Sprung im System

Aktuelle Messungen zeigen, dass das Erdmagnetfeld an Stärke verliert. Könnten Nord- und Südpol dann ihre Plätze tauschen?

Die Erde vor 780 000 Jahren. Wie seit Jahrmillionen treten die Schildkröten ihre Reise quer durch den Ozean an – zurück zu den Stränden, an denen sie geschlüpft waren. Wie immer orientieren sie sich dabei am Erdmagnetfeld, mithilfe eines natürlichen Kompasses. Doch seit einiger Zeit stimmt etwas nicht: Die Magnet­linien, nach denen sich die Tiere richten, sind schwach und unklar. Das Erdmagnetfeld gerät ins Wanken. Das Feld benimmt sich chaotisch, Polarlichter erscheinen in ungewohnten Breiten. Für manche Meeresbewohner wird die Navigation schwierig, nicht nur für die wandernden Schildkröten. Dann passiert es. Die mag­ne­ti­schen Pole tauschen ihre Plätze. Nord wird zu Süd, Süd zu Nord.

„Für geologische Zeiträume passiert so eine Polumkehr ziemlich häufig“, sagt Monika Korte vom GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung in Potsdam. „In den letzten 160 Millionen Jahren hat sich das Erdmagnetfeld im Schnitt fast alle 500 000 Jahre umgepolt.“ Und da das letzte derartige Ereignis, die Brunhes-Matuyama-Umkehr, 780 000 Jahre zurückliegt, wäre statistisch gesehen der nächste Polsprung längst fällig. 

In der Tat scheint es dafür erste Indizien zu geben. Weltweit überwachen 200 spezielle Observatorien das Erdmagnetfeld, einige seit dem 19. Jahrhundert. Ihre Daten verraten, dass das Erdmagnetfeld in den vergangenen 150 Jahren global rund neun Prozent an Stärke verloren hat. Auffällig ist eine Anomalie im Südatlantik vor der Küste Brasiliens, wo das Feld bis zu 40 Prozent schwächer ist als in vergleichbaren Breiten. 

Manche Forscher vermuten darin ein Vorzeichen für eine Polumkehr. „Doch solche Anomalien hat es in der Erd­geschichte immer wieder gegeben, ohne dass es zu einer Umkehr gekommen ist“, erklärt Korte. „In Bohrkernen und Gesteinsanalysen finden wir Hinweise auf ähnliche Phasen, die sich dann aber wieder stabilisiert haben.“ Die südatlantische Anomalie mag also auffällig sein – als verlässlicher Indikator für einen bevorstehenden Polsprung taugt sie offenbar nicht. 

Grund für das wankelmütige Treiben sind die Prozesse im äußeren Erdkern. Dort, einige Tausend Kilometer unter unseren Füßen, brodeln gewaltige Mengen an flüssigem Eisen. Die Erdrotation hält das bis zu 6000 Grad heiße Metall in ständiger Bewegung. Zusätzlich wird es durch Wärmeströmungen in Wallung gebracht – heißeres Material steigt auf, kühleres sinkt abwärts. Das stetige Wirbeln erzeugt elektrische Ströme, die per Induktion das Erdmagnetfeld aufbauen. Die Fachwelt spricht vom Geodynamo.

Dann und wann verändert sich das strömende Geschehen dramatisch – es kommt zum Polsprung. Würde er abrupt einsetzen, hätte das erhebliche Folgen. Schließlich fungiert das Erdmagnetfeld als Schutzschild vor kosmischer Strahlung. Es hält energiereiche Teilchen von uns fern oder lenkt sie in die Polregionen ab, wo sie Polarlichter an den Himmel zaubern. Während einer Polumkehr dürfte dieser Schutzschirm bröckeln. Satelliten könnten ausfallen, Stromnetze gestört und Flugrouten verlegt werden – wegen erhöhter Strahlung in der Atmosphäre.

Auch Tiere würden die Folgen zu spüren bekommen. Besonders betroffen wären Arten, die im Lauf der Evolution einen Magnetsinn ent­wickelt haben. „Diese Magnetorezeption ist weitverbreitet“, sagt Nathan Putman, Biologe beim Forschungs- und Beratungsunternehmen LGL in Texas. „Sie findet sich bei Weichtieren, Insekten, Amphibien, Reptilien, Vögeln, Säugetieren, sogar bei Bakterien.“ Manche Tiere besitzen einen natürlichen Kompass, der ihnen die Richtung weist. Andere nutzen das Magnetfeld wie eine Landkarte: Sie detektieren die Stärke des Magnetfelds – nahe den Polen ist es etwa doppelt so stark wie am Äquator – und können so ihre geografische Position einschätzen.


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mare No. 172

mare No. 172Oktober / November 2025

Von Frank Grotelüschen

Frank Grotelüschen, Jahrgang 1962, gelernter Physiker und Wissenschaftsjournalist in Hamburg, fragt sich, wie es wäre, wenn Menschen einen inneren Kompass hätten. Würden wir unseren Weg dann ohne Google Maps finden?

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