Ohne Rauch geht’s auch

Eckernförde, einst Zentrum der Sprottenräucherei, litt lange unter dem Qualm der Industrie. Es geht auch anders

Was fehlt, ist der Duft. Am Strand tapsen die Möwen durch die Wellen, am Himmel schnarren die Krähen, und über der Bucht schimmert ein Streifen Morgenrot. Ein paar Schritte über regenfeuchtes Pflaster, und man steht vor dem Backsteinschlot der alten Räucherei; hinter diesen Mauern garen gerade Tausende silbriger Fische über glimmenden Buchen- und Erlenspänen. Aber man riecht nichts.

Erst wenn man die Hintertür passiert hat, strömt er einem entgegen, ein Hauch von Geräuchertem; ganz zaghaft, als schäme er sich, diese Oase klinischer Reinheit zu beflecken: weiße Kacheln und Edelstahl, Neonlicht, das Personal in Gummischürzen und Gummischuhen, mit Häubchen auf dem Kopf. So sieht die letzte Heimat der Kieler Sprotten aus, seit die neuesten Abgas- und Hygieneverordnungen gelten. „Es nützt ja nichts, der alten Zeit nachzutrauern“, sagt Juniorchef Berndt Kruse dann.

Er greift eines der noch rohen Fischlein aus dem Salzlakenbottich; Sprattus sprattus, dem Hering verwandt, aber kleiner und von ihm zu unterscheiden, indem man mit dem Finger vom Schwanz her den Bauch hinaufstreicht. Spürt man borstige Schuppen, ist es eine Sprotte.

Ob die Räucherfischchen ursprünglich aus Kiel oder Eckernförde stammen, darüber schwelt bis heute ein gelehrter Streit. Sicher ist, dass nur noch Rehbehn & Kruse in Eckernförde sie herstellt. Zur Kaiserzeit gab es mehr als 30 Betriebe im Ort; per Eisenbahn wurden die Sprotten bis ins Rheinland und nach Sachsen verfrachtet und per Schiff sogar nach New York und Chicago. Aus dieser Ära stammt der Spruch: „In Eckernför, dor hebbt se ’t rut, ut Sülver Gold to maken.“

Es blinkt und piepst, wummert und surrt; die Verwandlung von Silber in Gold ist heute ein High-Tech-Prozess. Vier-, fünftausend silbrig funkelnde Fische, Seit an Seit und in Etagen baumelnd in einem Edelstahlwagen, werden in die Öfen gerollt. Ein Tastendruck auf dem Digitalbedienfeld, und das zweieinhalbstündige Programm startet: erst die heiße Luft, zum Trocknen; dann das Erhitzen per Gas-Wärme-Tauscher; anschließend bringen elektrische Spiralen die Buchen- und Erlenspäne aufs Grad genau zum Glimmen, und am Ende verzieht sich der Rauch durch EU-kompatible Katalysatoren und Filter ins Freie.

Vater Kruse, schon von weitem an seinem Elbsegler zu unterscheiden von den Angestellten, schlägt ein Fotoalbum auf, aus der Zeit, als man noch selbst in den Wald ging und Holz schlug. Damals war die Stadt oft in dicke Schwaden gehüllt. „Da hat man nur am Scheppern vom Karren erkannt, dass einem gerade einer entgegenkam.“

Der Rauch verzog sich in den Sechzigern und Siebzigern, als die Fischerei härter und der Markt enger wurde, und dünnte sich vollends aus in den Achtzigern und Neunzigern, als die Gesetzgeber in Berlin und Brüssel den verbliebenen Räuchereien das Qualmen abgewöhnten. Einer versuchte noch, den traditionellen „Altonaer Ofen“ zu retten, indem er einen Elektrofilter anbaute, dann einen Chemikalienfilter und schließlich noch einen Biofilter; wenig später war er pleite. Berndt Kruse dachte sich: Wenn wir schon investieren, dann muss auch die Arbeit leichter und die Qualität besser werden.

Die Anlagenhersteller erzählten ihm, in ihren modernen Öfen könne man alles räuchern. Aber das stimmte nicht, denn viele kleine Sprotten haben wesentlich mehr Oberfläche als wenige große Makrelen, und bei den ersten Versuchen waren die Sprotten vorne heiß und hinten kalt. Er tüftelte mit den Ingenieuren so lange an Temperatur, Dauer und Luftzufuhr herum, bis die Fischchen so goldgelb herauskamen wie eh und je.

Die Sprotte ist und bleibt das Wahrzeichen des Betriebs, aber weil gerade bei der jungen Generation die Bereitschaft zum Grätenpulen nachgelassen hat, entfällt ein beträchtlicher Teil des Umsatzes mittlerweile auf Makrelenfilet „Hawaii“ oder Lachswürfel mit Sesam. Ob Kruses Kinder den Betrieb übernehmen werden, steht in den Sternen.

„Schade wär’s schon um die Kieler Sprotte“, sagt er. Ein Wagen voll Gold wird aus dem Ofen gerollt, warmer Rauchduft weht hinterher. Fünfzig-, sechzigtausend Sprotten werden jeden Tag hier verarbeitet. Die Wahrung der Tradition läuft auf Volldampf. In der Luft, die das Haus verlässt, bleibt davon nur ein Hauch.


Kieler Sprotten

Zubereitung

„Man bricht ihnen den Kopf ab, zieht die Haut weg, entfernt die Gräten und legt den Rest auf Schwarzbrot, das mit frischer Maibutter bestrichen ist, und wer sich vor Indigestionen nicht fürchtet, treibt dieses kindliche Spiel länger fort, als sich mit der Rücksicht auf die Damastserviette der Hausfrau verträgt.“ Albert Graf Baudissin, 1864


Rehbehn & Kruse
Jungfernstieg 19, 24340 Eckernförde,
Tel. 04351/2814
www.rehbehn-kruse.de

mare No. 54

No. 54Februar / März 2006

Von Tobias Zick und Stefan Kröger

Text: Tobias Zick

Foto: Stefan Kröger

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Vita Text: Tobias Zick

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Person Von Tobias Zick und Stefan Kröger
Vita Text: Tobias Zick

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