Notizen einer Vortragsreisenden

Auf Luxusplanken: Von den Seychellen bis nach Istanbul – mit einem Kreuzfahrtschiff kann man die halbe Welt erobern. Und sollte sich nicht wundern, wenn dabei Welten aufeinander treffen. Aber aufschreiben kann man’s ja

01. In der Hitze der Nacht

Mahé, Seychellen

Sein Schiff liegt neben meinem, wir haben uns vor ein paar Minuten am Hafentor kennen gelernt und fahren jetzt im Auto durch die tropische Nacht. Er arbeitet als Matrose auf einem maledivischen Bananenfrachter; der Mann braucht eine Telefonkarte, und mir fehlt Benzin. Ich lasse den Motor laufen, während er in einer Wechselstube minutenlang verschwindet. Später an der Tankstelle schrille Diskussionen zwischen einer Handvoll Menschen um falsch gezapftes Benzin. Das nächtliche Victoria ist zusammengesetzt aus flackernden Momenten; Musikblitze, Lichtblitze, Stimmblitze, dazwischen tiefstes, üppig riechendes Dunkel. Zurück am Hafentor, stelle ich den Mietwagen ab, der Matrose und ich gehen zwischen Containertürmen zur Pier. Der leere Speisesaal der „Bremen" strahlt hell, frische Schnittblumen leuchten auf den Tischen. Auf dem rostigen Bananenfrachter herrscht Stille, in der Dunkelheit wirkt das Marode des Schiffes beinahe pittoresk. Wir stehen einen Moment schweigend vor diesen beiden stählernen Ungerechtigkeiten, der namenlos gebliebene Seemann drückt mir zur Verabschiedung die Hand und schwingt sich über die Reling an Bord. Ich steige eine polierte Gangway hoch, beim Eingang liegen wohlriechende feuchte Tücher. Ich verzichte auf die Desinfektion und gehe zu Kabine 402. Morgen ist mein erster Arbeitstag.

02. Die Neue

Mahé und Praslin, Seychellen

Sie sind alle so routiniert. Und es scheint, als ob sie sich seit Jahren kennen würden. Scherze schnellen über den Tisch, kleine Versiertheitssignale werden en passant gesendet: „... letztes Mal im Suezkanal ...", „... acht Jahre in Ägypten gelebt ...", „... die älteren Damen verlieben sich so leicht ...", „... nein, Luxor mach ich nicht schon wieder ...", „... hat doch diesen Maschinisten geheiratet ...", „... Orkan im Pazifik ...", „... als Roy Black das Schiff verpasst hat ...". Sie kennen sich aus, haben mich kaum gegrüßt, und ich spüre leise Verzweiflung aufsteigen. Sie, das sind ein emeritierter Geologieprofessor, ein promovierter Historiker, ein Reiseleiter und eine Sportwissenschaftlerin, dazu noch die Hostess und die Ausflugsleiterin. Unser aller Chefin ist Gabi, die Cruise-Direktorin. Aufgabenverteilung für die nächsten Wochen in einem engen Raum hinter der Rezeption, während die „Bremen" Kurs auf Praslin nimmt: Wer hält welchen Vortrag, wer übernimmt die Ausflugsbegleitung, welches Deck ist am geeignetsten für Yoga, wer verkleidet sich in der „Arabischen Nacht" als Kamel, wie oft findet das Gedächtnistraining statt? Später, bei der Vier-Uhr-Tee-Plauderei, wird klar: Das sind alles Profis, einige von ihnen mehr als die Hälfte des Jahres auf See. Nur der Geologe und ich sind Neulinge. Mit drei Musikern leben wir in der Zwischenzone der Unterhalter; wir sind nicht Crew, nicht Passagier, wir sind Staff.

03. Äquatortaufe

Auf See, Indischer Ozean

Ich sehe aus, als ob ich nierenkrank sei, und der Herr im Bademantel, der mir im Flur entgegenkommt, zuckt angesichts meiner tiefschwarzen Augenringe ein wenig zusammen. Ahnt er, es ist nur Schminke? Heute morgen kurz vor sechs haben wir den Äquator überquert, 64 der 72 Passagiere haben sich wecken lassen, um in Schlauchbooten gemeinsam über den Äquator zu fahren. Kapitän Damaschke ließ das Horn tuten, und die Bootsführer öffneten Sektflaschen. Ein rührendes Bild: die aufsteigende Sonne hinter einem weiten, leeren und spiegelglatten Ozean, darauf ein sehr kleines Kreuzfahrtschiff, begleitet von sieben schwarzen Zodiacs, in denen Menschen mit Sektgläsern in der Hand auf äquatoriales Wasser schauen. Mein Make-up macht einen Furcht erregenden Eindruck, und in dem schreiend grünen Piratenkostüm passe ich gut in die Runde von Thetis, Neptun, Nixen und zwei weiteren Piraten. Äquatortaufe in gehobenem Rahmen heißt: Passagiere höflich bitten, ob sie sich taufen lassen mögen, dann Gesicht und Oberkörper mit einer fruchtigen Paste zuschmieren, ein wenig Alkoholmix einflößen und sachte in den Pool schubsen. Um Himmels willen kein Risiko eingehen!, hat uns Gabi eingeschärft.

04. Lektoren

Auf See, indischer Ozean

Eine Lesung auf einem Schiff hält man besser im Sitzen als im Stehen. Das war meine erste Lektion in Sachen Vortragsreisen. Ich musste mich sehr auf meine Standfestigkeit konzentrieren. Was der dramaturgisch inszenierten Intonation eines Textes über die verführerische Sinnlichkeit von Sirenen nicht eben förderlich war. Die zweite Lektion: gelassen bleiben und bloß nicht anfangen, die Zuhörer zu zählen, die bange Frage „Wer hat mehr?" gar nicht erst aufkommen lassen. Die anderen Lektoren sind meine Kollegen und nicht meine Konkurrenten. Ein paar der Naturwissenschaftler auf den Antarktisreisen sollen in dem Punkt besonders empfindlich sein, hieß es. Da liefern sich dann gestandene Akademiker fein dosierte Verbalduelle um die Publikumsgunst.

05. Crewparty

Auf See, Indischer Ozean

Randy, der Tenor aus San Francisco, singt Schlager, unsere ganze Truppe klatscht und wippt und unterstützt ihn begeistert. Das Publikum in Abendgarderobe geht mit, Randy ist zufrieden, und gleich nach seinem Auftritt ziehe ich mich in meiner Kabine um. Ich sehe wieder aus wie ich selbst und steige die Treppe hoch zum Achterdeck, wo zwischen Zodiacs und Kisten laute Musik donnert. Crewparty, und wir sind geladen. Dann die Ernüchterung: Der junge Chefkoch siezt mich. Eine der freundlichen Kellnerinnen bringt mir höflich ein Glas Wein. Am Nebentisch verstummen schlagartig zwei Mädchen. Randy ist gelassen und trinkt sein Bier. Sie sehen alle so normal jugendlich aus heute, ganz ohne Klammern im Haar und ohne Uniformen, mit knappen Shirts und hängenden Jeans. Sie tanzen, und ich tue es auch. Die Situation entspannt sich.

06. Oh Mukallah!

Mukallah, Jemen

„Vergessen Sie den Dreck. Betrachten Sie die wunderbare Architektur, genießen Sie die jahrtausendealte Kultur, geben Sie sich dem arabischen Leben hin, und wundern Sie sich nicht über Ziegen, die blaue Mülltüten fressen", hatte der Historiker in seinem Jemen-Vortrag insistiert. Mukallah klebt einer Festung gleich zwischen groben Felskanten und Gesteinsbrocken, die wie tote Elefanten im Sand liegen. Dutzende Schiffswracks ragen aus dem Wasser, dahinter eine weiße Stadt, deren schlanke Hochhäuser aus Lehm und Stein sich zu einem dichten Gebilde zusammenschmiegen. Im Hafen ein hölzernes Frachtschiff, auf dem Frauen aus Somalia Ziegen verladen; in der Innenstadt bis auf die Augen verschleierte Frauen, Stände mit Weihrauch zum Brennen, zum Kauen, Kleider in allen Farben, Fisch und Plastikwaren, offene Garküchen, Süßholz, Henna, Stoffe und immer wieder Weihrauch. Am Straßenrand in der Tat Ziegen, die blaue Mülltüten fressen, und daneben ein Passagier, der vor sich hinschimpft: „Ich hasse diesen Dreck." Falscher Ort, falsche Reise. Später legt die „Bremen" ab, und Mukallah entfernt sich im Sonnenuntergang, ein Traum von einer Stadt, ein Sehnsuchtsort, im Abendlicht an eine Fata Morgana erinnernd.

07. Phosphor

Auf See, Golf von Aden

Kleines Häufchen, das wir sind. Die meisten nehmen an der dreitägigen Überlandtour teil, nur ein paar Verlorene sind an Bord geblieben. Die da draußen erleben jetzt das jemenitische Bergland, wir halten Ausschau nach Delfinen. Die Meerenge von Dschibuti ist durchquert - wir sind im Roten Meer. Spätabends dann das Ereignis: Bis zum Horizont tanzen Millionen Glühwürmchen auf dem Wasser, kilometerweiter, flackernder grüner Wahnsinn. Phosphoreszierende Algen sind es, die da blitzen und explodieren. Und so finden auch wir Dagebliebenen unser Glück.

08. Krummdolche und andere waffen

Hodeidah, Jemen

Kann man sich an Waffen gewöhnen? Schon im zweiten jemenitischen Hafen machen die Kalaschnikows der zahlreichen Soldaten keinen arg so bedrohlichen Eindruck mehr wie noch vor zwei Tagen. Auch das mit Schnellfeuerwaffen bestückte Boot, das in engen Kreisen um die „Bremen" zieht, jagt nicht mehr den großen Schrecken ein. Und die Krummdolche, die sich die Männer über ihren bodenlangen Kaftanen um die Hüften geschnallt haben, wirken zumal bei den schlank Gewachsenen durchaus apart. Einem Mann einen Krummdolch zu schenken sei eine lohnende Gabe, meint Jussuf, der blutjunge Fahrer des Subaru mit Schweizer Aufklebern an der Scheibe, und rückt seinen Dolch kokett zurecht. Später schenkt er mir weiße Blüten.


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mare No. 47

No. 47Dezember 2004 / Januar 2005

Von Zora del Buono

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