Notizen einer Landratte, 35.

Heute wundert sich unser Kolumnist Maik Brandenburg über die Unsterblichkeit des Aberglaubens sowie über den Sinn mancher seemännischer Rituale und klärt auf über den Begriff der „Bordschwalbe“.

Das Fahren auf Segelschiffen war die meiste Zeit langweilig. Immer nur stur geradeaus, Deck schrubben und aufs Essen freuen. Geistlos. Klar, dass man sich welche erfinden musste, also Geister, jetzt. Darum wurde der Aberglaube eingeführt.

Der am frühesten aufgezeichnete Aberglaube stammt aus dem Alten Testament. Im Zweiten Logbuch Moses heißt es: „Aber glaube ruhig, Seefahrt tut gut.“ Moses war zuerst ein Flussschiffer, der dafür einen Weidenkorb bevorzugte. Später führte er seine „zahlenmäßig stärkste Crew der Geschichte“ („Guinness-Buch der Rekorde“) 40 Jahre lang durch die Wasserwüste. Dabei war er nicht mal Kapitän, sondern Schiffsjunge. Als die Crew schließlich im Gelobten Land ankam, war der Sueskanal längst gebaut. Da hätten sie auch gemütlich zu Hause warten und dann abkürzen können und wären nicht von den zehn Plagen der Seefahrt geschlagen worden, also den Windstärken 3 bis 12.

Aberglaube bringt also nicht viel. Doch er sorgt für Abwechslung, es ist halt auch einsam auf See. Ein paar Gefährten, selbst wenn sie bloß eingebildet waren, peppten den drögen Bordalltag unter den Rahen auf. Man erfand sich Windjammergestalten, sozusagen. Der Klabautermann ist zwar ein genauso cholerischer Kobold wie der Kapitän. Dafür hat er öfter recht und lässt sich weniger blicken. Sah man ihn doch auf dem Bugspriet sitzen, mit seinen roten Haaren und den grünen Zähnen, galt das als sicheres Zeichen für ein bevorstehendes Unheil. Vor allem war es ein sicheres Zeichen dafür, dass einem der Landgang gestrichen wird, weil man wieder mal sternhagelvoll war.

Eine dreifarbige Katze galt dagegen als gutes Omen. Das war schlau, denn dreifarbige Katzen waren leichter zu beschaffen als etwa monochrome Breitmaulnashörner, und sie brauchten nicht so viel Platz. Gefüttert wurden die Katzen mit weißen Mäusen, die mit viel Rum und noch mehr Bier angelockt werden konnten. Dazu musste man beides zwar selbst trinken, doch es funktionierte.

Neptun war vor allem mit einem Schluck Rum zu beruhigen. Oder mit Sherry. Oder mit Branntwein. Was auch immer, Hauptsache, der Rest der Buddel ging an die Mannschaft, sonst war der Zauber wirkungslos. Man kann sagen, Aberglaube ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Flaschen Alkohol. Auch bei der Äquatortaufe, bei der Schiffstaufe oder beim Umbenennen eines Schiffes – stets bekamen Matrosen und Meeresgeister ihr Quantum. Das summierte sich bei Letzteren über die Jahrhunderte zu einer anständigen Trunksucht. Wurden die Alkoholgaben vergessen, führte dies zu Entzugserscheinungen wie Hurrikanen, Monsterwellen oder Seebeben. Dagegen halfen nur weitere Trunkopfer – ein Teufelskreis, den die Wissenschaftler heute als Klimawandel missverstehen.

Pest, Skorbut, Läuse, das alles ließ sich in den Griff kriegen. Nur die Seekrankheit und der Aberglaube hielten stand. Dabei ist der Sinn vieler Rituale gar nicht mehr klar. Beim Spucken in die See ist das jedoch einfach – der Flatschen traf ja immer voll ins viel besungene „Antlitz des Meeres“. So etwas macht man nicht, nicht mal vom Speigatt aus. Vor allem gegen Luv gilt das Spucken als übles Tun, da es einen Seemann blind machen kann.

Dass bestimmte Tiere wie etwa Hasen nicht an Bord gehören, hat ebenfalls seinen Sinn: Ein alter Seehase war man schließlich selbst, man schlachtet niemanden vom eigenen Stamm. Moses verbot übrigens das Mitführen Goldener Kälber, auch dies zu Recht – Schwermetalle liegen schwer im Magen, außerdem hätte es womöglich Ärger mit dem ägyptischen Zoll gegeben.

Doch warum bringt eine Frau an Bord Unglück? Man könnte sagen: Warum sollte sie es ausgerechnet dort nicht tun? Sagt man aber nicht, ist ja auch Quatsch. Außerdem sind die Frauen ja schon längst am Ruder, einschließlich die eine auf dem gesamtdeutschen Dickschiff. Es geht wohl eher darum, dass es unter der männlichen Besatzung plötzlich zu viele Frauenbeauftragte geben könnte. Oder daran, dass es das Kommando „Frau über Bord“ noch nicht gibt. Am wahrscheinlichsten ist wohl, dass Frauen den selbstlosen Einsatz der Matrosen gegen das Aussterben der Bordschwalben kaum als das verstehen würden, was es ist: als Liebe zur Ornithologie.

mare No. 113

No. 113Dezember 2015 / Januar 2016

Von Maik Brandenburg

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