Unser Ölzeitalter mit all seinem Benzin und Plastik begann, so könnte man sagen, vor Jahrmillionen, als tote Meerestiere auf den Grund der Ozeane sanken und sich durch langwierige chemische Prozesse in schwarzes Gold verwandelten. Man kann aber auch sagen: Das Ölzeitalter begann am 20. April 1893 in Los Angeles, Ecke Patton und State Street.
Patton und State Street im Jahr 1893, da darf man sich nicht asphaltierte Boulevards zwischen Wolkenkratzern vorstellen, vielmehr sind es zwei Feldwege, die durch Sumpfland führen. Hier treibt Edward L. Doheny mit wenigen Helfern – der jüngste ist erst 13 – ein Loch ins Erdreich. Der schmale, kaum 1,70 Meter große Mann hat die rötlichen Haare und helle Haut von seinen irischen Vorfahren geerbt, jetzt ist er fast 40, sonnenverbrannt und verhärmt. Denn er hat bereits so ziemlich alles verloren: sein Geld, seine Reputation, sein Glück sowieso. 20 Jahre lang hat er mehr oder weniger vergebens Gold gesucht. Er hat keinen festen Wohnsitz mehr, kein Vermögen, keinen Beruf. Seine Frau, von Alkohol und psychischen Krisen zerrüttet, wird ihn bald verlassen. Seine Tochter ist an Herzschwäche gestorben, kurz vor ihrem achten Geburtstag. Für Doheny ist der Sumpf in Los Angeles die letzte Chance.
Seine Männer und er haben sich mit Schaufeln und Hacken eingegraben, stützen den Schacht mit Holzbalken ab. 20 Meter tief, dann 30, hinein in öliges Erdreich. Je tiefer sie hinuntergelangen, desto mehr giftige Gase quellen aus dem matschigen, dunklen Boden. Sie binden sich zum Schutz Tücher vor Mund und Nase. Tage geht das so, Wochen. 50 Meter, die ersten Helfer geben auf, das Gas wird schier unerträglich. Doheny macht weiter. Wenn es mit Muskelkraft nicht mehr geht, dann halt mit einem Bohrer, wie man ihn in Europa für Kohlebergwerke benutzt.
Er zimmert aus Vierkanthölzern einen sieben Meter hohen Bohrturm nach dem Vorbild eines Zeitungsfotos, das er irgendwo aufgetrieben hat. Daran hängen seine Leute einen 150 Kilogramm schweren Eisenbohrer, bewegt von einer Pumpe, die wiederum von einem Pferd angetrieben wird, das um den Bohrturm läuft.
Schon beim zweiten Versuch verliert Doheny die Kontrolle über den Bohrer. Statt ihn langsam in den Schacht abzusenken, stürzt er auf den Grund und verkeilt sich. Ein Freiwilliger „schützt“ sich mit einem Gummimantel und klettert in die gassatte Tiefe. Nach zweieinhalb Stunden ist der Bohrer wieder frei, der Mann rettet sich an die frische Luft.
55 Meter. 60 Meter. Bei 70 Metern stößt Doheny am 20. April 1893 schließlich, wie er später sagt, auf „etwas Hartes“. Der Bohrer kommt kaum noch tiefer – und auf einmal geht es ganz leicht. Doheny zieht ihn neugierig hoch. Vom Bohrkopf tropft schwarzes Öl.
Edward L. Doheny, der glücklose Goldsucher, der Mann, dem nichts gelingen wollte, hat die erste Ölquelle von Los Angeles erschlossen. Das wird die Stadt für immer verändern. Und Amerika. Und die ganze Welt.
Edward ist der Sohn armer katholischer irischer Einwanderer, die es nach Wisconsin verschlagen hat. Die fromme Mutter (sein Vater stirbt früh) hofft, dass er Priester wird, doch der Junge ist begabt in Mathematik – und heuert bereits als 15-Jähriger bei staatlichen Landvermessern an. Auf in den Wilden Westen! Kaum älter als ein Junge, legt er zum Beispiel in Kansas die Grenze zwischen den Reservationen der Kiowa und Komantschen fest. Dort erwacht in ihm die Lust am Leben in der Natur, die Sehnsucht, zu sehen, wie es, in seinen Worten, „jenseits des nächsten Gebirgspasses“ aussieht. Und ihn packt, wie so viele andere, das Goldfieber. Denn der Wilde Westen, das sind ja nicht bloß Cowboys und Indianer, das sind auch Goldsucher.
Doheny ist 18, schmächtig, flink im Kopf, ein guter Pokerspieler, als er den Staatsjob gen South Dakota verlässt, um das begehrte Edelmetall zu suchen. (Und wenn es nicht Gold sein sollte, dann halt Silber, Hauptsache irgendetwas, das ihn über Nacht reich macht.) Als er im Norden nichts findet, geht er in den Süden: Arizona, schließlich New Mexico Territory. Manchmal stößt er auf ein paar Brocken, meistens jedoch nicht.
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Obwohl Cay Rademacher, Jahrgang 1965, Autor in der Provence, einst Anglo-Amerikanische Geschichte studiert hat, wusste er bisher nicht, wie sehr Los Angeles früher und sogar heute noch auf Öl gebaut ist.
| Lieferstatus | Lieferbar |
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| Vita | Obwohl Cay Rademacher, Jahrgang 1965, Autor in der Provence, einst Anglo-Amerikanische Geschichte studiert hat, wusste er bisher nicht, wie sehr Los Angeles früher und sogar heute noch auf Öl gebaut ist. |
| Person | Von Cay Rademacher |
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| Vita | Obwohl Cay Rademacher, Jahrgang 1965, Autor in der Provence, einst Anglo-Amerikanische Geschichte studiert hat, wusste er bisher nicht, wie sehr Los Angeles früher und sogar heute noch auf Öl gebaut ist. |
| Person | Von Cay Rademacher |