Radio Caroline

Ein Rock-’n’-Roll-Piratensender mischt 1964 den betulichen Rundfunk Großbritanniens auf und etabliert die Musik der Jugend

Mitte der 1960er-Jahre warnte die britische Regierung alle Radiohörer: Wer dabei erwischt würde, dem Piratensender Radio Caroline zu lauschen, müsse eine Strafe zahlen; zehn Pfund beim ersten Mal, 50 Pfund für jedes weitere Mal. Genutzt hat die Drohung der Regierung nichts, im Gegenteil, sie machte Radio Caroline nur noch populärer.

Der Sender, der die englische Obrigkeit so erschreckte, ging Ostern 1964 vor der Küste des Inselkönigreichs auf dem Schiff MV „Caroline“ in Betrieb. Verantwortlich dafür war Ronan O’Rahilly, ein Ire, der sich rächen wollte: an den Engländern im Allgemeinen und an der etablierten Musikindustrie insbesondere.

Die Engländer hatten Ostern 1916 seinen Großvater Michael Joseph O’Rahilly, einen prominenten Anführer der irischen Osteraufstände, erschossen; das englische Musikestablishment wiederum verhinderte, dass Ronan O’Rahilly eine Platte seines Klienten Georgie Fame, ein Rhythm-’n’-Blues-Musiker, ins Radio bekam.

In den frühen 1960er-Jahren war die britische Radiolandschaft grau und öde. Die Musik der Jugend fand kaum statt. Als einsame und coole Bastion gegen die glattgebügelten Traditionalisten der staatlichen BBC galt Radio Luxemburg. Dass das auch nur eine Illusion oder mehr noch ein Missverständnis war, dämmerte dem ambitionierten O’Rahilly, als er der Londoner Fi­liale von Radio Luxemburg einen spontanen Besuch abstattete. Mit seiner Georgie-Fame-Platte in der Hand war er forsch an der verblüfften Rezeptionistin vorbeimarschiert und in das Büro des Chefredakteurs geplatzt. Aber auch Sir Geoffrey Everitt lehnte es ab, O’Rahillys Klienten ins Programm zu nehmen.

„Wir haben keinen Platz!“, verkündete der rigoros. „Dann muss ich wohl meinen eigenen Sender aufmachen“, konterte der aufgebrachte Ronan O’Rahilly. „Wie wollen Sie das denn anstellen?“, fragte Sir Geoffrey süffisant. „Na, Sie haben ihren Sender in Luxemburg, dann könnte ich ja vielleicht einen in Frankreich aufmachen, oder?“, drohte der Ire.

Über den entsetzten Gesichtsausdruck des Radio-Luxemburg-Chefs amüsierte sich O’Rahilly noch Jahrzehnte später. Sein Wutausbruch war ein tipping point, wie es der Autor Malcolm Gladwell einmal genannt hat, also ein kleines Ereignis, das weitreichende Folgen hat.

Mit Radio Caroline, das O’Rahilly ins Leben rief, beeinflusste er die kulturelle Landschaft Britanniens nachhaltig: Er verschaffte dem Rock ’n’ Roll, Beat und Pop eine große Bühne und sorgte dafür, dass sie die gesellschaftliche und wirtschaftliche Akzeptanz erlangten, die sie heute haben. Nebenher schob Radio Caroline zahllose Karrieren von Künstlern an, die es ohne diesen Beistand vielleicht nicht so weit gebracht hätten. Das bestätigen Veteranen wie The Who, The Rolling Stones, The Hollies, Eric Burden oder Tom Jones. Selbst Radio-Caroline-DJs wie Tony Blackburn, Simon Dee, Tom Lodge oder Tommy Vance waren damals Stars, deren Namen bis heute vielen Briten geläufig sind.

Die Geschichte von Radio Caroline ist ein Mythos der Rock- und Popkultur, sie bietet Abenteuer auf See, Tricksereien zu Lande, märchenhafte Figuren und Legenden im Überfluss. Das beginnt bereits mit dem Namen „Radio Caroline“, der eine Hommage an John F. Kennedy ist. Der Amerikaner verkörperte für den Iren ein Streben nach Freiheit, das ihn ebenfalls antrieb. Hoch über dem Atlantik, während eines Fluges nach Dallas, um die Ausstattung für seinen Sender zu kaufen, blätterte O’Rahilly in einigen Illustrierten und stieß auf ein Foto, das den Präsidenten beim Toben mit seiner Tochter Caroline zeigt.

Mit Präsident Kennedy hatte Ronan O’Rahilly die wohlhabende Familie gemeinsam. Aodhogan O’Rahilly, Sohn des erschossenen Widerstandskämpfers, war zwar als Politiker gescheitert, dafür aber als Geschäftsmann erfolgreich. Mitte der 1950er-Jahre legte er sich sogar einen eigenen Hafen zu: Greenore in County Louth, ein Provinzhafen, der einmal für den Güterverkehr der Region wichtig gewesen war, nach der Stilllegung des Streckenabschnitts aber bedeutungslos wurde. O’Rahilly senior kaufte die voll funktionsfähige Anlage und kümmerte sich nicht weiter darum.


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mare No. 116

No. 116Juni / Juli 2016

Von Christoph Dallach

Christoph Dallach wurde in dem Jahr geboren, in dem Radio Caroline auf Sendung ging. Er schreibt bevorzugt über Musik für Zeit, Zeit Magazin und Spiegel Online. Lange vor dem Internet prägte seinen Musik­geschmack der legendäre BBC-DJ John Peel. Er wusste, das Peels Karriere bei dem Piratensender Radio London begonnen hatte – einem Konkurrenten von Radio Caroline.

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Vita Christoph Dallach wurde in dem Jahr geboren, in dem Radio Caroline auf Sendung ging. Er schreibt bevorzugt über Musik für Zeit, Zeit Magazin und Spiegel Online. Lange vor dem Internet prägte seinen Musik­geschmack der legendäre BBC-DJ John Peel. Er wusste, das Peels Karriere bei dem Piratensender Radio London begonnen hatte – einem Konkurrenten von Radio Caroline.
Person Von Christoph Dallach
Vita Christoph Dallach wurde in dem Jahr geboren, in dem Radio Caroline auf Sendung ging. Er schreibt bevorzugt über Musik für Zeit, Zeit Magazin und Spiegel Online. Lange vor dem Internet prägte seinen Musik­geschmack der legendäre BBC-DJ John Peel. Er wusste, das Peels Karriere bei dem Piratensender Radio London begonnen hatte – einem Konkurrenten von Radio Caroline.
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