Schutzpatronin für Neptuns Rösser

Amanda Vincent erforschte als Erste das Verhalten der Seepferdchen. Porträt einer engagierten Biologin

Die Ruhe im Sturm zu wahren habe sie von den Seepferdchen gelernt, erzählt Amanda Vincent. Das beschauliche Leben der Tiere, die tagsüber fast bewegungslos im Seegras ruhen, versetze jeden Beobachter in eine Art Meeresmeditation. „Ich übe mich in Geduld, obwohl ich eigentlich kein geduldiger Mensch bin“, sagt die Professorin an der McGill-Universität in Montreal, Kanada.

Doch längst vorbei sind die Zeiten, in denen sie sechs bis neun Stunden täglich im flachen Wasser lag, während das Liebesleben der Seepferdchen sich vor ihrer Taucherbrille entfaltete.

Vor vier Jahren gründete sie das „Project Seahorse“, um den raschen Schwund der Seepferdchen-Populationen zu stoppen. Heute verwaltet sie eine Gruppe von fast vierzig Mitarbeitern, verhandelt mit Sponsoren, Regierungen oder internationalen Schutzorganisationen. Zudem hält sie Vorlesungen über Meeresbiologie und politische Ökologie.

Anders als die meisten Artenschutzvertreter meidet Vincent jede Konfrontation mit jenen, die für die Bedrohung der Seepferdchen verantwortlich sind. Sie sucht den Dialog mit Fischern, für die die Seepferdchen eine wichtige Einkommensquelle sind, sowie mit Händlern, die die Tiere an Aquarien verkaufen oder als alternative Medizin vertreiben. „Ich empfinde eine tiefe Sympathie für die Menschen in der Dritten Welt, die von unseren natürlichen Ressourcen abhängig sind“, erklärt sie. Ihr Weg des Artenschutzes gilt nicht nur dem Überleben der Tiere, sondern auch dem Schicksal der betroffenen Menschen.

Mitgefühl für die Ärmsten der Erde lernte die in Lateinamerika Aufgewachsene schon in ihrer Jugend und später auch auf ausgedehnten Reisen. Weil Vincent Fischer und Händler zu ihren Verbündeten zählt, fällt sie zuweilen überraschende Entscheidungen. So verzichtete sie auf eine der wirksamsten Waffen der Artenschützer, als sie im Frühjahr während der Artenschutzkonferenz in Nairobi gegen ein Handelsverbot stimmte. Sie befürchtete, das würde den Verkauf der Tiere in den Schwarzmarkt abdrängen und ihre Kooperation mit Fischern und Händlern aufs Spiel setzen.

Dass sie einmal ein internationales Schutzprojekt (siehe Seite 66) leiten würde, hatte sich Vincent kaum träumen lassen, als sie ihre Doktorarbeit über das Sexualleben der Seepferdchen begann. Nicht der Artenschutz, sondern weibliche Neugier habe ihr Interesse an diesen ungewöhnlichen Fischen erweckt, sagt sie. Sie suchte nach dem evolutionären Ursprung für Geschlechterbeziehungen und eine mögliche Erklärung dafür, warum Frauen in vielen Gesellschaften erheblich benachteiligt sind. Die umgekehrte Rollenverteilung bei den Seepferdchen – bei denen die Männchen trächtig werden und den Nachwuchs lebend gebären – fand die feministisch gesinnte Biologin natürlich famos.

Ihre niedlichen Forschungsobjekte bereiteten ihr zunächst allerdings Frustrationen. Sie hatte wenig Erfolg mit ihren Bemühungen, die anspruchsvollen Fische zu züchten. Und bei ihren ersten Versuchen, Seepferdchen im Freien zu beobachten, machte Vincent eine peinliche Erfahrung: „Ich konnte die Biester einfach nicht finden.“ Für ungeübte Augen sind sie auf Grund ihrer perfekten Tarnkunst kaum vom Seegras zu unterscheiden.

Während ihrer Forschung wurden ihr die Seepferdchen dann allerdings so vertraut, dass sie einzelne Individuen auseinander halten lernte und in ihnen sogar unterschiedliche Charaktere erkannte. Bewusst unwissenschaftlich gibt sie zu: „Einige besonders Liebenswerte habe ich richtig in mein Herz geschlossen.“ Zum Beispiel das Männchen, das sich leuchtend orange verfärbte wie das Plastikband, mit dem Vincent ihre Beobachtungsfelder markiert hatte. Oder das Pärchen, das sich die Treue hielt, obwohl der Brutbeutel des Männchens so schwer verletzt war, dass er seinen Vaterpflichten nicht mehr nachkommen konnte.

Es fällt der Zoologin zuweilen schwer, ihrem Vorsatz gemäß Verständnis für Menschen aufzubringen, die für die Vernichtung der Tiere verantwortlich sind. Sie verficht das Prinzip der „nachhaltigen Nutzung“, bei der die wirtschaftlichen und natürlichen Ressourcen erhalten statt verbraucht werden. Doch der Tod jedes Seepferdchens tut ihr weh. Nichts hasst sie mehr, als beobachten zu müssen, wie sich die noch lebenden Fische beim Austrocknen winden, wenn die Fischer sie auf den Markt bringen.


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mare No. 21

No. 21August / September 2000

Von Sophia Wald

Sophia Wald, Jahrgang 1954, lebt als freie Wissenschaftsjournalistin in Washington, D.C. In mare No. 13 porträtierte sie den Unterwasserfotografen Emory Kristof. In Heft 3 schrieb sie über das National Museum of Natural History in der US-Hauptstadt

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Vita Sophia Wald, Jahrgang 1954, lebt als freie Wissenschaftsjournalistin in Washington, D.C. In mare No. 13 porträtierte sie den Unterwasserfotografen Emory Kristof. In Heft 3 schrieb sie über das National Museum of Natural History in der US-Hauptstadt
Person Von Sophia Wald
Vita Sophia Wald, Jahrgang 1954, lebt als freie Wissenschaftsjournalistin in Washington, D.C. In mare No. 13 porträtierte sie den Unterwasserfotografen Emory Kristof. In Heft 3 schrieb sie über das National Museum of Natural History in der US-Hauptstadt
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