentlichte zahlreiche Sachbücher und die drei Romane Rab (1985), Der kürzere Atem (1996) und Grimsels Zeit (2003). Bachmann lebt in Umbrien und in Zürich.
Person Ein Essay von Dieter Bachmann