Nur noch der Schatten eines Paradieses

Ein anderes Gesicht der Südsee: Nauru ist keine schöne Insel mehr. Dafür ist sie reich

Das typische nauruanische Anwesen ist ein wirr zusammengeschustertes, hoffnungslos ramponiertes Hüttenensemble aus Hohlblock, Pressplatte und Wellblech, umgeben von Autoreifen, Bootsmotor, Gefriertruhe, Wassertank, Krims und Krams. Nicht zu vergessen: drei Automobile, eins als rostendes Wrack, eins gerade noch fahrtüchtig und eins aus neuester Produktion, chromblitzend und airconditioned. Was man so braucht für 19 Kilometer Straße.

Am Morgen sind wir losgezogen, die Insel kennen zu lernen. Einmal rundrum, 19 Straßenkilometer eben. Zur einen Seite Strand, Lagune, Riff, Blauwasser bis zum Horizont, darüber ein leuchtender Tropenhimmel; anmutig verrenkte Kokospalmen stemmen sich flatternd gegen den Wind. Südsee-Idylle pur – wenn es denn gelingt, die allenthalben rottenden Müllhaufen zu übersehen. Im Sand liegen rostende Bierdosen zu Tausenden. Nein, sie rosten nicht mehr, die Weißblechzeit ist vorüber, die australischen „VictoriaBitter“-Büchsen sind aus Aluminium, sie werden überdauern. Dafür verfärben sie sich unter der gnadenlosen Äquatorsonne von Laubfroschgrün in Vergissmeinnichtblau. Sie liegen allüberall. Die Insel scheint nicht auf Korallenfels, sondern auf „VB“-Dosen gegründet. „Have a beer“ lautet die nauruanische Begrüßungsformel.

Zur anderen Straßenseite die Insel selbst. Hier wird es schwieriger, die Abfälle zu übersehen. Dichter müllgefüllter Busch, in dem urwaldartig überwachsene Korallenklippen das hoch gelegene Insel-Innere ringsum begrenzen, davor die Häuser, mal schütter gestreut, mal dörflich aneinander gerückt, in Hafennähe zu einem Städtchen von monströser Hässlichkeit verklumpt. In Aiwo, Naurus inoffizieller Hauptstadt, machen wir Station. Kirche, Bank, Postamt, Supermarkt – alles ist so abgewrackt und armselig, wie man sich ein ausgeblutetes Dritte-Welt-Land nur vorstellen kann. Hier aber sind über die Jahrzehnte Abermillionen Dollar bewegt worden, Gewinne aus dem für Staat und Landeskinder lukrativen Phosphatabbau, der ja – wir hören es rumpeln und krachen im Hintergrund – noch immer im Gange ist. Noch immer verhökern die Nauruaner ihre Heimat, tonnenweise, feingemahlen.

Aiwo dörrt in der Mittagshitze, kein Schatten, nirgends. Die Sonne bleicht die Farben aus dem Stadtbild. Das wird beherrscht vom Klotz des Rathauses, einem architektonischen Offenbarungseid in massivem Beton. Daneben ein Kirchlein. Läge es auf grüner Wiese, weißgetüncht inmitten blühender Büsche und Bäume – das unscheinbare Gotteshäuschen böte ein Bild bescheidener Würde und Anmut. Neben dem Betonklotz, mit ockerfarbenem Phosphatstaub überpudert, wirkt es nur schäbig und verloren. Zur anderen Seite ragen Lagerhallen auf, doppelt so hoch, viermal so lang, rostig wellblechern. Über der Straße schlängeln sich auf Stelzen die Förderbänder, mit denen der kostbare Dreck zu den Verladekränen in der Lagune transportiert wird.

Dorthin, zum Hafen – Luft! Wasser! Brise! – wollen wir. Ein Ort endzeitlicher Tristesse, Filmkulisse: das leere Hafenbecken festungsartig ummauert, die Promenade menschenleer, im Wasser stählerne Dinosaurierskelette, am Strand magere Schweine, die im Müll wühlen. Immerhin, draußen vor dem Riff ist Leben, dort haben sich Dutzende Fischer in Auslegerkanus versammelt, paddeln munter umher, rufen und lachen, bilden Kreise und fischen auf althergebrachte Art.

Zurück geht es über den Golfplatz. Der ist weltweit einzigartig. Unter schattenspendenden Banyanbäumen treiben die Spieler ihre Bälle über grauen, staubigen Grund. Daneben zur einen Seite brüllend und Dampf fauchend die Meerwasserentsalzungsanlage, zur anderen ein Wohnquartier aus eng gestaffelten zweistöckigen Steinkästen. Hier leben die Kontraktarbeiter von den Nachbarinseln Tuvalu und Kiribati und von den Philippinen. Sie bauen das Phosphat ab, löschen Frachtschiffe und halten die Wasserfabrik in Gang. Denn Nauruaner arbeiten nicht, Nauruaner lassen arbeiten. Nauruaner managen und makeln lieber. Und widmen sich dem „Keramen“, nauruanisch für Nichtstun, Politisieren, Intrigieren. Oder sie investieren. Wobei sie oft genug verlieren, seit neuestem mehr und mehr.

Wir sind verwirrt. Und dehydriert. Auf der schattigen Terrasse des Golfclubs serviert Ario, der Clubmanager, Bier – Victoria Bitter in grüner Alu-Büchse, was sonst. Ich frage nach den Fischern. Ario lacht grimmig: „Die Fischer? Das sind Gastarbeiter. Nauruaner gehen nicht mehr fischen. Jedenfalls nicht mit Netz, Speer und Kanu. Wir haben unsere Wurzeln verloren. Na, man muss es nehmen, wie es ist. Let’s have a beer.“ Bereitwillig gibt Ario einen Abriss der jüngeren nauruanischen Geschichte, berichtet lakonisch von seinem armen reichen Volk. Das Elend begann mit der Ankunft der Weißen; von da an ging’s nur noch bergab.


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mare No. 19

No. 19April / Mai 2000

Von Hans-Christof Wächter und Knut Gielen

Hans-Christof Wächter, Jahrgang 1940, lebt als Autor und Theaterregisseur in Berlin.

Knut Gielen, geboren 1964, ist freier Fotograf und Mitglied der Agentur Plus 49/Visum. Beide bereisten für mare die Südsee. In No. 15 berichteten sie von der Seefahrtschule auf Kiribati, in No. 16 von den Albatrossen auf Midway

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Vita Hans-Christof Wächter, Jahrgang 1940, lebt als Autor und Theaterregisseur in Berlin.

Knut Gielen, geboren 1964, ist freier Fotograf und Mitglied der Agentur Plus 49/Visum. Beide bereisten für mare die Südsee. In No. 15 berichteten sie von der Seefahrtschule auf Kiribati, in No. 16 von den Albatrossen auf Midway
Person Von Hans-Christof Wächter und Knut Gielen
Vita Hans-Christof Wächter, Jahrgang 1940, lebt als Autor und Theaterregisseur in Berlin.

Knut Gielen, geboren 1964, ist freier Fotograf und Mitglied der Agentur Plus 49/Visum. Beide bereisten für mare die Südsee. In No. 15 berichteten sie von der Seefahrtschule auf Kiribati, in No. 16 von den Albatrossen auf Midway
Person Von Hans-Christof Wächter und Knut Gielen