Orkanfahrt

Auf dem Atlantik vereinigen sich ein Orkan und ein Hurrikan. Und die „Svea Pacific“ von Kapitän Feith steckt mittendrin

Wer so lange zur See gefahren ist wie ich, erkennt einen Sturm an seinem Klang. Bis neun Beaufort ist es ein Brüllen, ab elf Beaufort ein Stöhnen. Je stärker ein Sturm, desto tiefer seine Stimme, das ist die Regel. Was ich jetzt auf der Brücke der „Svea Pacific“ höre, macht mir Sorgen. Von draußen dringt ein dumpfes Orgeln herein. Der Nordatlantik ist so aufgepeitscht, dass man vor der Scheibe nur noch eine graue Wand sieht. Gewaltige Brecher krachen aufs Deck, und das Schiff erzittert unter jedem Schlag. Es arbeitet so schwer in seinen Verbänden, wie ich es noch nie in meinem Leben gehört habe.

Manche Wellen sind an die 20 Meter hoch, sie heben und senken die „Svea Pacific“, einen Massengutfrachter von 2509 Bruttoregistertonnen, 88 Meter lang, 15,5 Meter breit, wie ein Spielzeug. „Herr Kapitän, gehen Sie bitte schnell in den Salon!“, ruft der Erste Offizier, der gerade auf die Brücke kommt. Der Salon liegt ein Deck tiefer, die Mannschaft hat sich vor den Fenstern versammelt und starrt hinaus, obwohl es nichts zu sehen gibt. 13 Mann, alle stammen von den Philippinen. Sie tragen Rettungswesten. Ihre Gesichter sind blass vor Angst, einige wirken wie betäubt. Der Zweite Offizier, er heißt García, zeigt keine Reaktion, als ich ihm meine rechte Hand auf die Schulter lege. Sie fürchten um ihr Leben, und damit liegen sie nicht einmal falsch. Ich bin auch nicht sicher, ob wir die nächsten Stunden überleben. Da fällt mir eine Kassette ein, die mir meine Frau Siggi mitgegeben hat, Johnny Cash. Ich drehe die Musik so laut auf, wie es nur geht: „How high’s the water, mama? / Two feet high and risin’/ How high’s the water, papa? / Two feet high and risin’.“ Ich pfeife dazu die Melodie, als liefen wir an einem Sommertag durch ruhige See und nicht mitten durch die Vereinigung eines furchtbaren Tiefs mit dem Hurrikan „Grace“ – eine Konstellation, die manche Meteorologen später „Monsterorkan“ nennen werden. „Ach was, Männer, stellt euch nicht so an“, knurre ich und versuche, so gleichgültig wie möglich zu klingen, „ihr müsst erst mal im Winter durch die Biskaya fahren, da habt ihr jeden Tag so ein Wetter.“

Der Erste Ingenieur Thode kommt herein – ohne Rettungsweste, wie ich erleichtert feststelle – und nickt mir zu. Er fragt auf Deutsch: „Käpten, mal ehrlich, meinen Sie, dass wir es schaffen?“ Thode ist groß und stämmig, mit einem dichten Vollbart im Gesicht, er erinnert mich immer an einen Grizzlybären. Er fragt und grinst dabei, als hätte er einen schmutzigen Witz erzählt, denn die Mannschaft darf bloß nichts mitbekommen. Eine Panik ist das Letzte, was wir jetzt gebrauchen können. Ich lächle zurück: „Chief, sieht nicht gut aus.“ Auf Englisch sagt Thode zur Crew: „Der Käpten hat Recht, in der Biskaya ist es noch schlimmer.“ Dann grinsen wir beide um die Wette. Als Kapitän muss man manchmal Schauspieler sein, das gehört zum Beruf. Meine wahren Gefühle darf ich nicht zeigen: Ungewissheit, Zweifel, davon soll keiner etwas merken. Um es klar zu sagen: Ich glaube von Minute zu Minute weniger daran, dass wir diesen Sturm überstehen.

Seit dem 19. Oktober sind wir nun auf See, ausgelaufen von Houston in Texas, mit 3393 Tonnen Baustahl an Bord. T-Träger für Liverpool, ein Hochhaus soll damit gebaut werden. Die Laderäume sind bis zur Lukenabdeckung gestaut, zum Glück. Denn egal, wie stark sich das Schiff auf die Seite legt, die Ladung kann nicht kippen.

Nach einer Woche erreicht uns die Nachricht, dass sich der Hurrikan „Grace“ mit hoher Geschwindigkeit von hinten nähert. Mit voller Kraft laufen wir vor ihm her, verfolgt von seinen Wellen, als unser Funker am Morgen des 27. Oktober noch ein gewaltiges Sturmtief meldet. Es vergrößert sich nahe Neufundland und bewegt sich mit 33 Knoten nach Südwesten. Den Berechnungen nach würde es zwar unseren Kurs kreuzen, aber ein ganzes Stück vor uns durchziehen.

28. Oktober, 6.00 Uhr. Alles anders, als Wetterbericht und Berechnungen versprochen hatten: Das Sturmtief nähert sich langsamer, mit einer Geschwindigkeit von nur fünf Knoten in der Stunde, und das ist für uns eine schlechte Nachricht – wir laufen also mitten in einen gewaltigen Sturm hinein. Mein ganzes Leben fahre ich zur See, seit 1952, da war ich 16. Als Kapitän habe ich Frachter jeder Größe befehligt. Vor Monrovia wurde mein Schiff einmal von Piraten überfallen; in Madagaskar gerieten wir in eine Revolution; im Hafen von Lagos habe ich Leichen vorbeitreiben sehen; einmal hat mich ein Taifun erwischt, Kurs Honolulu, und zwar so heftig, dass sich die chinesische Mannschaft vor Panik in ihren Kabinen einschloss. Mich kann so schnell nichts beunruhigen, aber bei diesem Wetterbericht zieht es mir leicht den Magen zusammen.

28. Oktober, 14.00 Uhr. Der Sturm schickt seine ersten Boten, die Dünung nimmt stetig zu. Unser Schiff beginnt stark zu rollen, 20 Grad nach Backbord, 20 Grad nach Steuerbord. Die „Svea Pacific“ ist ein solides Schiff, das alles laden kann: Erz, Stahl, Container. Aber sie ist Baujahr 1980, was für einen Bulkcarrier, der stark beansprucht wird, ziemlich alt ist. Obendrein ist sie dringend reif für die Werft; die Luken sind nicht mehr ganz dicht. Ich gebe Anweisung, das Schiff für den Sturm klarzumachen. Alle Bullaugen werden geschlossen, was noch an Deck, in der Küche oder in der Messe herumliegt, wird verstaut. Der Maschinenraum wird abgeschlossen; ab sofort darf ihn nur noch der Chief betreten. Man nennt das „wachfreien Betrieb, die Maschine wird dann von der Brücke aus gefahren. Am Abend brist der Wind aus südwestlicher Richtung auf, Windstärke acht, zunehmend, die Wellen sind bereits an die acht Meter hoch. Ich lasse die Deckbeleuchtung einschalten und die ganze Nacht brennen, um im Schadensfall sofort reagieren zu können.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 53. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 53

No. 53Dezember 2005 / Januar 2006

Von Stefan Krücken und Achim Multhaupt

Von dieser Ausgabe an lässt mare auf dieser Seite pensionierte Kapitäne zu Wort kommen, die von ihrer Zeit auf See berichten. Sie beschreiben das Ereignis, das ihnen wie kein anderes in Erinnerung geblieben ist. Sie erzählen von Stürmen und Piraten, von denkwürdigen Passagieren oder außergewöhnlichen Aufträgen, von besonderen Schiffen oder gefährlicher Fracht.

Es sind faszinierende Berichte aus der Welt der Seefahrt, aufgezeichnet von dem Reporter Stefan Krücken.

Die Porträts der Kapitäne hat Achim Multhaupt aufgenommen.

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