Seuchenwehr

Nie haben sich Bakterien, Viren und Parasiten so schnell verbreitet wie im Zeitalter der Globalisierung. Erste Adresse im Kampf gegen die Biester ist das Tropeninstitut in Hamburg

Da wäre zum Beispiel das Plasmodium. Das Plasmodium ist ein mikrometerkleiner Parasit mit einem komplizierten Lebensrhythmus. Eigentlich müsste es darum sehr anfällig sein. Ist es aber nicht. Im Gegenteil, es ist sehr robust. Es lebt in Mücken und Menschen, kriecht durch Darm und Speicheldrüse von Moskitos. Mit ihrem Stich schlüpft es ins Menschliche, es rutscht durch die Blutbahn, es attackiert die Leber. Es zwingt sie, sich unnormal zu verhalten. Denn eine Leberzelle, die was auf sich hält, bringt sich um, damit der Rest überlebt. Apoptose nennt das der Fachmann, kontrollierter Zelltod.

Das Plasmodium aber programmiert die Leberzelle um, sie dient ihm jetzt. Auch die Blutzelle, eigentlich ein toter Sack aus Hämoglobin, ist wie verwandelt und erwacht zu eigenem Leben. Und das alles in gerade einmal 48 Stunden, in denen der Parasit mehrfach seine Gestalt verändert, in denen er sich zigtausendfach vermehrt, um schließlich mit Milliarden Artgenossen zur großen Schlacht gegen das menschliche Immunsystem anzutreten. „Das alles ist doch wirklich faszinierend“, sagt Professor Egbert Tannich.

Also fragt man ganz unverfänglich, was so packend sei an einem Wesen, das sich durch Leiber frisst, um einem schließlich ans Leben zu gehen. Das noch jedes weitere Jahr zwei Millionen Menschentode auf sich lädt. Da legt der Professor erst richtig los, Stichwort Malaria.

Am Ende weiß man Bescheid über den Killer, und man ist auch ziemlich verängstigt. Glücklicherweise hilft der Professor einem aber wieder aus der Beklemmung. „Wir arbeiten an einem Impfstoff. Es gibt schon vielversprechende Lösungen.“ Da hat der Professor wieder einmal vermittelt, was sein Arbeitgeber über alles stellt: Forschen, Heilen, Lehren.

Es ist das Hamburger Tropeninstitut, hoch auf den Elbhängen, mit Blick auf den Hafen. Mit Blick auf die Schiffe also. Ihretwegen wurde das Institut vor über 100 Jahren gegründet. Wegen all der exotischen Krankheiten, die auf den Frachtern einreisten und deren Klang heute noch erschaudern lässt: Malaria, Ruhr, Syphilis.

Mit einer Festung wird das BNI – das „Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin“ – verglichen; mit einer Trutzburg wider die Heerscharen winzigster Feinde. Nur rennen jene nicht gegen seine dicken Backsteinmauern. Sie haben andere Wege: Parasiten verbeißen sich in Gewebe, Bakterien schlüpfen in Zellen, Viren rasen durch Blutbahnen. Anfangs tun sie es zumeist heimlich, doch immer trickreich und viel zu oft mit tödlicher Konsequenz. Ihre Eroberungswut kennt keine Grenzen, weder geografische noch biologische.

1892 verheerte eine aus den Kolonien eingeschleppte Cholera die Hansestadt. Den hiesigen Kaufleuten schlug die Epidemie erheblich ins Kontor. Neuen Aggressionen dieser Art wollten sie gewappnet entgegentreten. Zumal ihnen auch der Blutzoll ihrer deutschen Mittelsmänner in Afrika, Asien und Umgebung längst zu hoch schien. Und schließlich: Nur gesunde Crews konnten den Reichtum aus Übersee nach Hause segeln.

Der Marinestabsarzt Bernhard Nocht hatte Erfahrung mit den Tropen. Im Auftrag der Hanseaten errichtete er zunächst Kontrollstationen entlang der Elbe. Als Hafenarzt überwachte er die Hygiene an Bord, er folgte den Matrosen bis in die Kojen, und zur Not räucherte er ihre „Furzmollen“ aus. Schnell war klar, dass vor allem importierte Seuchen die Besatzungen quälten, allen voran Malaria. Aber auch Bauchtyphus, Schwindsucht und Diphtherie diagnostizierte er, ein halbes Tausend Fälle allein im Gründungsjahr 1900. Sie wurden im Seemannskrankenhaus behandelt, das kurz nach der Gründung des Tropeninstituts eröffnet wurde.

Nocht war ein Schüler Robert Kochs; gegen den großen Mikrobiologen setzte er durch, das Institut in Hamburg statt in Berlin zu errichten, eben der Schiffe wegen. Heutzutage wäre Frankfurt am Main die beste Wahl – was aus tropischer Ferne kommt, landet zumeist auf Deutschlands größtem Flughafen. Da lächelt Äskulap: Lange vor der modernen Tropenmedizin machten die Ärzte schlicht die Luft für die Krankheiten des Südens verantwortlich.

Inzwischen sind an die 100 einschlägige Erreger bekannt, und die Hamburger wissen zu jedem etwas. 260 Mitarbeiter sind es derzeit. Sie erkennen rasch, was die Brechruhr von einer Magenverstimmung unterscheidet. Sie kennen sich aus in der Handhabung eines Immunfluoreszenzmikroskops und in der eines indianischen Blasrohrs. Sie wissen einen Virenstamm regelgerecht zu behandeln und einen Stamm wilder Pygmäen ebenso, beide sollen ja kooperieren. Wo sonst in Europa findet sich eine vergleichbare geballte Tropenerfahrung? In Hamburg nennen sie ihre Forschungsbereiche „Immunologie“, „Genetische Epidemiologie“, „Virologie“ oder „Wirt-Parasit-Interaktion“.


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mare No. 60

No. 60Februar / März 2007

Von Maik Brandenburg und Mathias Bothor

mare-Autor Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, erlebte das Werk von Bakterien in Thailand buchstäblich am eigenen Leib, als sich ein erst unbeachteter Ritz rasch zu einer großen Wunde entzündete. Ansonsten hat er nur schöne Erfahrungen mit den Tropen – nicht zuletzt wegen der Beratung im BNI und den Impfungen vor besonders heiklen Reisen.

Der Berliner Fotograf Mathias Bothor, ebenfalls 1962 geboren, war vor seinem Besuch im Bernhard-Nocht-Institut auf eine ernste, hermetisch abgeriegelte Welt eingestellt – und war erstaunt, „wie extrem entspannt und offen“ die Atmosphäre war.

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Vita mare-Autor Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, erlebte das Werk von Bakterien in Thailand buchstäblich am eigenen Leib, als sich ein erst unbeachteter Ritz rasch zu einer großen Wunde entzündete. Ansonsten hat er nur schöne Erfahrungen mit den Tropen – nicht zuletzt wegen der Beratung im BNI und den Impfungen vor besonders heiklen Reisen.

Der Berliner Fotograf Mathias Bothor, ebenfalls 1962 geboren, war vor seinem Besuch im Bernhard-Nocht-Institut auf eine ernste, hermetisch abgeriegelte Welt eingestellt – und war erstaunt, „wie extrem entspannt und offen“ die Atmosphäre war.
Person Von Maik Brandenburg und Mathias Bothor
Vita mare-Autor Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, erlebte das Werk von Bakterien in Thailand buchstäblich am eigenen Leib, als sich ein erst unbeachteter Ritz rasch zu einer großen Wunde entzündete. Ansonsten hat er nur schöne Erfahrungen mit den Tropen – nicht zuletzt wegen der Beratung im BNI und den Impfungen vor besonders heiklen Reisen.

Der Berliner Fotograf Mathias Bothor, ebenfalls 1962 geboren, war vor seinem Besuch im Bernhard-Nocht-Institut auf eine ernste, hermetisch abgeriegelte Welt eingestellt – und war erstaunt, „wie extrem entspannt und offen“ die Atmosphäre war.
Person Von Maik Brandenburg und Mathias Bothor