Segler, wie das Meer sie schuf

Die besten Skipper der Welt sind Bretonen. C’est comme ça

Erste Erfahrungen sind prägend. Wer in Hamburg segeln lernt, fährt auf die Alster und verliert nie die noblen Villen von Harvestehude und Uhlenhorst aus den Augen. In Berlin kreuzt er über den umwaldeten Wannsee, in Kiel über die freundliche Förde und in Bayern über den heiteren Chiemsee. Überall begegnet ihm das Wasser als Freund.

Wer an der Küste der Bretagne Segel setzt, bekommt es mit Wasser zu tun, das zu den unheimlichsten der Erde gehört. Bis zur Entdeckung der neuen Welt durch Kolumbus galt es als grenzenlos, und die Menschen glaubten, dass von diesem felsigen Zipfel Europas, der am weitesten in die atlantische Grenzenlosigkeit vorstößt, die Gestorbenen zur ewigen Ruhe in das Totenreich hinter dem Sonnenuntergang gehen.

Vor diesem Meer saß 1847 der junge Gustave Flaubert auf seiner Wanderung durch die Bretagne einen vollen Tag auf den Klippen, spürte „ganz Europa, ganz Asien“ hinter sich und sah vor sich die unendliche Weite und Uferlosigkeit der See – ein existenziell prägendes Grenzerlebnis. „Ich war wie eine losgerissene Alge im Ozean, zwischen zahllosen Wogen, die rollten, mich umdrängten und umbrausten.“

Was vor dem Dichter lag, ist ein wildes, bedrohliches, expansionistisches Meer, das dem Land sein Territorium immer wieder streitig gemacht hat. Besonders grausam im Mai des Jahres 709, als ein Erdbeben eine gewaltige Flutwelle auslöste, die die Küstenlinie bis zu 30 Kilometer landeinwärts verlegte und viele Dörfer unter sich begrub. Seither wird der Felsen Mont Saint-Michel, ursprünglich inmitten eines Waldes gelegen, von der Flut umspült. Das Meer der Bretagne ist ein Extremist, zu Recht berüchtigt und gefürchtet. „Neben den Gewässern um Kap Hoorn ist der Golf von Biskaya eines jener Seegebiete, welche an Segler und Seeleute allerhöchste Anforderungen stellen“, warnt der Revierführer. Vier Ursachen sind es, die sich in ihrer Wirkung addieren und den Seemann von jeher das Fürchten lehren.

Die Wassertiefe in der Biskaya nimmt schlagartig ab – von 3000 bis 4000 Meter auf 200 und weniger –, die langen Wellen des Atlantiks werden abrupt abgebremst und steilen sich auf. Zusätzlich können sie von der schroffen Küste reflektiert werden; es entstehen gefährliche Überlagerungen. Die Küste hat auch noch, verursacht von der geringen Tiefe des Ärmelkanals, neben Kanada die größten Gezeitenunterschiede der Welt, also auch die stärksten Gezeitenströme; im Norden des bretonischen Dreiecks beträgt der Tidenhub bis zu 14 Meter. Und genau dieses Gebiet ist auch die Einfallsbahn, auf der die atlantischen Tiefdrucksysteme mit ihren Weststürmen nach Europa ziehen und Schiffe, die in den Ärmelkanal wollen, in die von Untiefen und Felsen starrende Küste der Bretagne peitschen. Sturm, Nebel, Gischt, meterhohe Wellen sind hier Alltag, die Felsen, die sich wie kieloben schwimmende Schiffe aus der grauen See heben, sind schlecht zu erkennen. Wer von diesem Schiffsfriedhof nicht genügend Abstand hält, hat alle Aussicht, für immer auf ihm zu bleiben. „Qui voit Ouessant, voit son sang“, sagt ein geflügeltes Wort: Wer Ouessant sieht, die westlichste Insel der Bretagne vor der Spitze von Brest, sieht seinem Ende entgegen. Zu Lustfahrten lockt dieses Meer nicht. Da fuhr nur hinaus, wer musste. Die Fischer vor allem, die zwischen 1850 und 1935 zu den Fanggründen vor Island und Neufundland aufbrachen, um dann dort mit kleinen Skiffs, die gerudert oder gesegelt wurden, Kabeljau zu fischen – lange Zeit ein wichtiges Wirtschaftsgut der Bretagne. Die Fangbootleute, die oft von plötzlichem Nebel oder Schnee überrascht wurden, zeichneten sich durch eiserne Durchhaltekraft und legendären Mut aus. Dennoch kehrten 2000 von ihnen, mehr als 100 Schiffe, nicht in die Häfen der Heimat zurück.

Ein Meer wie dieses wird nicht in romantischen Liedern besungen. Es löst keine Liebe aus, sondern Respekt, vielleicht sogar Furcht. Aber es bleibt eine Herausforderung. Es fordert, bezwungen zu werden, mehr Stärke zu zeigen als die rasende See, mehr Schnelligkeit zu entwickeln als das jagende Tief. Und der Konstellation von Widrigkeiten, die ins Verderben führen wollen, überlegene Kühnheit und Klugheit entgegenzusetzen. Ein Meer wie dieses fordert Tapferkeit, aber auch Vorsicht und Umsicht. Nicht zufällig verfügte Ludwig XIV. im Jahr 1655, dass die Kapitäne der königlichen Flotte ausschließlich aus den Reihen der Bewohner von Saint-Malo zu stammen hätten, damals der bedeutendsten Hafenstadt der Bretagne. Und es ist bezeichnend, dass auch heute noch das einzige französische Trainingsquartier für Hochseeregatten in der Bretagne liegt, in Port-La-Forêt bei Quimper. Wer hier den Umgang mit der See lernt, ist ihr auf allen sieben Meeren gewachsen.

„Mer agitée“, bewegte See, hat Michel Desjoyaux sein Yacht- und Ausbildungszentrum im gleichen Hafen genannt. Der athletische 43-jährige Bretone hat am 1. Februar dieses Jahres als Erster die Ziellinie der Vendée Globe gekreuzt, der härtesten Segelregatta der Welt, die rund 25 000 Seemeilen um die Welt führt, ohne dass die Einhandsegler irgendwo stoppen oder fremde Hilfe annehmen dürfen. Rund vier Wochen dauert allein die gefährliche Passage durch das antarktische Meer südlich von Kap Hoorn und Neuseeland, wo das Wasser minus 5 Grad kalt ist. „Damit verglichen“, sagt Desjoyaux, „ist der Atlantik Urlaub.“ Der Bretone hat diese Fahrt mit seiner 18-Meter-Yacht „Foncia“ in der Rekordzeit von 84 Tagen und drei Stunden geschafft, was einer unglaublichen Durchschnittsgeschwindigkeit von 14 Knoten entspricht.


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mare No. 76

No. 76Oktober / November 2009

Von Peter Sandmeyer und Tanja Székessy

Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, Autor für den Stern, lernte die Bretagne während einer Reportage kennen, als er bretonische Fischer beim Fang der jungen Glasaale begleitete.

Tanja Székessy ist Illustratorin in Berlin und auf Porträts spezialisiert.

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Vita Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, Autor für den Stern, lernte die Bretagne während einer Reportage kennen, als er bretonische Fischer beim Fang der jungen Glasaale begleitete.

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Vita Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, Autor für den Stern, lernte die Bretagne während einer Reportage kennen, als er bretonische Fischer beim Fang der jungen Glasaale begleitete.

Tanja Székessy ist Illustratorin in Berlin und auf Porträts spezialisiert.
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