Salz in unseren Adern

Blut soll dicker sein als Wasser? Aber nicht als Meerwasser!

Das Leben ist flüssig, oder um es mit dem hinlänglich bekannten Wort des altathenischen Philosophen Heraklit zu sagen: Alles fließt. Fast mutet diese Erkenntnis heute ein bisschen banal an. Denn das Wissen um die wahrhaft elementare Bedeutung des Flüssigen ist uns sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen. Die allzeit griffbereite Wasserflasche scheint zum ständigen Begleiter des modernen Bewohners der Ersten Welt geworden zu sein. Jeder weiß, dass getrunken, wenn auch nicht unbedingt gegessen werden muss, damit der Mensch am Leben bleiben kann.

Aber zumindest Vampiren ist bekannt, dass es sich bei der zu verzehrenden Flüssigkeit durchaus, wenn nicht sogar bevorzugt, auch um Blut handeln darf.

Denn Blut ist angeblich ein ganz besonderer Saft, dicker als Tinte und dicker als Wasser sowieso, wird jedenfalls gesagt. Aber so ganz stimmt das nicht. Vielmehr hat es mit dem Verhältnis von Blut und Wasser eine sehr eigene Bewandtnis, wobei unter Wasser natürlich jenes Fließende zu verstehen ist, welches vor allem anderen das Gesicht unseres blauen Planeten prägt und mehr als 96 Prozent seiner flüssigen Ressourcen ausmacht, das salzige Wasser der Meere, welches auf seine Weise gleichfalls ein ganz besonderer Saft ist.

Blut und Wasser beispielsweise schwitzen wir, wenn es für uns nicht besonders gut läuft, aber gewöhnlich denken wir uns nicht viel, wenn wir diese Formulierung benutzen. Doch hinter Metaphern und Redewendungen verbergen sich oftmals sehr alte, ja urtümliche Wahrheiten. Und sie schwingen auch in Analogien mit, deren konkreter Bezug uns gar nicht bewusst ist.

Wir hören das Rauschen des Meeres im Ohr und meinen es noch in bestimmten Muscheln nachhallen zu spüren, und dieses Rauschen klingt ganz ähnlich wie jenes Rauschen des Blutes in unseren Adern, das wir bisweilen vernehmen. Das Meer kann kochen und ebenso das Blut, was beides ebenfalls keinen unbedingt erstrebenswerten Zustand beschreibt. Wie die Wellen des Meeres kennen wir das Wallen des Blutes, wenn es in uns wogt, und es gibt sogar das bestürzende Bild des Meeres von Blut, das üblicherweise stets dann zwecks Durchwatung angerichtet wird, wenn ein gewöhnliches Blutbad vermeintlich nicht mehr ausreicht, um die Dimension des Schrecklichen zu beschreiben.

Andererseits sind da allerdings auch des Meeres und der Liebe Wellen – wobei die Symbolfarbe der Liebe bekanntlich das Blutrot ist –, und es gibt die ewige Sehnsucht und die Sucht und die Liebe des Menschen zu und nach dem Meer, die ihm seit frühen Zeiten anzugehören scheint und viele Gesichter hat, sei es das ausgemergelte des Seefahrers, der ohne das Meer nicht sein kann und aus Schicksalsnot auf einem der Seelenverkäufer sein Dasein fristet, die bis heute unter zweifelhaften Flaggen kreuzen, oder das entspannte Gesicht des Ostseeurlaubers, der seinen Strandkorb in Travemünde abonniert hat. Unverkennbar übt das Meer seit je starke Anziehung auf uns aus, die allein mit Ratio und objektiven Bedürfnissen nicht zu erklären ist.

Immer ist es offenbar unser Inneres, welches uns antreibt, unser Äußeres in eine möglichst enge Verbindung mit dem Meer zu bringen, und dieser nahezu metaphysische Drang zum Wasser hat bis hin in die Metaphorik seinen Nachklang.

Was dabei den wenigsten Menschen bewusst sein dürfte: Unsere maritime Innen-Außen-Verbindung ist nicht nur emotionaler, sondern auch chemischer Natur. Es ist nämlich so, dass unser Blut und das Meerwasser einander so ähneln wie sonst kaum zwei natürliche flüssige Substanzen. Anders ausgedrückt: Beim menschlichen Blut handelt es sich um jene Flüssigkeit, die ihrer Zusammensetzung nach dem Meerwasser am nächsten kommt und umgekehrt. Man könnte auch sagen: Blut ist leicht verändertes Meerwasser, auch wenn leider nicht ganz zutrifft, was manche übereifrigen Ozeanophilen zeitweilig zu wissen meinten, dass nämlich der Salzgehalt von Blut und Meerwasser sogar identisch sei.

Tatsache ist nun einmal, dass der Salzgehalt der Weltmeere durchschnittlich um die drei Prozent beträgt, der unseres Blutes jedoch unter einem Prozent liegt. Erstaunliche Tatsache ist aber auch: Es sind dieselben 84 Elemente – die Hälfte aller heute bekannten –, die sich blutförmig in uns sowie wässrig in jenen Ozeanen befinden, welche zusammen jenes feuchte Element ausmachen, das unseren Globus bedeckt und beherrscht und uns ewiglockend, wogend, beruhigend, herausfordernd anzieht oder erschreckt, wenn es als Tsunami zur Bestie erwacht.

Ob Natrium, Kalzium, Brom, Schwefel oder Phosphor – all diese Substanzen fließen in unseren Adern in ähnlicher Zusammensetzung wie in den Wassern der Meere, die mehr als zwei Drittel der Erdoberfläche bedecken – eine flüssige Masse, die 1338 Milliarden Kubikmeter ausmacht. So viel Blut wird zum Glück niemals fließen können. Angesichts der Tatsache, dass jeder Mensch etwa fünfeinhalb Liter Blut in sich hat, würde wohl aller Lebenssaft der Heutigen wie je Verblichenen zusammengenommen kaum mehr sein können als eine rosa Träne im Ozean.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 54. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 54

No. 54Februar / März 2006

Ein Essay von Benjamin Worthmann

Benjamin Worthmann (Mathias Zschaler), Jahrgang 1947, lebt als Journalist und Autor in Berlin. Sein Roman Etwas ist immer ist im Goldmann-Verlag erschienen. In mare No. 53 betrieb er vorsätzlich, aber satirisch eine Klitterung der Geschichte von Lord Nelsons Seeschlacht bei Trafalgar vor 200 Jahren und deren politischen Folgen.

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Vita Benjamin Worthmann (Mathias Zschaler), Jahrgang 1947, lebt als Journalist und Autor in Berlin. Sein Roman Etwas ist immer ist im Goldmann-Verlag erschienen. In mare No. 53 betrieb er vorsätzlich, aber satirisch eine Klitterung der Geschichte von Lord Nelsons Seeschlacht bei Trafalgar vor 200 Jahren und deren politischen Folgen.
Person Ein Essay von Benjamin Worthmann
Vita Benjamin Worthmann (Mathias Zschaler), Jahrgang 1947, lebt als Journalist und Autor in Berlin. Sein Roman Etwas ist immer ist im Goldmann-Verlag erschienen. In mare No. 53 betrieb er vorsätzlich, aber satirisch eine Klitterung der Geschichte von Lord Nelsons Seeschlacht bei Trafalgar vor 200 Jahren und deren politischen Folgen.
Person Ein Essay von Benjamin Worthmann