Notizen einer Landratte, 38.

In dieser Folge gesteht unser Kolumnist Maik Brandenburg freimütig das Scheitern einer Recherche, übt seine Informationspflicht dennoch aus und räsonniert über den Sinn von Bildungsaufträgen

Ich wollte eine Kolumne schreiben, die die Seemannsflüche feiert, eine Ode an den Schimpf zur See. Das ist ja bekannt, dass ohne den nichts ging. In der Flaute brachte das Fluchen mindestens ein bis zwei Windstärken, bei Sturm wurde eben gegen angetobt, bis der Taifun beleidigt beigab. Ich stellte mir bärbeißige Teerjacken vor, die das Meer anschrien oder das Schicksal oder wenigstens den Schiffsjungen, der musste ja lernen. Salzbuckel mit nicht jugendfreien Zoten, denen der Priem aus dem Mund fiel, wenn sie um Kap Zorn segelten. Aber klei mi an ’n Mors, ich habe keinen Fluch gefunden.

Nicht, dass es nicht ständig donnerte auf einem Schiff. Nur offenbar unterschieden sich die maritimen Verbalgewitter nicht von denen an Land. Ich will jetzt keine Beispiele bringen, dieses Magazin wird von einem Schweizer geführt, dem Enkel von Heidi und dem Kräuterpfarrer. Aber denken Sie an Ihre letzte Fahrt mit der Deutschen Bahn, an den letzten Behördengang, an die Einkommensteuer, dann haben Sie, was ich meine.

Nur so ein echter, gischtgeborener Seemannsfluch? Fehlanzeige, berichtigen Sie mich. „Nimm deinen Dödel aus dem Lümmelbeschlag, ich verpass dir sonst ’nen Plattfuß, dass du dumm aus ’m Ochsenauge guckst“ zählt aber nicht. Das ist kein Fluch, sondern eine Anweisung. Ein Seemann würde zwar irritiert gucken, aber irgendwie damit zurechtkommen. Auch einfach auf Plattdeutsch zu motzen geht nicht. Ein Spruch wie „Düwels ook, du Dösbaddel klönst ’n Tüderwark as ’n Brassen“ ist kein Fluch, sondern ein – landestypisch grobes – Kompliment.

Aber es muss welche geben, die Literatur erwähnt sie. So irgendwie, jedenfalls. Dort hantiert einer „mit einem Dutzend Seemannsflüchen“ oder sucht „nach Ausschöpfung meines Vorrats an Seemannsflüchen“ neue Ideen, jemand „stößt ein paar deftige Seemannsflüche aus“, ein anderer „einen Schwall saftiger Seemannsflüche“. Okay, dann lasst mal hören.

Lassen sie aber nicht. Kein – ach was, ich tu es jetzt doch mal, es gibt ja auch eine Informationspflicht –, also kein „Du Sohn einer Schiffsratte“, kein „elender Krakenpups“, „Nixenschiss“ oder wenigstens „Saupreuß, dreizackiger!“. Ich habe recherchiert.

Dabei gibt es für jeden Kram an Bord eine spezielle maritime Vokabel, für jede noch so kleine Tätigkeit den bordeigenen Sprech. Weiß der Klabautermann, warum sie das tun, es macht die Sache jedenfalls nicht leichter (aber man geht ja sowieso nicht auf ein Schiff, um es im Leben einfach zu haben).

Nehmen wir also nur mal das Essen. Dieses heißt auf den Planken Backen und Banken, das Besteck wird aber nicht benutzt, um sich vollzuschlagen, sondern dient der Navigation. Was wir Normalsterblichen Messer und Gabel nennen, heißt dagegen Schanzzeug. Auch Bordziegen werden nicht irgendwann geschlachtet – es sind Männer, die in den Rahen herumturnen. Und „schlachten“ meint natürlich auch was ganz anderes, nämlich das Abschneiden von Segeln. Clupeiden wiederum kann man essen, so nennen sie die Heringe, die der Smutje (Koch) hoffentlich nicht auf dem Rattenblech (eine Schutzscheibe) brät. Für Faulenzer sowieso nicht, das sind nämlich Sicherungsleinen. Und wenn Sie an Bord nach einer Mettwurst fragen, passiert das Gleiche, was auch nahe einer Moschee in Saudi-Arabien passiert, falls Sie sich dort trauen, eine zu bestellen: Ihnen wird das Ende eines Taues serviert.

Eine rühmliche Ausnahme ist „Die Schatzinsel“ von R. L. Stevenson. In diesem Roman haben einige Beteiligte ständig grüne Gischt vorm Mund. Im Verlag Hase und Igel in Garching hat man die intellektuelle Kraft der Seemannsflüche erkannt und bietet entsprechende Unterrichtsmaterialien an. In einem Lehrbuch sollen die Schüler Long John Silver nacheifern und „selbst originelle Seemannsflüche“ erfinden.

Das ist der richtige Weg. Erst wenn es eines Tages nicht mehr heißt: „Ey, Alder, ich hau dich Krankenhaus“, sondern „Yo, Flottenfurz, ich nagel deine Nase dwars an ’n Mastbaum“, ist der Bildungsauftrag erfüllt.

mare No. 116

No. 116Juni / Juli 2016

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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