Ni Hao, Mauretanien!

Die lukrative Fischmehlindustrie an Westafrikas Küste ist fest in chine­sischer Hand. Die Einheimischen gehen leer aus

Auf den ersten Blick wirkt das mauretanische Fischerdorf Nouamghar wie ausgestorben. Der Wind, der vom Land kommt, wirbelt Staubwolken durch die ungepflasterten Straßen. Mehrere Dutzend einfache Häuser liegen wie Spielklötze am Strand verstreut. Die Brandung des Atlantiks setzt den Fassaden zu, überall fällt der Putz ab. Manche Familien wohnen lieber in traditionellen Zelten, die zum Schutz der Privatsphäre von Zäunen aus Fischernetzen umgeben sind.

Es ist früher Morgen, die Frauen verrichten ihre Hausarbeiten, die meisten Männer sind in See gestochen. Nur vor der kleinen Koranschule sitzen zwei Dutzend Kinder, Mädchen und Jungs getrennt, und rezitieren Koranverse unter der Aufsicht eines Lehrers, der bei nachlassendem Eifer sofort den Schlagstock schwingt.

Im Haus von Scheich Muhammed Salim Biram, 69, herrscht Stille. Der Mann mit schlohweißem Bart, ein früherer Fischer, kauert vor dem Wohnzimmer auf dem Boden und schnürt ein neues Fischernetz. „Das Material kaufen wir heutzutage in der Stadt“, sagt er. „Aber Schwimmer und Seile befestige ich am liebsten selbst, so wie mein Vater es mich gelehrt hat.“

In Nouamghar leben die Menschen seit vielen Generationen vom Fischfang. „Früher kamen die Fischschwärme ganz dicht an den Strand“, sagt der Scheich. „Wir sind ins Meer gestiegen und haben sie im brusttiefen Wasser gefangen. Heute fahren die Fischer weit hinaus und kommen oft mit leeren Händen zurück.“

Die beiden Söhne des Scheichs lauschen den Worten des Vaters, keiner wagt zu unterbrechen. Seine Tochter kocht Tee. Der Alte setzt fort: „Meine Nachbarn kommen zu mir und klagen, dass sie keinen Fisch gefangen haben. Doch was kann ich gegen die Regierung tun?“ Für den Scheich sind Politiker an dem Verschwinden der Fische schuld. „Sie haben die Chinesen ins Land geholt“, schimpft er. „Und diese Gauner rauben unsere Fische und machen Fischmehl aus ihnen, das sie an ihre Schweine verfüttern, während unsere Leute nicht genug zu essen haben.“

Mauretaniens Fischreichtum weckt schon seit einem halben Jahrhundert Begehrlichkeiten. Zuerst fischten Europäer vor der knapp 600 Kilometer langen Atlantikküste des Landes. Seit zehn Jahren tummelt sich die halbe Welt in den Gewässern vor Westafrika, neben Trawlern aus den EU-Ländern auch türkische, russische und ukrainische. Die meisten aber, zwischen 300 und 400 Schiffe, fahren unter der roten Flagge Chinas. In der Bucht von Nouadhibou im Norden Mauretaniens ankern ganze Fischereiflotten, die den Hafen als ihre Basis nutzen. Am Horizont pflügen Dutzende Trawler das Meer auf dem Weg zu den reichsten Fangplätzen.

Das lukrativste Geschäft aber findet an Land statt – in Fabriken, die sich hinter hohen Mauern verstecken und von bewaffneten Wachmännern gesichert werden. Es ist ein würgender Gestank, der hier in der Luft hängt. In Nouadhibou werden im Jahr etwa 550 000 Tonnen Fisch zu Fischmehl und Fischöl verarbeitet. Die gesamte Produktion von 130 000 Tonnen Fischmehl wird exportiert.

Die Welt lechzt nach dem proteinhaltigen hellbraunen Pulver, das vor allem in der Fischzucht, aber auch bei der Tiermast eingesetzt wird. Fast ein Viertel der wild gefangenen Fische weltweit landet nicht auf dem Teller zum Verzehr, sondern wird zu Fischmehl verarbeitet. Die Nachfrage steigt rapide, vor allem, weil China immer mehr Fisch, Krabben und Garnelen in Aquakulturen züchtet.

Früher kauften die Chinesen das Fischmehl in Peru. Doch als El Niño 2010 für einen dramatischen Einbruch der Fangmengen an der peruanischen Küste sorgte, sahen sich die Chinesen gezwungen, in andere Gebiete auszuweichen, nach Westafrika. Die Hälfte der Fischmehlfabriken von Nouadhibou wurde von chinesischen Unternehmen gebaut.

Es gibt 30 Fischmehlfabriken in Nouadhibou und noch zehn weitere im Süden Mauretaniens. „Das ist eindeutig zu viel, bei unserem Nachbarn Marokko, der eine doppelt so lange Küste hat, gibt es zehn“, sagt Aziz Boughourbal, CEO der mauretanischen Holding Mauritania Pelagic.
Boughourbal hat die Leitung der Holding von seinem Vater übernommen, der 2001 in Nouadhibou die Fischverarbeitungsfabrik S. E. P. H. gegründet hat. „Wir haben dort Fische filetiert und tiefgefroren“, erzählt Boughourbal. „Den ganzen Abfall, die Fischköpfe, die Gräten, Innereien und Schwänze, kippten wir damals in der Wüste aus. Der Ort stank bis zum Himmel.“ Seinem Vater täten diese Umweltsünden leid, erzählt der Sohn. Also beschloss er, die Omaurci-Fabrik zu bauen, um dort die Abfälle zu Fischmehl zu verarbeiten. Damals, 2009, gab es in Mauretanien nur drei Fischmehlfabriken.

Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 140. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 140

mare No. 140Juni / Juli 2020

Von Andrzej Rybak und Florian Bachmeier

Andrzej Rybak, Jahrgang 1958, Autor in Hamburg, staunte über die uralten Peugeot-Pritschenwagen auf den Straßen Mauretaniens. Die Karosserien sind durchgerostet, die Scheinwerfer mit Drähten festgezurrt, und der Sprit kommt aus Kanistern neben dem Motor. Doch sie laufen und laufen und laufen.

Erschöpfte, resignierte Gesichter im Hafen, gelangweilte chinesische Prostituierte in Jogginganzügen und Plüschpantoffeln – Florian Bachmeier, geboren 1974, Fotograf in Schliersee, empfand die Situation in Nouadhibou als äußerst deprimierend.

Mehr Informationen
Vita Andrzej Rybak, Jahrgang 1958, Autor in Hamburg, staunte über die uralten Peugeot-Pritschenwagen auf den Straßen Mauretaniens. Die Karosserien sind durchgerostet, die Scheinwerfer mit Drähten festgezurrt, und der Sprit kommt aus Kanistern neben dem Motor. Doch sie laufen und laufen und laufen.

Erschöpfte, resignierte Gesichter im Hafen, gelangweilte chinesische Prostituierte in Jogginganzügen und Plüschpantoffeln – Florian Bachmeier, geboren 1974, Fotograf in Schliersee, empfand die Situation in Nouadhibou als äußerst deprimierend.
Person Von Andrzej Rybak und Florian Bachmeier
Vita Andrzej Rybak, Jahrgang 1958, Autor in Hamburg, staunte über die uralten Peugeot-Pritschenwagen auf den Straßen Mauretaniens. Die Karosserien sind durchgerostet, die Scheinwerfer mit Drähten festgezurrt, und der Sprit kommt aus Kanistern neben dem Motor. Doch sie laufen und laufen und laufen.

Erschöpfte, resignierte Gesichter im Hafen, gelangweilte chinesische Prostituierte in Jogginganzügen und Plüschpantoffeln – Florian Bachmeier, geboren 1974, Fotograf in Schliersee, empfand die Situation in Nouadhibou als äußerst deprimierend.
Person Von Andrzej Rybak und Florian Bachmeier