Notizen einer Landratte, 45.

In dieser Folge outet sich unser Kolumnist Maik Brandenburg als Nullachtfünfzehn-Typ, bricht eine Lanze für den Skandal als Wirtschaftsfaktor und insinuiert einen Zusammenhang zwischen Schlagermusik und Übergewicht

In einer Kolumne stand, dass mir der Schutz der Wale ziemlich egal ist. Daraufhin brach kein nie gekannter Sturm der Empörung los. Keine Wutmails verstopften meinen Computer, die Organisation Greenpeace schickte auch keine Schläger. Es kamen auch keine Briefe, obwohl ich dem Postboten extra einen Waschkorb vor die Tür stellte. Außerdem durfte er die Pakete mit den Ampullen bösen Bluts sogar nachts zustellen. Aber nichts.

Dabei hatte ich den Skandal bitter nötig. Jetzt weiß ich nicht mehr weiter. Ich habe nämlich nur solche Sätze, um zu provozieren. Meine Begabung zum Skandal ist begrenzt. Ich bin so normal, durchschnittlich und so nullachtfünfzehn, dass man vor Wut platzen könnte. Dabei brauche ich das Geld.

Ich gehe trotzdem nicht in Talkshows und labere Unsinn. Die mutmaßliche Schauspielerin Jenny Elvers-Elbertzhagen war ebenfalls arm dran, finanziell wie quotenmäßig. Da besoff sie sich, setzte sich lallend auf eine Fernsehcouch und zack – nun ist sie saniert. Nach der Entzugsklinik winkten ihr lukrative Exklusivinterviews, dazu ein Buchvertrag und später eine Seifenoper, mein Vorschlag: „Jenny, voll im Leben“.

Auch andere Prominente leben von Skandalen. Wenn man Harald Juhnke zu vergessen drohte, dann sagte sein Manager: „Du, Harald, kein Thema. Lass uns einfach in die Kneipe gehen und in Ruhe drüber quatschen.“ Und zack – schon am nächsten Tag stand (oder lag) das Ergebnis samt Fotos auf Seite 1 der „Bild“.

Skandale schaffen Arbeitsplätze. Sie sind edelstes Entertainment, sie sind ein Wirtschaftsfaktor. Es sollte einen Skandalbeauftragten in der Regierung geben, vielleicht macht’s ja Thilo Sarrazin. Dort nennt er sich meinetwegen „Obmann für Schande und Eklat“. Denn jeder Bürger hat ein Recht auf seinen handfesten Skandal, es geht schließlich um viel Geld.

Natürlich muss man sich auch selbst kümmern. Die Bundesregierung kann nicht jeden Skandal allein wuppen. Vorschläge sind gefragt, Kreativität ist gefordert. Ein Wettbewerb kürt vielleicht die schönsten Aufreger, als Preis winkt der Goldene Fettnapf. Eine „Bundesagentur für Skandalvermittlung“ könnte im Notfall jedem seinen Skandal zuteilen. Vor Drückern, die Ihnen an der Haustür faule Skandale aufschwatzen wollen, wäre natürlich zu warnen. Es könnte sich um billigen Schmach aus Osteuropa handeln oder um gebrauchte Blamagen aus Fernost. Möglicherweise kommen von dort bald ganze Container mit Gesichtern, die die Asiaten verloren haben.

Zu meiden wären auch Skandale, deren Erregungspotenzial zu gering ist. Mediale Rohrkrepierer also, gefüllt mit minderwertigem Sprengstoff wie Genderdiskursen oder Rappertexten. Wenn Bohlen krakeelt, sollte das keinen mehr aufregen, wenn wieder ein Politiker Stuss redet, wenn wieder zwei Milliarden öffentlicher Gelder zu viel verbaut sind, na und? Wenn ein Atomkraftwerk kollabiert, so what? Skandale dürfen nicht alltäglich daherkommen. Die Sau, die durchs Dorf getrieben wird, sollte von erlesener Rasse sein.

Viele Skandale blieben übrigens unbeachtet, weil sie unter den Teppich gekehrt wurden. Jetzt, in Zeiten der Rohstoffknappheit, wären sie ein begehrter Bodenschatz. Man könnte ihn in leicht erregbare Staaten exportieren, nach Pakistan oder Iran, locker verdientes Geld. Das Meer könnte da allerdings nicht mitspielen, das Meer ist nicht skandalträchtig genug. Bislang lastet in dieser Frage fast alles auf den Schultern engagierter Kadetten und Offiziere der „Gorch Fock“.

Ansonsten muss man tief bohren, um auf Verwertbares zu stoßen. In den 1970er-Jahren gab es Freddy Quinn, das war ein Sänger von Shantys und so Seefahrerzeugs. Schätzungen besagen, dass allein durch ihn jeder Bundesbürger rund fünf Kilogramm Schmalz im Jahr zu sich nahm, und zwar – Achtung, Kalauerattacke –: ohral. Heute sind viele Menschen in der Republik übergewichtig, aber den Zusammenhang zum kalorienreichen Musik-Geschmack der 1970er hat noch niemand entdeckt. Kann man sich doch mal richtig doll drüber aufregen, wie?

mare No. 123

No. 123August / September 2017

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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