Romancier der Hölle

Als Kolonialmacht hat Portugal manches Verbrechen auf dem Gewissen. Antonio Lobo Antunes schreibt die Abrechnung

Ein Ort vergangener Zeiten, vollgestopft mit rätselhaften Kostbarkeiten und gruseligen Fundstücken. Ebenholzmasken und die Häute von Schlangen, ausgestopfte Nashörner und Schrumpfköpfe. Morbide wie ein mottenzerfressenes Kolonialmuseum scheint jenes Land, über das António Lobo Antunes seit nunmehr 30 Jahren schreibt: Portugal, das Land der Seefahrer, Entdecker, Eroberer. Portugals Fundstücke heißen Macao und Mosambik, Brasilien und Timor, Goa und Angola.

Doch unter dem wertvollen Cargo verbergen sich Arroganz, Menschenhandel und Mord. Es ist ein dunkles Arsenal menschlicher Gemeinheiten, das der 1942 geborene Schriftsteller seinen Lesern eröffnet. Der Blick fällt auf die nie verheilten Wunden der ehemaligen Seemacht.

António Lobo Antunes wächst während des Regimes von António Salazar auf, eines rückwärtsgewandten Diktators, der Portugal 1932 mithilfe des Militärs zum „Estado Novo“ formiert. Neu an diesem Einparteienstaat ist vor allem, dass er den Eintritt ins 20. Jahrhundert konsequent verweigert. Klerus, Militär und Großgrundbesitzer bilden die Stützen eines Staatsapparats, der seine Geheimpolizei von der Gestapo ausbilden lässt und jede Opposition niederknüppelt. Die sitzt bald in den Folterkellern der politischen Polizei – oder harrt im Ausland auf demokratische Zeiten. Auch der afrikanische Widerstand gegen die Kolonialherrschaft der Portugiesen mündet in Gewaltexzessen. Salazar schickt seine Truppen 1961 nach Angola, um die „natürliche Ordnung der Dinge“ wiederherzustellen. Es folgen 15 Jahre Krieg.

Antunes stammt aus großbürgerlichen Verhältnissen, die von der zementierten Staatsordnung profitieren. Die Eltern lassen sich von ihren Kindern siezen, gehören zu den alten Familien Portugals mit besten Drähten zu Politik und Militär. Man ist wer und bleibt unter seinesgleichen.

„Helden der Meere“, jubelt ihre Nationalhymne, „edles Volk, tapfere, unsterbliche Nation, errichte heute aufs Neue Portugals strahlende Größe!“ Dass die Portugiesen im15. Jahrhundert zu „Helden der Meere“ wurden, hing mit der Erfindung eines neuartigen Schiffstyps zusammen, der höher als je zuvor am Wind segeln konnte. Seitdem gilt die Karavelle als portugiesisches Symbol des Goldenen Zeitalters. 150 Jahre lang zieht die lusitanische Flotte über die Meere, besetzt bislang unbekannte Länder und kehrt mit Gütern zurück, die Portugal zum reichsten Staat Europas machen. Nach der erfolgreichen Rückkehr Vasco da Gamas aus Indien lässt König Manuel das gigantische Hieronymuskloster im Lissaboner Vorort Belém errichten, unmittelbar am Ufer des Tejo. Der steingewordene Gottesdank verkörpert mit seinen Ornamenten aus Schiffstauen, Knoten, Muscheln und Ankern die aufstrebende Seemacht.

Unweit des Klosters haben sich weitere Zeugen maritimer Großtaten versammelt. Die 50 Meter hohe Figurengruppe des „Entdeckerdenkmals“ erhebt sich auf der Spitze einer Betonkaravelle über den Tejo. Allen voran Prinz Heinrich, ein Schiffsmodell in den Händen haltend. Ebenfalls dabei: Vasco da Gama, Pedro Álvares Cabral, Ferdinand Magellan, Luís Vaz de Camões, Indien-Missionare, Kreuzritter. Für den Schriftsteller Antunes ist das Denkmal von 1960 ein Grauen. „Typisch für die Baukunst von Diktatoren, ob sie nun Salazar, Hitler oder Stalin heißen. Jeder Diktator will mit seiner Architektur etwas für die Ewigkeit schaffen, weil er glaubt, dass sein Reich tausend Jahre währt. Das Salazar-Regime machte die Seefahrer und Eroberer zu Ikonen der Diktatur.“

Auch Antunes fuhr einmal über das Meer, entlang der afrikanischen Küste, allerdings nicht, um das Kap der Guten Hoffnung zu umrunden. Es war im Gegenteil eine Fahrt ohne Hoffnung auf Wiederkehr, die er Anfang 1971 zwangsweise antrat. „Nie habe ich in meinem Leben so geweint wie in jener Silvesternacht, sechs Tage vor meiner Einschiffung nach Angola.“ Die Reise des 28-Jährigen beginnt auf einem Luxusliner, mit elegantem Casino, Billardsalon, Kino, erstklassigen Restaurants. Jeden Abend spielt das Orchester zum Tanz auf. Nur, es gibt keine Frauen zum Tanzen. Es gibt überhaupt keine Frauen auf jenem Schiff, außer einer alten Friseurin, die den Männern einen Fassonschnitt verpasst. „Nach ein paar Tagen war sie für uns die schönste Frau der Welt. Wir wussten, dass wir für lange Zeit keine Frauen mehr zu Gesicht bekommen.“

Portugals Söhne sind auf dem Weg in ein rebellisches Land, das nicht mehr Kolonie sein will. „Und das Komische an dieser Reise war, dass wir alle unseren eigenen Sarg mitbrachten. Wir fuhren auf einem Luxusdampfer dem Tod entgegen, den Sarg mit Namensschild im Frachtraum.“ Wenig später amputierte António Lobo Antunes, der Militärarzt, die zerfetzten Gliedmaßen seiner Kameraden. Die mitgebrachten Särge füllten sich.

„Wie ich da in einem Loch lag und darauf wartete, dass der Angriff aufhörte, mit einer unnützen G3 in den schwitzenden Händen und einer Zigarette im Mund, da entdeckte ich mich als eine Gestalt Becketts, Warten auf eine Granate, Godot als Erlöser.“ („Der Judaskuss“, 1979)

Umzingelt von einer unsichtbaren Guerilla, die mit nächtlichen Überraschungsangriffen die portugiesische Armee destabilisierte, verrohten die jungen Soldaten auf unaussprechliche Weise. „Ich sah Fußballspiele, bei denen der Fußball ein menschlicher Kopf war. Über Angola kann ich nicht sprechen. Über Angola kann ich nicht schreiben.“ Doch entgegen seinen ständigen Beteuerungen tauchen Antunes’ Kriegserfahrungen in sämtlichen Romanen auf, wenn auch nur unterschwellig, wie ein Erinnerungsschatten. Die Protagonisten kennen keine Moral, keine Zukunft – nur den verrotteten Mythos der ehemaligen Weltmacht Portugal.

Der Schriftsteller hat zu den historischen Seefahrern ein zwiespältiges Verhältnis. „Einerseits sind sie bewunderungswürdig wegen all ihrer Leistungen, wegen der Navigationsinstrumente, die sie erfunden haben … Andererseits legten sie den Grundstein für ein Reich, das über Afrika und Asien herrschte. Wenn unsere Seefahrer nicht gewesen wären, hätten wir nicht in den Krieg ziehen müssen. Für die Diktatur war dieser Mythos ‚Seefahrt‘ jedenfalls von größter Wichtigkeit.“

Antunes kehrt 1973 nach Portugal zurück. Ein Mann von 30 Jahren, in seinem Gepäck unaussprechliche Erinnerungen an Folter und Tod. Grundlos lässt er sich von seiner geliebten Frau scheiden, wird im Casino von Estoril zum Spielsüchtigen, erkrankt an einer Depression. Und beginnt zugleich seine berufliche Laufbahn als Psychiater in der Lissabonner Nervenheilanstalt.


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mare No. 60

No. 60Februar / März 2007

Von Kerstin Kilanowski

Kerstin Kilanowski, geboren 1954, studierte in Köln Anglistik und Theaterwissenschaft. Die Rundfunkautorin und Journalistin schreibt Reportagen und Features und sammelt Umweltklänge zwischen Westafrika und Südsibirien. Dreimal traf sie den Autor für Interviews; wegen seiner wortkargen Verschlossenheit wurden sie ihr zur unvergesslichen Erfahrung.

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Vita Kerstin Kilanowski, geboren 1954, studierte in Köln Anglistik und Theaterwissenschaft. Die Rundfunkautorin und Journalistin schreibt Reportagen und Features und sammelt Umweltklänge zwischen Westafrika und Südsibirien. Dreimal traf sie den Autor für Interviews; wegen seiner wortkargen Verschlossenheit wurden sie ihr zur unvergesslichen Erfahrung.
Person Von Kerstin Kilanowski
Vita Kerstin Kilanowski, geboren 1954, studierte in Köln Anglistik und Theaterwissenschaft. Die Rundfunkautorin und Journalistin schreibt Reportagen und Features und sammelt Umweltklänge zwischen Westafrika und Südsibirien. Dreimal traf sie den Autor für Interviews; wegen seiner wortkargen Verschlossenheit wurden sie ihr zur unvergesslichen Erfahrung.
Person Von Kerstin Kilanowski