Ruhige Tage in der Calle Ocho

Das „Miami-Exil“, einst Zentrale der kubanischen Konterrevolution, ist auf dem Weg, ein Ort aufgeklärter Opposition zu werden

Es war ein Wirklichkeit gewordenes Klischee: sonnenbebrillte, zigarrerauchende Oligarchen, die 1959 nach dem Sturz des Diktators Batista übers Meer nach Miami geflohen waren und dort jahrzehntelang in den Startlöchern hockten, um nach dem ersehnten Ende des Castro-Regimes flugs wieder die Insel zu übernehmen und auf ihre Latifundien zurückzukehren. Eine solche Alternative zum rigiden Parteikommunismus in Havanna war selbstverständlich alles andere als demokratisch; eher finanzierte man Attentate auf Kuba als ein Beispiel zu geben für offenen Meinungsstreit.

Nun ist jedoch inzwischen reichlich Ozeanwasser zwischen Kuba und Florida geflossen, und die alte Exilantengeneration liegt längst auf den idyllischen Friedhöfen des Sonnenscheinstaats. Wer etwa heute das „Schweinebucht-Museum“ besucht, gelegen in einem ländlich anmutenden Teil der Metropole Miami, wird mit Verwunderung feststellen, dass er dort der einzige Besucher ist – verwundert begrüßt von zwei alten Kämpen, deren Bäuche über den Jeansgürteln spannen. Zwar sind sie als quasi „rechte Che Guevaras“ noch immer stolz darauf, der legendären „Brigada 2506“ angehört zu haben, die an jenem 17. April 1961 die Landung auf Kuba versucht hatte, doch bleiben die lange gepflegten Verwünschungen der angeblichen „Verräter in Washington“ aus.

Das war nicht immer so. Linksliberale Schriftsteller und Intellektuelle wie Joan Didion oder Susan Sontags Sohn David Rieff hatten in ihren Miami-Büchern vor allem diesen Schock beschrieben: rechtsradikale Exilanten, die nicht nur John F. Kennedy als „Lakai Castros“ beschimpften, sondern jeden Präsidenten in Washington daran maßen, ob er dem treu blieb, was sie selbst „die harte Linie“ nannten. Selbst ein George Bush junior oder Miamis Bürgermeister waren trotz des „richtigen“, sprich des republikanischen Parteibuchs vor diesem Zorn nie sicher – wovon wütende Leserbriefe im „Nuevo Herald“ ebenso zeugten wie Tom Wolfes Romanbestseller „Back to Blood“. Was aber, wenn es inzwischen auch in Florida nicht mehr das vermeintlich unwandelbare „Blut“ ist, sondern die Einsicht in das Realistische, welche das Handeln bestimmt?

Vielleicht greift im Fall der Schweinebuchtveteranen ja auch die notgedrungene Milde des Alters. Jedenfalls bekommt der skeptisch nachfragende Gast keine bösen Worte, sondern als Abschiedsgeschenk sogar noch eine dicke Havanna-Zigarre, ironischerweise hergestellt in der Dominikanischen Republik. Dabei ist der Wandel keineswegs nur atmosphärischer Natur. Bei Barack Obamas Wiederwahl 2012 hatten immerhin 47 Prozent der in Miami lebenden Kubanoamerikaner für den liberalen Präsidenten votiert – die höchste Zustimmung, die je ein demokratischer Anwärter im traditionell lange republikanisch dominierten Emigrantenmilieu erreichen konnte. In Umfragen finden sich inzwischen sogar Mehrheiten für eine Aufhebung des Embargos – während die Exilkubaner gleichzeitig mit ihren Überweisungen an Verwandte dafür sorgen, dass die marode Inselwirtschaft nicht kollabiert.

Ein solcher Mentalitätswechsel liegt nicht zuletzt in der Demografie begründet. Die meisten der in Miami lebenden Kubaner sind bereits in den Vereinigten Staaten geboren und haben andere Prioritäten, als auf eine (Konter-)Revolution in Havanna hinzuarbeiten. Vor vier Jahren hatte Obama dieser seit Langem sichtbaren Entwicklung Rechnung getragen und sie noch verstärkt, indem er einen neuen Chefredakteur des staatlich finanzierten Senders Radio Martí einsetzte. Zur Verwunderung manch skeptischer Altvorderen ist die Kubakritik in dem nach wie vor karibikweit gehörten Sender dadurch sogar noch effizienter geworden, rekurriert sie doch inzwischen auf konkrete Menschenrechtsfragen und enthält sich der blechernen Kalter-Krieg-Propaganda von einst. Und wohl nicht zufällig rezitierte bei Obamas zweiter Amtseinführung dann auch mit Richard Blanco ein junger kubanoamerikanischer Dichter das traditionelle inaugural poem. In einem anderen Gedicht bezeichnet sich der in einer homosexuellen Partnerschaft lebende Blanco als „protector of my wishes, conqueror of mirrors, sovereign / of my imagination“ – eine individualistische Selbstermächtigung, die den Kollektivwahn des Castro-Regimes ebenso subtil unterminiert wie den anachronistischen Machismo des alten „Miami-Exils“.


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mare No. 104

No. 104Juni / Juli 2014

Von Marko Martin

Marko Martin, Jahrgang 1970, lebt, sofern nicht auf Reisen, als freier Autor in Berlin. Er hatte sowohl einst in der DDR wie später auch im Studentenmilieu Westberlins nur das Schlimmste über das „faschistische Miami-Exil“ gehört und war vor Ort angenehm überrascht, wie wenig dies inzwischen mit der Realität zu tun hatte. Nach seinem Buch Kosmos Tel Aviv erschien der Erzählband Die Nacht von San Salvador (Die Andere Bibliothek).

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Vita Marko Martin, Jahrgang 1970, lebt, sofern nicht auf Reisen, als freier Autor in Berlin. Er hatte sowohl einst in der DDR wie später auch im Studentenmilieu Westberlins nur das Schlimmste über das „faschistische Miami-Exil“ gehört und war vor Ort angenehm überrascht, wie wenig dies inzwischen mit der Realität zu tun hatte. Nach seinem Buch Kosmos Tel Aviv erschien der Erzählband Die Nacht von San Salvador (Die Andere Bibliothek).
Person Von Marko Martin
Vita Marko Martin, Jahrgang 1970, lebt, sofern nicht auf Reisen, als freier Autor in Berlin. Er hatte sowohl einst in der DDR wie später auch im Studentenmilieu Westberlins nur das Schlimmste über das „faschistische Miami-Exil“ gehört und war vor Ort angenehm überrascht, wie wenig dies inzwischen mit der Realität zu tun hatte. Nach seinem Buch Kosmos Tel Aviv erschien der Erzählband Die Nacht von San Salvador (Die Andere Bibliothek).
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