Notizen einer Landratte, 25.

In dieser Folge erklärt unser Kolumnist Maik Brandenburg, warum es psychisch von Vorteil sein kann, Schiffe lächerlich zu machen, wie schädlich Bootsmessen für Kinder sind und wie sich das Filmbusiness um den Schiffbau verdient macht

Ich gehe Schiffen konsequent aus dem Weg, was mir an Land ganz gut gelingt. Ich habe gelernt, dass Freiluftbäder und Schwimmhallen keine Gefahr darstellen und dass nicht jeder Hafen Schiffe enthält. Ich nähere mich also einem Flughafen wieder ohne Arg, nenne ihn aber lieber Airport. Ich schaffe es sogar, mich über Schiffe lustig zu machen, wie die Psychologen das fordern, denn das Böse ist nur halb so groß, wenn man es lächerlich macht. In meine Badewanne gehört immer auch ein Plastikboot, das ich gerne in Melisse-Rosmarin-Tsunamis untergehen lasse. Einige Zeit malte ich Schiffen im Kopf blöde Gesichter an den Bug, bis die Idee von Kreuzfahrtveranstaltern aufgegriffen wurde.

Ich frage mich, warum sie die Menschen abschrecken wollen, statt anzulocken. Ich denke, es ist wie bei den Zigarettenschachteln, wo ja auch Warnhinweise draufstehen. Nur dass man an Schiffe nicht so lange Sätze schreiben kann, etwa: „Kreuzfahrten führen zu Bingoanfällen“ oder „Schiffsreisen verringern Ihren Mageninhalt“ oder meinetwegen „Segel raffen lässt ihn erschlaffen“. Da muss es halt ein blödes Gesicht bringen.

Ich komme gut zurecht mit meiner natürlichen Seeschwäche. Andere Menschen, die nicht so ausgebufft sind wie ich, verschlägt es dagegen immer wieder aufs Wasser. Denn es gibt auch Psychologen, die ihren Klienten die Konfrontationstherapie einreden. So ein Patient kauft sich dann ein Boot und altert vor der Zeit. Wenn er überlebt. Ich weiß sogar von einem armen Irren, der extra eine Firma gründete, nur um sich eine Yacht bauen zu lassen. Die lag dann ewig an der Pier, damit der teure Bootslack keinen Schaden nimmt. Als der Mann irgendwann tatsächlich die Leinen löste, fuhr er prompt gegen eine Boje. Alle drei hatten danach eine Beule, die Boje, die Yacht und der Mann. Bei den ersten beiden ist die Blessur längst behoben. Der Mann aber geht seither verstärkt in die Öffentlichkeit, mitunter tritt er sogar in Talkshows auf. Er hat also seine Therapiegruppe vergrößert, doch sein Trauma wird er nicht los.

Kaiser Wilhelm II. sah bekanntlich die Zukunft der Nation auf dem Wasser. Kurz darauf gab es keinen Kaiser mehr. Inzwischen versucht wieder eine gigantische Industrie, den Menschen aufs Meer zu treiben. Während Waffenmessen zu Recht in die hinterste Wüste verbannt sind, zum Beispiel nach Dubai, präsentiert sich eine „Boot Düsseldorf“ ganz offen mitten in Deutschland. Da streichen dann Männer mit glänzenden Augen über Schiffsrümpfe, dabei halten sie Kinder an den Händen. Kinder! Eines Tages fährt der Sprössling womöglich zur See, doch wenn er seinen Irrtum erkennt, ist es zu spät. Dann ergeht es ihm wie dem Kapitän der „Costa Concordia“. Als dem sein verfehltes Leben bewusst wurde, lenkte er sein Schiff auf eine Insel, nur um so schnell wie möglich an Land zu kommen. Die Folgen sind bekannt.

Hinter dem Boom im Schiffsbau steht natürlich das Filmbusiness, das auf weitere lukrative Untergänge hofft. Gerade wird die „Titanic“ nachgebaut, originalgetreu, nur damit es einen zweiten Teil von „Titanic“ geben kann. In dem Film, eine Scripted-reality-Doku-Fiction mit echten Passagieren und echtem Eisbergcrash, verliebt sich die Enkelin von Rose in einen Vampir. Der trinkt nur das Blut aus überlagerten Rotkreuzbeständen und reist in der dunklen dritten Klasse, obwohl er durch sein Beerdigungsinstitut reich geworden ist. Der Vampir versucht irgendwann, dem fiesen Kapitän, einem Zombie, das Steuer aus der Hand zu reißen. Doch die neue „Titanic“ kracht auf den Eisberg, in dem seit Jahrhunderten ein Ufo eingefroren war. Die Aliens darin wachen auf, starten sofort ihr Raumschiff und fliegen mit Warp-Geschwindigkeit aus der Handlung. Jetzt schneidet der fiese Zombie Roses Enkelin das Herz heraus, aber schon schlägt ihm eine Monsterwelle das Herz wieder aus den Händen. Da treibt es nun, Celine Dion singt „My heart will flow on“, und ein Happy End gibt es wieder nicht.
Denn die Regie führt ein 21-jähriger isländischer Ziegenbart, der eigentlich ein begnadeter Bäcker ist, das aber nicht wahrhaben will. Wenigstens geht das Schiff richtig unter.

mare No. 103

No. 103April / Mai 2014

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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Vita Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.
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