Spitzbergen

Der mare-Bildband widmet sich mit beeindruckenden ­Fotografien der überwältigenden Schönheit des Archipels in der Arktis – in dem Menschen eigentlich nichts verloren haben

Auf seiner dritten Reise in die Arktis entdeckte der niederländische Seefahrer Willem Barents 1596 ein Eiland, das sich an seiner höchs­ten Stelle 1713 Meter über den Meeresspiegel erhob, und nannte es „Spitzbergen“. Der Name umfasst heute ein Archipel von etwa 400 Inseln mit circa 60 000 Quadratkilometer Landmasse, zwei Drittel davon von Gletschern bedeckt. Wer einmal dort war, wird die Bilder nie vergessen. Nicht die Schattierungen des Lichts und die Blautöne der Eisberge, nicht die gleißende Sonne im Sommer, nicht die weiße Weite, die man als Schiffstourist mit dem Fernglas nach Eisbären absucht, bis einem die Augen tränen. Nicht die Felswände, gestapelte Erdgeschichte von 600 Millionen Jahren, nicht das Farbenspiel aus gelben Flechten, grünem Moos und zart­rosa Blüten auf sumpfigem Boden, fragiler Grund, der keine schweren Schritte trägt.

Wer einmal dort war, wird auch jenes Gefühl nicht vergessen, das sich schnell einstellt und sich nicht mehr verdrängen lässt: Der Mensch hat hier eigentlich nichts verloren. Es gibt keine Einheimischen, kein angestammtes Volk. Menschen sind fast immer gekommen, um etwas zu holen. Im frühen 17. Jahrhundert wurde Spitzbergen zu ihrem Revier, begünstigt durch den Golfstrom, der an der Westküste im Sommer für eisfreie Fjorde sorgt. Ergiebigste Beute war der Grönlandwal mit seiner dicken Speckschicht – in der Arktis gab es damals so viele davon, dass die britischen Jäger ihn Common Whale, „Gewöhnlicher Wal“, tauften. Verarbeitet wurden die Meeressäuger an Land, die Spuren sind bis heute an den Stränden zu sehen: Reste von Unterkünften, ver­blichene ­Riesenknochen ihrer Beute. Ende des 18. Jahrhunderts war der Grönlandwal, der weit über 100 Jahre alt werden kann, in den Gewässern um Spitzbergen nahezu ausgerottet. 

Die Profiteure des Walfangs haben auch die Männer, die für sie arbeiteten, nicht geschont. Davon zeugen die Gräber in der Wildnis Spitzbergens. Hunderte sind geblieben für immer. Als die Zeit ihre Überreste wieder ans Licht brachte, konnte man sehen, dass sie für die Arktis nicht wirklich gut gekleidet waren. Sie trugen Leinenhemden, knielange Hosen und außer Mützen und Wollstrümpfen nichts ausreichend Warmes am Leib. Hartgesottene Russen und Norweger folgten ihnen nach, die anders als die Walfänger auch über den Winter blieben, um Eisbären und Polarfüchse zu erlegen. Ihre Legenden wurden mit Rekordzahlen geschrieben: Iwan Starostin, 39 Winter auf Spitzbergen, davon 15 ohne Unterbrechung. Hilmar Nøis, 38 Überwinterungen zwischen 1909 und 1973. Die Frau allerdings, die ihm in die Arktis folgte, erlitt, nachdem sie allein in einer entlegenen Hütte seinen Sohn geboren hatte, einen Nervenzusammenbruch, von dem sie sich nie mehr erholen sollte.

Wer nach Spitzbergen reist, begibt sich auf höchst lebensgefährliches Terrain. 1915 ordneten die Behörden an, dass wer dort überwintern will, Vorräte für ein ganzes Jahr mitbringen muss. Einige Jäger zu viel waren tragische Tode gestorben. Auf einer Proviantliste von Hilmar Nøis ist das Ergebnis vorausschauender Planung zu lesen: 200 Kilo Mehl, 18 Kilo Margarine, 5 Kilo Reis, 15 Kilo Weizen, 5 Kilo Maisgries, 12 Kilo Kaffee, 1/2 Kilo Tee, 5 Flaschen Obstsaft, 3 Kilo Backpflaumen, 3 Kilo Rosinen, 50 Kilo Kartoffeln, 5 Kilo getrocknete Kartoffeln, 12 Packungen Kondensmilch, 1 Kilo Milchpulver, 15 Kilo Sirup, 1 Fass Sauerrahm. All das kann man heute im Supermarkt von Longyearbyen kaufen, der dessen gut 2500 Einwohner versorgt. Doch immer noch werden Broschüren gedruckt, die Zuzügler geduldig vor der Kälte warnen und erklären, wie man sich gegen Angriffe von Eisbären bewaffnet. Das Tragen eines Gewehrs ist auf den Inseln außerhalb der Siedlungen Pflicht. 

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mare No. 151

mare No. 151April / Mai 2022

Von Martina Wimmer und Paolo Verzone

mare-Redakteurin Martina Wimmer hat auf einer Schiffsreise um Spitzbergen viele taghelle Polarnächte an Deck verbracht. Einmal hat ihr der kühne Norweger, der die Reisegruppe vor Eisbären schützen sollte, etwas in die Hand gedrückt, das so fein schmeckte wie Bündnerfleisch. Es war, wie er ihr nach dem Verzehr grinsend erzählte, getrocknetes Rentierherz.

Der italienische Fotograf Paolo Verzone, Jahrgang 1967, war 2014 erstmals in Spitzbergen und ist seither immer wieder zurückgekehrt.

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Vita mare-Redakteurin Martina Wimmer hat auf einer Schiffsreise um Spitzbergen viele taghelle Polarnächte an Deck verbracht. Einmal hat ihr der kühne Norweger, der die Reisegruppe vor Eisbären schützen sollte, etwas in die Hand gedrückt, das so fein schmeckte wie Bündnerfleisch. Es war, wie er ihr nach dem Verzehr grinsend erzählte, getrocknetes Rentierherz.

Der italienische Fotograf Paolo Verzone, Jahrgang 1967, war 2014 erstmals in Spitzbergen und ist seither immer wieder zurückgekehrt.
Person Von Martina Wimmer und Paolo Verzone
Vita mare-Redakteurin Martina Wimmer hat auf einer Schiffsreise um Spitzbergen viele taghelle Polarnächte an Deck verbracht. Einmal hat ihr der kühne Norweger, der die Reisegruppe vor Eisbären schützen sollte, etwas in die Hand gedrückt, das so fein schmeckte wie Bündnerfleisch. Es war, wie er ihr nach dem Verzehr grinsend erzählte, getrocknetes Rentierherz.

Der italienische Fotograf Paolo Verzone, Jahrgang 1967, war 2014 erstmals in Spitzbergen und ist seither immer wieder zurückgekehrt.
Person Von Martina Wimmer und Paolo Verzone