Notizen einer Landratte, 28.

Notizen einer Landratte, 28.

Gelegentlich wirft man mir vor, es mangle mir an wissenschaftlicher Akribie. Das ist falsch. Ich habe studiert, mehrfach wurde mir sogar der Doktortitel angeboten. Auf Wunsch kann ich die entsprechenden E-Mails vorweisen.

Ich wage mich selbst an unpopuläre Forschungsthemen. Sprechen wir also über Eunuchen. Sie spielen zwar in der Seefahrt keine Rolle. Auch die Ozeane gehören offenbar den Gemächtigen dieser Welt. Dennoch gibt es interessante Ausnahmen.

Die eine ist Zheng He, der als Admiral eine riesige chinesische Flotte befehligte. Er machte Anfang des 15. Jahrhunderts mehrere Reisen bis nach Ostafrika und Arabien, wobei seine Armada an die 100 Schiffe und knapp 30 000 Mann Besatzung umfasste. Um als „vollständiger Mann“ bestattet und irgendwann wiedergeboren zu werden, soll Zheng He stets ein Gefäß mit seinen Hoden bei sich getragen haben. Wer will, darf den Chinesen also auch die Erfindung des Eierbechers zuschreiben.

Die zweite Ausnahme betrifft Philipp V., einen spanischen König des späten 17. Jahrhunderts. Der schwermütige Regent konnte nur durch den Gesang eines Kastraten erheitert werden. Irgendwann zwischen den Arien erhob sich der Monarch schließlich gut gelaunt und eroberte sein verloren gegangenes Königreich Neapel-Sizilien, eine damalige Seemacht, zurück. Auch eine weit schwierigere Aufgabe meisterte er anschließend mit Bravour, nämlich die Erziehung seines Sohnes. Dabei handelt es sich um den späteren König Karl III. Jener machte als „aufgeklärter Despot“ von sich reden und dürfte somit das Idealbild des modernen Kapitäns begründet haben.

Mehr gibt die Historie zum Thema Eunuchen und See nicht her. Das Meer mag anscheinend keine schlaffen Säcke, es fordert den ganzen Kerl. „Tienes que tener cojones“, sagte Kolumbus darum, als er bei der spanischen Königin Isabella I. vorsprach, um Hilfe für seine Irrfahrten zu erbitten. „Tienes que tener cojones“, „Dafür braucht man Eier“: Im spanischen Sprachraum bedeutet dies, dass einer mutig sein sollte. Die US-Amerikaner sehen das genauso, weswegen sie ihr entscheidendes Büro „Oval Office“ nennen. Bekanntlich erhielt Kolumbus seine Unterstützung, während die Audienz unter der Überschrift „Das Ei des Kolumbus“ in die Geschichtsbücher eingegangen ist.

Für die Sache mit Kolumbus will ich allerdings nicht meine Hand ins Feuer legen. Ich bin nur ein kleiner Freizeitforscher ohne Drittmittel. Aber auch so dürfte klar sein: Das Meer hat für jeden Platz, und sei es nur als hormoneller Windbeutel.

In der Kunst widmet man sich ebenfalls dem Wirken der Fast-Männer, allerdings reichlich verschämt. Derzeit heiß diskutiert wird ein gewisser Sir Cutler Beckett. Er ist der Gegenspieler von Jack Sparrow, dem Piratenkapitän in dem Film „Fluch der Karibik“. Unermüdlich beschäftigen sich Internet-Fan-Foren mit der Frage, ob die beiden eine versteckte Liaison haben, ob sie also tatsächlich Intimfeinde sind, und woran man dies erkennen könne. Manche Diskussionsbeiträge sind schon kleine Bachelorarbeiten, samt Quellenhinweisen und Danksagungen. Dieses Magazin hat einmal einen Wissenschaftspreis vergeben. Sollte so etwas wieder anstehen, hätte ich ein paar Vorschläge.

Anscheinend versteckte das Filmteam zudem mehrere Hinweise, die besagten Lord Beckett als Eunuchen enttarnen. Natürlich nur, wenn man zu sehen versteht. Warum etwa sollte der wenig zimperliche Sparrow, der seinen aufmüpfigen Maat ermorden will, einen weitaus größeren Halunken wie Beckett nicht einmal eben entmannen? Viel spekuliert wird auch über „das Mal“, welches der Pirat am Lord hinterlässt. Ist es die ewig schmerzende Pein, entmannt worden zu sein? Sparrow selbst nennt Beckett in einer späteren Szene einen „Eunuchen“.

Und schließlich die „sprechenden Namen“: Die fechtende Piratenbraut „Elizabeth Swann“ ist eben schön wie ein Schwan, und Captain Sparrow, was ja „Spatz“ bedeutet, geht nichts über die Freiheit eines Vogels. Nun also: Cutler Beckett – „cut“ wie „abschneiden“. Klar so weit, wie Jack Sparrow sagt?

Ich möchte hiermit der Forschung einen weiteren Beweis liefern. Samuel Beckett war ein amerikanischer Autor, der mit dem Drama „Warten auf Godot“ berühmt wurde. Was aber ist diesem Godot und dem Eunuchen gemein? Beide kommen nie.
Und Schnitt. 

mare No. 106

No. 106Oktober / November 2014

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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Vita Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.
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