Öl auf die Wellen

Die Welle im Glas. Ein Pas de deux von Petroleum und H2O

Wirf Dich ins Meer, wo es am wildesten tobt“, schreibt Johann Wolfgang von Goethe. Hört sich gefährlich an. Man muss doch nicht immer gleich die Welle machen! Der Ozean fürs Wohnzimmer war da eine wunderbare Alternative. Ein bildschirmgroßer Glaskasten kippte gemächlich hin und her, so dass die hellblauen Wogen in seinem Inneren anmutig auf und ab schaukelten und den Betrachter in zufriedene Gelassenheit versetzten.

Das Wellenbecken ist ein Kind der Siebziger. Nachwuchsakademiker kämpften damals für die Weltrevolution, und es gehörte zum guten Ton, ständig mit möglichst vielen Menschen Sex zu haben. Wohl kein Wunder, dass auch das Wellenbecken in jener Zeit das Licht der Welt erblickte. Als Beruhigungsmittel, wenn der harte Alltag zu anstrengend wurde. In seiner genialisch schlichten Machart – ein paar Liter Wasser, ein paar Liter Öl, eine Kiste aus Plexiglas, ein Sockel mit Drehgelenk und ein leise summender Elektromotor als Antrieb – gehörte es zum Schönsten, was die Welt zu bieten hatte. Total stressfrei auf dem Futon fläzend, starrte man friedlich lächelnd in die Wellen und träumte bei einem Joint oder Rotwein von der Weite des Meeres. Wahre Genießer zündeten dazu süßlich duftende Räucherstäbchen an und legten Led Zeppelin, Pink Floyd oder Cat Stevens auf.

Das entspannte Betrachten der Brandung im Glas regte die Fantasie an, und nach einer Weile hielt sich der Wellendeuter für tiefsinnig und künstlerisch begabt. Manche begannen spontan, zu malen oder zu dichten. Das beständige Hin und Her, der Wackeldackeleffekt, war eben Balsam für die überreizten Nerven. Und möglicherweise wirkte darüber hinaus ein ähnliches Phänomen wie bei Raubtieren im Zoo: Die Gewalt der Natur, vom Menschen gebändigt, erzeugt im Betrachter ein Gefühl von Stärke und Überlegenheit.

Wahrscheinlich verleiht das Wellenbecken bei regelmäßigem Genuss sogar übernatürliche Kräfte. Das legt jedenfalls der Kultfilm „Diva“ (1982) des französischen Regisseurs Jean-Jacques Beineix nahe. Der Postbote Jules wird in Paris von Gangstern bedroht. Doch dann lernt er einen geheimnisvollen Mann kennen, der mit Vorliebe vor seinem Becken meditiert. Dieser Magier macht mit den Verbrechern auf elegante Weise kurzen Prozess.

In heutiger Zeit ist der Ozean im Glas eine Rarität geworden. Selbst auf Flohmärkten sucht man vergeblich danach. Junge Menschen kennen es nur noch aus Erzählungen. Und lässt sich die Gegenwart nicht in erster Linie durch ihre Kraftlosigkeit beschreiben?

Herr Kiupel, Herr Appel und Herr Meusel, drei dynamische Nordlichter, wollen das nun ändern. Das Wellenbecken muss wieder aufleben!, lautet ihre Mission. Michael Kiupel hat aus der Erinnerung ein solches Becken nachgebaut. Im großen Stil. Die herkömmlichen Wellenbecken waren lediglich 40 Zentimeter lang und 20 Zentimeter hoch; das von Herrn Kiupel misst immerhin 1,5 mal 1,1 mal 0,55 Meter. Gefüllt ist es nach altem Rezept mit Wasser und Öl. Genauer gesagt: mit hellblau gefärbtem Wasser und durchsichtigem Petroleum. Wellenbecken leben davon, dass sich Wasser und Öl nicht mischen. Doch durch den blauen Farbstoff aus dem Wasser wurde früher auch das Petroleum bald trüb. Experten nennen das „Ausflockung“ – ein Grund, warum die Wellenbecken vom Markt verschwunden sind. Herr Kiupel ist daher sehr stolz auf sein neues „Geheimrezept“ dagegen: Mithilfe spezieller Chemikalien hat er den Farbstoff endgültig ans Wasser gebunden.


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mare No. 43

No. 43April / Mai 2004

Von Till Hein

Till Hein, 1969 in Salzburg geboren, ist freier Journalist in Berlin. Er hat in Basel und Wien Geschichte, Germanistik und Russisch studiert. 1996/1997 absolvierte er einen Redaktionslehrgang beim Österreichischen Nachrichtenmagazin Profil in Wien. Von 1999 bis 2001 war er beim SZ-Magazin der Süddeutschen Zeitung in München redaktioneller Mitarbeiter und schrieb nebenbei für die Zürcher Weltwoche. Seit Mai 2002 arbeitet er im Journalistenbüro textetage in Berlin und arbeit unter anderem für die Zeit, Geo und Das Magazin aus Zürich.

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Vita Till Hein, 1969 in Salzburg geboren, ist freier Journalist in Berlin. Er hat in Basel und Wien Geschichte, Germanistik und Russisch studiert. 1996/1997 absolvierte er einen Redaktionslehrgang beim Österreichischen Nachrichtenmagazin Profil in Wien. Von 1999 bis 2001 war er beim SZ-Magazin der Süddeutschen Zeitung in München redaktioneller Mitarbeiter und schrieb nebenbei für die Zürcher Weltwoche. Seit Mai 2002 arbeitet er im Journalistenbüro textetage in Berlin und arbeit unter anderem für die Zeit, Geo und Das Magazin aus Zürich.
Person Von Till Hein
Vita Till Hein, 1969 in Salzburg geboren, ist freier Journalist in Berlin. Er hat in Basel und Wien Geschichte, Germanistik und Russisch studiert. 1996/1997 absolvierte er einen Redaktionslehrgang beim Österreichischen Nachrichtenmagazin Profil in Wien. Von 1999 bis 2001 war er beim SZ-Magazin der Süddeutschen Zeitung in München redaktioneller Mitarbeiter und schrieb nebenbei für die Zürcher Weltwoche. Seit Mai 2002 arbeitet er im Journalistenbüro textetage in Berlin und arbeit unter anderem für die Zeit, Geo und Das Magazin aus Zürich.
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