Notizen einer Landratte, 3.

In dieser Folge erklärt unser Kolumnist Maik Brandenburg, wie man am besten mit eingebildeten Schiffen umgeht, und kritisiert das Verhältnis von Kreuzfahrtschiffen zur Kosmetikbranche

Letztens ging ich durch einen weltbekannten Hafen, als ein Schiff neben mir „Tuuut“ machte. Ich erschrak heftig und ärgerte mich. Denn ich kenne keine eingebildeteren Wesen als Schiffe. Sie recken den Bug hochnäsig in den Himmel und gucken einen mit dem Heck nicht an. Dabei haben die meisten einen dicken Bauch, null Taille und tragen unmodische Ankerketten. So viel Selbstbewusstsein muss man erst mal haben.

Als ich klein war, fand ich das in Ordnung. Schiffe durften arrogant sein, denn sie waren echte Haudegen. Sie trugen gefährliche Namen wie „Tigerhai“. Oder sie waren überirdische Helden wie „Erster Fliegerkosmonaut der Deutschen Demokratischen Republik Sigmund Jähn“. Es störte nicht, dass sie laut maritimer DNA eigentlich weiblich sein sollen. Die Schiffe meiner Kindheit waren halt Mannweiber. Walküren der Meere, Brunhildes zur See. Sie verschlissen in ihrem Leben ein paar Dutzend Kerle, sie zermatschten ihnen die Ohren mit wummernden Aggregaten, verglühten ihnen die Haut mit heißem Motorenöl, sie ätzten ihnen die Nasen weg mit ihrem Gestank. Doch wenn ihre Liebhaber nach einem arbeitsreichen Leben von Bord getragen wurden, dann konnte man sie in Kneipen treffen, wo sie ihre Hemden aufrissen und riefen: „Guck mal, das war SIE!“

Die Schiffe meiner Kindheit fraßen Fische und Container und jeden Dreck. Sie rülpsten einfach aus fetten Schloten und fertig. Sie verzogen nicht mal das Gesicht, wenn man sie verfluchte oder mit Stiefeln trat. Und wenn die Matrosen betrunken auf ihnen tanzten und auf die Planken pissten, weil sie es nicht mehr an die Reling schafften, dann wuschen es die Schiffe meiner Kindheit mit Salzwasser weg, trugen Rost auf und schwiegen drüber. Heutzutage sind Schiffe Diven. Das ist ihnen kein Schimpfwort, manche tragen das Wort sogar im Namen. Falls ein Seemann versuchte, sie anzuschreien, kriegen die sensiblen Seelchen Schlagseite. Sollte man ihnen zu lange in die mit Kajal umrahmten Bullaugen gucken, ist eine Klage beim Promianwalt fällig. Der Anstrich dieser Fine-Liner ist von L’Oréal, dem Diesel wurde Parfüm zugesetzt und wehe, man überschreitet das zulässige Ladegewicht. Nach neuesten Erhebungen ist wenigstens die Hälfte aller Kreuzfahrtschiffe Mitglied bei den Weight Watchers.

Man musste sich an vieles gewöhnen: an Schiffe, denen sie einen Kussmund verpassten; auch an Kutter, die Touristen im Kreis fahren, statt Heringe zu hetzen, wie es ihr Geburtsrecht ist. Oder an großmäulige Raumschiffe für 1000 Autos, aber mit Kurzschluss, sobald sie Wasser berühren. Ich warte auf den Tag, da ein Schiff die Werft verlässt mit einem Schild, wie es in DDR-Tagen an manchen Schuhen hing: „Achtung, nicht bei Nässe benützen!“

„Save our Souls“ lautete der marine Rettungsruf. Es gibt ihn nicht mehr, aus gutem Grund: Den Schiffen sind die Seelen ausgegangen. Traktoren fahren unbemannt und satellitengeführt über die Äcker, ich wette, das bringen die Kutter demnächst auch. Kracht so einer aufs Riff, war es nicht ein Köm zu viel, sondern „Error 403“. Bislang gibt es sie nicht, weil noch jeder Programmierer am Unterschied zwischen Backbord und Steuerbord scheiterte.

Doch bald schon werden sich müde Inder in Kalkutta oder Bombay frühmorgens den aus Bremen importierten Priem in den Mund schieben und die Laptops anwerfen, Marke „Automaat“. Sie werden den Wetterbericht bei Neufundland checken und dann entscheiden, ob sie die Anker lichten („Strg+A+L“; der Befehl „Enter“ ist seit der letzten Somaliakonferenz verboten). Zuvor werden sie die Frachtterminals bedienen, also Container in Laderäumen stapeln, was wie im „Tetris“-Spiel funktioniert, damit die Sache den Indern auch Spaß macht.

Moderne Flugzeugträger haben zwar immer noch eine Menge Besatzung. Dennoch sind auch sie längst computergesteuert, und zwar von der Schiffsschraube bis zum Piloten. Nur das Ruder auf der Brücke ist weiterhin aus Holz, weil man das auf Flugzeugträgern für einen Gruß an die gute alte Seefahrt hält. Wenigstens sagen die Amerikaner bereits deutlich, womit sie unterwegs sind: „We’re sailing the Seven Seas on our chips.“ Diese Chips aber werden irgendwann von Salzwasser angefressen sein oder eine Isolierung fällt ab oder der Chip versagt völlig ohne Grund, wie es ja üblich ist bei diesem Zeug. Dann werden die Schwimmroboter orientierungslos, steuerlos, crewlos über die Meere treiben. Eine Flotte Fliegender Holländer wird die See bevölkern.

Will sagen: Von einem Zombie in spe, der „Tuuut“ macht, muss ich mich noch lange nicht blöd anquatschen lassen.

mare No. 80

No. 80Juni / Juli 2010

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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