Schellfisch, Schnellfisch

Bis Fischers frischer Fang auf unserem Teller liegt, muss er weit reisen. Wir haben ihn begleitet – vom Nordkap nach München

Der Schellfisch ist eine sehr elegante Erscheinung. Bauch und Flanken silberweiß, der Rücken dunkelgrau, dazu ein feiner schwarzer Streifen, der sich von den Kiemen bis zur Schwanzflosse zieht. Über beiden Brustflossen prangt ein schwarzer Fleck, der eine sagenhafte Geschichte hat. Als Jesus Brot und Fisch vermehrt, um die Fünftausend zu speisen, nimmt er den Schellfisch. Der Teufel versucht es Jesus gleichzutun, doch der Fisch zappelt sich frei und entkommt dem satanischen Griff. Zurück bleiben zwei Brandmale.

Melanogrammus aeglefinus, ein enger Verwandter des Kabeljaus, schwimmt am liebsten im Schwarm und in einer Tiefe von 40 bis 300 Metern über schlammigem Grund. Daher die großen Augen, er kann selbst im Dämmerlicht noch gut sehen. Mit den merkwürdigen Bartfäden am Unterkiefer spürt er am Meeresboden Würmer, Muscheln und Krebse auf. Heute schnappt er ausnahmsweise nach einem fetten Stück Hering. Keine gute Idee.

1. Tag, 14 Uhr. Am Haken

Denn der Hering hängt als Köder an einer Langleine, die sich im eisigen Wasser des Nordkaps in 200 Meter Tiefe zwischen zwei Ankern spannt. Über zweieinhalb Seemeilen erstreckt sich die Leine aus Terylen-Polyester, alle zwei Meter eine dünnere Seitenschnur, daran ein Haken samt Köder. Der spitze Stahl bohrt sich in den Kiefer des Schellfischs, ein Widerhaken sorgt dafür, dass er nicht mehr loskommt.

Er ist nicht der Einzige, der auf die saftigen Scheiben Hering oder Makrele hereinfällt. Als Bjarni Sigurdsson seine Langleine über die Winsch einholt, kann er sei- ne Beute aus der Tiefe aufsteigen sehen, wie die Perlen auf der Kette, nur wenige Haken bleiben leer. Sobald ein Fisch die Wasseroberfläche durchbricht, schlägt Sigurdsson mit seinem høtt zu, einem Axtgriff, aus dem ein zehn Zentimeter langer Dorn ragt. Er trifft den Fisch am Kopf oder hinter den Kiemen und reißt ihn in einem Schwung vom Haken an Bord. Mit einem dumpfen Klatschen landen die Fische in einer Wanne aus Stahl; einen Moment zucken sie noch, dann liegen sie still: Kabeljau und Schellfisch, prächtige Exemplare, dazu ein paar Rotbarsche, Seehasen, ein Steinbeißer.

Immer wenn die Wanne voll ist, stoppt der Fischer seine Winsch und nimmt sich sein Messer. Packt jeden Fisch am Kopf und zieht ihm die Klinge an den Kiemen entlang durch die Kehle. Geschmack und Haltbarkeit sind besser, wenn die Tiere sofort nach dem Fang ausbluten.

Bjarni Sigurdsson schuftet, und sein Kutter tanzt auf den Wellen. Die Fanggründe liegen zwar in Sichtweite des Nordkaps, aber der Wind bläst gegen die Strömung und türmt eine kurze, steile Welle auf. Das Boot rollt und bockt, doch der Fischer federt die Stöße gelassen weg; seine Gummistiefel müssen Saugnäpfe haben, so sicher bewegt er sich auf dem schwankenden Deck, das vom Blut der Fische glitschig ist. Ein paar Mal rutscht ihm der Fisch vom Haken, aber blitzschnell schnappt Sigurdsson sich die vier Meter lange Stange mit dem Vierzack an der Spitze, langkruk sagt er dazu, und zieht den Fisch wieder an Bord.

Aus dem Lautsprecher an Deck plärrt Musik, eben noch „Angie“ von den Stones, jetzt „Africa“ von Toto, der falsche Soundtrack zu diesem Film, aber immer noch besser als das gierige Kreischen der Möwen. Sigurdsson fährt jeden Tag allein raus, der staatliche Radiosender P1 ist sein Hausmittel gegen die Einsamkeit.

Er lässt die Winsch wieder laufen, schwingt den høtt, wuchtet die schweren Fische mit einem Arm an Deck. Sieben Stunden lang muss der Arm das aushalten, dann ist der letzte Meter Langleine an Bord. Alle Container an Deck sind voll, ein guter Fang. Dabei ist der 47-jährige Bjarni Sigurdsson noch gar nicht lange im Geschäft.

Er stammt aus Husavik im Nordwesten Islands und ist 1985 nach Tromsø gekommen, um Fischwirtschaft zu studieren. Nach Stationen in der Entwicklungshilfe, Tansania und Malawi, leitet er als Manager Aquakulturen und Trawlerflotten, zuletzt für die Brauerei Mack, aber die verkauft 2002 den ganzen Laden, und der Isländer sitzt auf der Straße. Was tun? Bloß nicht wieder an einen Schreibtisch.

Sigurdsson leiht sich 850000 Kronen, etwas mehr als 100000 Euro, und kauft einen Kutter: elf Meter lang, 155 PS stark. Zum Boot, das Sigurdsson auf den Namen seiner Mutter „Bergljot B.“ tauft, gehört außerdem die Quote. Ursprünglich durfte der Kutter 53 Tonnen Kabeljau im Jahr fangen, doch um die Bestände zu schonen, haben die Quotenpolitiker eine neue Obergrenze gezogen: Maximal 70 Prozent des Fangs dürfen heute Kabeljau sein, die übrigen 30 Prozent verteilen sich auf Schellfisch und Seelachs.

Als Sigurdsson gegen neun Uhr abends im Hafen von Skarsvåg festmacht, fegt der Schnee in wilden Böen über den Fjord; auf der Pier liegt ein halber Meter Neuschnee. Feierabend? Der Fischer wetzt sein Messer. Er hat mehr als eine Tonne Fisch an Bord, jeden einzelnen muss er ausnehmen. Schnitt von der Kehle bis zum After, Eingeweide raus, Schnitt durch die Wirbelsäule, Kopf ab. Beim Kabeljau bewahrt er Rogen, Leber und den Kopf auf, die Zunge gilt in Norwegen als Leckerbissen.


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mare No. 51

No. 51August / September 2005

Von Olaf Kanter und Stefan Pielow

Olaf Kanter, Jahrgang 1962, ist mare-Redakteur für Wirtschaft und Wissenschaft.

Stefan Pielow, geboren 1959, lebt als freier Fotograf am Starnberger See.

Kanter bekam auf dem Langleinenkutter ein Paar lange Handschuhe und ein Messer in die Hand gedrückt und durfte bei eisigem Wind und steiler Welle stundenlang Kabeljau und Schellfisch ausnehmen – kein Job für Zimperliche. Stefan Pielow hingegen verbrachte viel Zeit in der Fischverarbeitung, was ihm eine Woche später bei Aufnahmen mit Franz Beckenbauer klar wurde. „Was riecht das hier so streng nach Fisch?“, beschwerte sich der Kaiser.

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Vita Olaf Kanter, Jahrgang 1962, ist mare-Redakteur für Wirtschaft und Wissenschaft.

Stefan Pielow, geboren 1959, lebt als freier Fotograf am Starnberger See.

Kanter bekam auf dem Langleinenkutter ein Paar lange Handschuhe und ein Messer in die Hand gedrückt und durfte bei eisigem Wind und steiler Welle stundenlang Kabeljau und Schellfisch ausnehmen – kein Job für Zimperliche. Stefan Pielow hingegen verbrachte viel Zeit in der Fischverarbeitung, was ihm eine Woche später bei Aufnahmen mit Franz Beckenbauer klar wurde. „Was riecht das hier so streng nach Fisch?“, beschwerte sich der Kaiser.
Person Von Olaf Kanter und Stefan Pielow
Vita Olaf Kanter, Jahrgang 1962, ist mare-Redakteur für Wirtschaft und Wissenschaft.

Stefan Pielow, geboren 1959, lebt als freier Fotograf am Starnberger See.

Kanter bekam auf dem Langleinenkutter ein Paar lange Handschuhe und ein Messer in die Hand gedrückt und durfte bei eisigem Wind und steiler Welle stundenlang Kabeljau und Schellfisch ausnehmen – kein Job für Zimperliche. Stefan Pielow hingegen verbrachte viel Zeit in der Fischverarbeitung, was ihm eine Woche später bei Aufnahmen mit Franz Beckenbauer klar wurde. „Was riecht das hier so streng nach Fisch?“, beschwerte sich der Kaiser.
Person Von Olaf Kanter und Stefan Pielow