Seewolf, Feingeist, kluge Frau

Eine Wiederbegegnung mit Jack Londons Romanfiguren: Eine Heldin passt nicht zu den Abenteurern auf See

Der Seewolf. Raimund Harmstorf, sagen die über 40jährigen spontan. Raimund Harmstorf in seiner ersten großen Rolle ƒals Wolf „Seewolf“ Larsen. Wunderschön stark und bärtig und grausam fesselte er Weihnachten 1971 das bundesdeutsche Fernsehpublikum.

Doch kaum einer erinnert sich, daß da auch Beatrice Cardon war – als die feine Maud Brewster. Haften blieb: die rauhe Männerwelt. Mit dem Roman von Jack London ist das ähnlich. Wovon der „Seewolf“ handelt? Von einem brutalen Kapitän, der seine Mannschaft tyrannisiert und sich mit seinem Bruder, ebenfalls Kapitän, bekriegt. Ist das alles?

Ursprünglich hatte Jack London vor-gehabt, einfach seine Erlebnisse als 17jähriger auf dem Robbenschoner „Sophia Sutherland“ aufzuschreiben. Doch angestachelt durch seine ersten literarischen Erfolge, drehte er das Rad ein Stück weiter. Er nahm sich 1903 vor, eine richtige Seegeschichte zu schreiben, „mit Abenteuern, Sturm, Kampf, Tragödie und Liebe. Das Liebes-Element soll sich durch die ganze Geschichte ziehen, und Mann & Frau sollen einen Großteil der Zeit auf der Bühne sein.“

Auch sollte die Geschichte glücklich enden – und noch eine Botschaft enthalten: „Der Leitgedanke, das menschliche Motiv hinter dem Ganzen, ist, was ich Herrschaft nennen würde. Meine Idee ist, eine kultivierte, geläuterte, überzivilisierte Frau und einen ebensolchen Mann (die vor lauter ,Raffinesse‘ des künstlichen, zivilisierten Lebens blind sind für die wahren Tatsachen des Lebens) zu nehmen und sie in eine primitive Umgebung auf See zu schmeißen, wo der ganze Druck & Kampf und das Leben selbst zum Ausdruck kommt – ganz einfach in Form von Essen und Wohnen; und ich möchte, daß dieser Mann und diese Frau sich zu der Situation emporschwingen und mit fliegenden Fahnen siegen.“ Die Liebesgeschichte sollte die oberflächlichen Leser locken, während die ernsthafteren Leser sich mit dem Thema Herrschaft befassen sollten. Soweit der Plan.

Daß wir uns an den Seeroman erinnern und nicht an die Liebesgeschichte, ist kein Wunder. Jack London hat beim Schreiben die Gewichte verschoben. Stark, spannend, fesselnd, funkelnd ist der Roman da, wo es um den ganzen „Druck & Kampf und um das Leben selbst“ geht – an Bord der „Ghost“. Das sind grausame Szenen.

Das Bild, das Jack London von der Männerwelt zeichnet, ist rauh und schön zugleich. Kapitän ist Wolf Larsen, der Seewolf. „Er war ein Mann in seiner Vollkommenheit, beinahe ein Gott.“ Jack London tut alles, damit seine Leser und seine Leserinnen sich in diesen Mann verlieben. Er läßt dessen Augen funkeln, Augen, die „intensiv und männlich – lockend und bittend – in feuriger Liebe blitzend, Frauen bezaubern und zugleich beherrschen mochten, daß sie sich in einem Schauer von Freude und Erleichterung ergaben.“ Er läßt dessen Geist messerscharf aufleuchten. Und er läßt die Leser und Leserinnen dessen Schönheit spüren. „Ich hatte ihn noch nie entblößt gesehen, und der Anblick seines Körpers benahm mir fast den Atem. ... Er spreizte die Beine und preßte die Zehen gegen den Kajütsboden, als wolle er ihn damit packen. Knoten, Klüfte und Berge von Muskeln spielten unter seiner Haut. ‚Fühlen Sie!‘, befahl er. Sie waren hart wie Stahl.“ Wer starke Körper mag, dem wird da warm.

Wolf Larsen ist nicht nur schön. Er ist auch grausam. „Gewalt, nichts als rohe Gewalt herrschte auf diesem Schiffe. Moralische Begriffe galten hier nicht.“ Larsen herrscht über alle in dieser Welt. Er allein ist befugt zu sagen: „Der Mann gehört mir, und wenn es mir paßt, kann ich Suppe aus ihm kochen und sie essen.“ Die Männer auf der „Ghost“ sind bei diesem Spiel dabei. Wo Hierarchien wanken, wird gekämpft. Wer unterliegt, sinnt bald auf Rache. Nur gegen Larsen sind sie alle eine Front. Bis das Schiff im Sturm treibt. Dann stehen sie hinter ihm, um den äußeren Feind gemeinsam zu besiegen. Hinterher werden dann wieder die Messer gewetzt.

Derselbe Jack London hat die Geschichte von seiner Reise auf der „Sophie Sutherland“ auch ganz anders erzählt. In seinem autobiographischen Roman „John Barleycorn“, der auch unter dem Titel „König Alkohol“ erschien, berichtet er, was er selbst als 17jähriger bei den Robbenjägern erlebte. Von wilden Gefechten an Deck ist da nicht die Rede. Wohl aber von Kneipen, Kneipen und nochmal Kneipen. Nur ein paar magere Zeilen sind der Seefahrt gewidmet.

Noch eins kommt hinzu: Jack London hatte Nietzsche, Darwin und Spencer gelesen und versuchte, deren Gedanken literarisch zu prüfen. Er schafft eine Miniaturwelt, um zu sehen, was passiert – passieren könnte, wenn es den Übermenschen gäbe. In dieser Welt aus Macht, Kampf und Willkür führt London ein Experiment durch. Schreibend ergründet er, was das System zum Wanken bringt. Dabei geht er in zwei Schritten vor.

Erste Frage: Was passiert, wenn ein sehr feingeistiger Mann angespült wird, jemand von umfassender Bildung und mit bürgerlich-humanistischen Werten? Die Antwort heißt: nichts. Humphrey van Weyden, dem diese Rolle zukommt, begreift schnell, daß er hier gegen Wolf Larsen nichts ausrichten kann. „Er war stärker als ich“, stellt er nach kurzem Aufenthalt fest, „das war alles.“ Der Mann ist im Bann des Seewolfs gefangen. Er wird initiiert, getauft, bekommt einen neuen Namen und fängt an, das Tier in sich zu entdecken. Die Männerspiele an Bord ändern sich durch seine Anwesenheit nicht. Als Mann muß er mitspielen, und er spielt auch mit. „Daß ich, Humphrey van Weyden, solcher Dinge fähig war, bedeutete eine Offenbarung für mich, und ich wußte nicht, ob ich stolz sein oder mich schämen sollte“, läßt Jack London ihn sagen.

Zweite Frage: Was passiert, wenn eine Frau angespült wird? Antwort: Das System stößt sie ab, die Männer unternehmen keinen Versuch, sie zu integrieren. Sie kämpfen untereinander um diese Frau. Wer sie gewinnt, muß die gemeinsame Welt verlassen, um die Frau vor den übrigen Männern zu schützen. Maud Brewster ist das weibliche Gegenstück zu Humphrey van Weyden. Wie er bringt sie eine umfassende Bildung und bürgerlich-humanistische Werte mit. Damit wird deutlich: Nicht das zivilisatorische Element ist entscheidend, sondern einzig das Geschlecht.

Die „schwimmende Miniaturwelt“ auf der „Ghost“ ist konzipiert als frauenfreie Zone. Lange vor Maud Brewsters Erscheinen schon hatte Humphrey van Weyden sich sehnsüchtig an Mutter und Schwester erinnert und daran, daß er ihnen stets zu entrinnen suchte. „Aber ach, wie willkommen wäre mir jetzt ihre Gegenwart, das Rascheln ihrer Kleider gewesen, das ich so von Herzen verabscheut hatte! So vieles wundert mich. Wo sind die Mütter dieser zwanzig zusammengewürfelten Männer auf der ,Ghost‘? Es erscheint mir unnatürlich und ungesund, daß sich Männer völlig getrennt von Frauen herdenweise allein durch die Welt treiben sollen. Roheit und Wildheit sind die unvermeidlichen Folgen. Hätten diese Männer Frauen, Schwestern und Töchter um sich, sie würden imstande sein, Sanftmut, Zärtlichkeit und Mitgefühl zu bekunden. Tatsächlich ist nicht einer von ihnen verheiratet.“

Von dem Moment an, wo Maud Brewster die Planken betritt, unterbrechen die Männer ihre Routine. Sogar Wolf Larsen wird charmant, und Humphrey van Weyden ist auf der „Ghost“ nicht mehr zu gebrauchen. Sein Platz in dieser Männergesellschaft ist ihm plötzlich egal. Statt dessen will er Maud retten. Ihr Beschützer zu sein ist jetzt der Inhalt seines Lebens. „Den Tod... fürchtete ich nicht mehr“, läßt Jack London Humphrey sagen. „Maud Brewster war in mein Leben getreten, und das schien mich verwandelt zu haben.“ Die Liebe gibt ihm ungeahnte Kraft. Allerdings nutzt er die nicht, um in den Männerspielen zu siegen. Sobald die Frau zu ihm gehört, steigt er aus.

Sie entpuppt sich als mutig, zäh, entschlossen und stärker, als ihre „ätherische Erscheinung“ zunächst vermuten ließ. Sogar Wolf Larsen sieht das und macht ihr dafür Komplimente. „Sie sind wirklich vollkommen, trotz ihrer Gelehrsamkeit, wert, das Weib eines Seeräuberhäuptlings zu sein. Na, darüber werden wir später reden“, sagt er bewundernd. Befehle gibt er ihr nicht. Der Kampf bleibt Sache der Männer.


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mare No. 13

No. 13April / Mai 1999

Von Cornelia Gerlach

Cornelia Gerlach, Jahrgang 1960, ist Theologin und lebt als freie Autorin in Berlin. In mare No. 4 erschien ihre Geschichte Die wollten segeln als Matros... über Frauen, die im 17. und 18. Jahrhundert in Männerkleidern auf niederländischen Schiffen anheuerten. Dafür erhielt sie den Emma-Journalistinnenpreis. In mare schrieb sie zuletzt über Seejungfrauen (in No. 8)

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Vita Cornelia Gerlach, Jahrgang 1960, ist Theologin und lebt als freie Autorin in Berlin. In mare No. 4 erschien ihre Geschichte Die wollten segeln als Matros... über Frauen, die im 17. und 18. Jahrhundert in Männerkleidern auf niederländischen Schiffen anheuerten. Dafür erhielt sie den Emma-Journalistinnenpreis. In mare schrieb sie zuletzt über Seejungfrauen (in No. 8)
Person Von Cornelia Gerlach
Vita Cornelia Gerlach, Jahrgang 1960, ist Theologin und lebt als freie Autorin in Berlin. In mare No. 4 erschien ihre Geschichte Die wollten segeln als Matros... über Frauen, die im 17. und 18. Jahrhundert in Männerkleidern auf niederländischen Schiffen anheuerten. Dafür erhielt sie den Emma-Journalistinnenpreis. In mare schrieb sie zuletzt über Seejungfrauen (in No. 8)
Person Von Cornelia Gerlach