Reservetank im Untergrund

Weil wir nicht in jeder politischen Krise und bei jedem Hurrikan zur Geisel der Ölförderländer werden wollen, legen wir in norddeutschen Salzstöcken gigantische Vorräte an

September 2007. Erst wütet „Humberto“ über dem Golf von Mexiko. Dann geht der Hurrikan an der Küste von Texas an Land, wo er sich über mehrere Raffinerien hermacht und deren Produktion lahmlegt. Reflexartig schießt der Barrelpreis auf über 80 Dollar – ein Rekordhoch. Wäre gleichzeitig die Opec auf die Idee gekommen, aus Gram über Bushs Irak-Politik den Hahn zuzudrehen – das Angebot hätte die globale Gier nach dem Öl nicht mehr decken können. Der Planet hätte vor einer neuen Ölkrise gestanden.

Um sich gegen derlei Widrigkeiten zu wappnen, haben sich die Industriestaaten schon vor Jahrzehnten eine Notreserve verordnet. Die Vorgabe: Jedes Land solle so viel Öl hamstern, dass – selbst wenn alle Importe komplett versiegten – seine Bürger 90 Tage lang Gas geben könnten wie gewohnt. Also hortet auch Deutschland Öl. Die größten Reservetanks der Republik finden sich am Stadtrand von Wilhelmshaven, behütet und gewartet von der Nord-West Kavernengesellschaft. Kilometertief unter der Erde, eingelassen in einen riesigen Salzstock, liegen 35 Kavernen, riesige Hohlräume, die 6,3 Millionen Tonnen Rohöl speichern – immerhin mehr als ein Viertel der bundesdeutschen Reserven von insgesamt 22 Millionen Tonnen.

Öl wird in Deutschland seit 1966 gehortet. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich die Bundesrepublik rasant vom Kohleverbraucher zum Ölkonsumenten entwickelt. Betrug anno 1950 der Erdölanteil am Primärenergieverbrauch magere fünf Prozent, war er 15 Jahre später auf 45 Prozent angeschwollen. Um sich nicht voll und ganz von Importen abhängig zu machen, verpflichtete die Bundesregierung die deutschen Ölfirmen dazu, einen Vorrat anzulegen, der im Krisenfall für 65 Tage reichen sollte.

1973 kam der Ölschock. Während des Jom-Kippur-Krieges zwischen Israel und seinen Anrainern drosselten die Opec-Staaten ihre Lieferungen. Bis Ende des Jahres vervierfachte sich der Barrelpreis auf knapp zwölf Dollar. In der Folge durfte man an autofreien Sonntagen ungestraft auf Bundesautobahnen flanieren. Und: Als Reaktion auf die Ölkrise gründeten die Industriestaaten die Internationale Energie-Agentur, kurz IEA. Um sich künftig weniger erpressbar zu machen, einigten sich die IEA-Staaten wie auch die EU-Mitglieder auf die Einrichtung einer strategischen Ölreserve: Fortan sollte jeder Mitgliedsstaat so viel Öl bunkern, dass die Vorräte im Fall eines totalen Embargos sogar 90 Tage lang reichen.

In Deutschland zankte man sich zunächst um das Prozedere. Der Bund wollte wie gehabt die Wirtschaft zur Zwangseinlagerung verdonnern, was den Ölkonzernen jedoch gar nicht gefiel. Sie zogen vor Gericht, die Streitigkeiten erstreckten sich über Jahre. Um dennoch aus dem bestehenden 65-Tage-Vorrat die geforderte 90-Tage-Reserve zu machen, legte sich die Regierung ab 1974 die „Bundesrohölreserve“ zu – 7,3 Millionen Tonnen Rohöl, gelagert in den Salzkavernen von Wilhelmshaven. Ursprünglich als Zwischenlösung gedacht, blieb der flüssige Schatz mehr als zwei Jahrzehnte unangetastet. Erst 1997 verfiel die Kohl-Regierung darauf, die stillen Reserven zwecks Konsolidierung des Staatshaushalts zu versilbern. Der Verkauf sollte 630 Millionen Mark ins Bundessäckel spülen.

Wer die 90-Tage-Reserve zu hegen und zu pflegen hat, ist seit 1978 klar. Damals rief der Bund eine unabhängige Agentur ins Leben, den Erdölbevorratungsverband (EBV) mit Sitz in Hamburg. Das Prinzip: „Jeder, der in Deutschland Öl importiert und verarbeitet, ist bei uns Zwangsmitglied“, sagt EBV-Vorstand Eberhard Pott. Derzeit wacht er über eine Krisenreserve von 22 Millionen Tonnen. Bei einem Barrelpreis von 70 US-Dollar ist der Notgroschen rund acht Milliarden Euro wert. Knapp die Hälfte lagert als Benzin, Diesel, Heizöl, Kerosin und Schweröl überirdisch. Der Rest ruht als Rohöl in den riesigen Salzhöhlen der Nord-West Kavernengesellschaft. Außer in Wilhelmshaven bunkert die NWKG Öl in Bremen-Lesum, Heide und Sottorf bei Hamburg. Zusammen sind es rund neun Millionen Tonnen – der Inhalt von 30 Supertankern.

Die Entstehung der Salzstöcke begann vor 250 Millionen Jahren, als eine anhaltende Warmzeit gigantische Mengen an Meerwasser verdunsten und Binnenmeere austrocknen ließ. Zurück blieben dicke Salzschichten, die im Lauf der Jahrmillionen von anderem Gestein überdeckt und in die Tiefe verschoben wurden. Dort, in einigen tausend Meter Tiefe, herrschen Drücke und Temperaturen, bei denen Salz nahezu zähflüssig ist. Damit wurde es zum Spielball tektonischer Gewalten: Der Druck mächtiger Gesteinslagen presste es langsam, aber stetig in geologische Schwächezonen, wo es sich mit der Zeit zu riesigen Salzstöcken anreicherte. So bringt es der Salzstock von Wilhelmshaven auf ein Volumen von 80 Kubikkilometern – ein unterirdischer Klotz, vier mal sieben Kilometer groß und über drei Kilometer dick.


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mare No. 65

No. 65Dezember 2007 / Januar 2008

Von Frank Grotelüschen

Der Physiker Frank Grotelüschen, Jahrgang 1964, arbeitet als freier Wissenschaftsjournalist. Er lebt in Hamburg.

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