Neue Bäder heilen gut

Die Geschichte der deutschen Seebäder

Bei den Alten galt die eiserne Regel: Wer kämpfen wollte, der musste schwimmen können. Und Krieger wollte jeder sein. „Er kann weder buchstabieren noch schwimmen“, heißt es verächtlich bei dem Griechen Diogenian. In der nordischen Sagenwelt übte man Langstreckenschwimmen, Tauchen und Schwimmen in voller Rüstung. Im „Beowulf“, dem ältesten altgermanischen Heldengedicht, schwimmen Brecht und Beowulf im Meer mit dem Schwert in der Hand um die Wette.

Doch tausend Jahre nach der Völkerwanderung brach alles ab. Angst ging um in Europa, vor Pest und Cholera, vor Fleckfieber und Typhus. Die Menschen mieden das fließende Wasser wie die Pest, es war ihnen unheimlich. Badestuben kamen in Verruf, kaum einer konnte schwimmen. Die hochgestimmte Renaissance, das stolze Barock, sie stanken bis zum Himmel. Parfumkünstler konnten für ein gutes Duftwässerchen fast jeden Preis verlangen.

Die Küsten wurden gemieden, die Strände lagen leer. Wer wollte schon im Meer schwimmen! Nicht die Ostfriesen, die bauten ihre Deiche und hatten genug vom Meer. Der mecklenburgische Bauer war an die Scholle gebunden. Der Fischer misstraute dem Meer zutiefst, es war ihm nicht geheuer. Und der Adel? Ihm war Blässe Pflicht, was sollte er da am Strand. Noch bis in unser Jahrhundert hielt sich unter Seeleuten der Aberglaube, dass im Meer umkommen müsse, wer einmal vom Schiff gefallen war.

Man macht sich heute nur schwer eine Vorstellung davon, wie mühsam es war, den zivilisierten Mitteleuropäer wieder ans Meer zu locken. Viele haben daran mitgewirkt, vor allem die Halloren, die Salzsieder in Halle an der Saale. Nach der Arbeit in den verqualmten Siedehäusern wuschen sich die Arbeiter der Saline in der Saale. „Es sind wahre Amphibien, die im Wasser ebenso gut zu Hause sind, als auf der Erde“, schrieb Johann Georg Heinzmann 1788. „Ihre Kinder werfen sie mit dem vierten oder fünften Jahr ins Wasser und springen dann hintendrein, um ihnen zu helfen...“ Als die Salzgewinnung rationalisiert wurde, zogen viele Halloren als Bademeister und Schwimmlehrer durchs Land.

In den 1790er Jahren machte in Thüringen der Hallore Wolf die Runde. An der Erziehungsanstalt in Schnepfenthal bei Gotha war er gern gesehen, denn ihr Gründer Christian Gotthilf Salzmann hielt das Ideal der körperlichen Ertüchtigung hoch. Sein Gymnastiklehrer war Johann Christoph Friedrich GutsMuths, der in Schnepfenthal den ersten Sportplatz in Deutschland einrichtete und als Urheber all der Barren, Pferde und Recks gilt, die Generationen von Schülern den Sportunterricht zur Qual machen sollten. GutsMuths erlernte bei Wolf das Schwimmen und kam fortan nicht mehr los davon. Er ließ seine Schüler im Dorfteich um die Wette schwimmen und schrieb ein „Kleines Lehrbuch der Schwimmkunst“, das 1798 erschien. Die Zeit war reif dafür.

Doch die Halloren und GutsMuths hätten nicht ausgereicht, um den Deutschen das Meer nahezubringen. Ein Aufklärer vom Schlage eines Georg Christoph Lichtenberg musste her. Der hatte 1775 während seiner zweiten Englandreise im Seebad Margate die „gesündesten Tage“ seines Lebens verbracht. Sein Mittel: Jeden Morgen pflegte er im Meer zu baden. Akribisch beschrieb er den Badekarren, den die Engländer „a machine“ nannten: „Man besteigt ein zweirädriges Fuhrwerk, einen Karren, der ein von Brettern zusammengeschlagenes Häuschen trägt, das zu beiden Seiten mit Bänken versehen ist.“ Während der Kutscher das Fuhrwerk ins Wasser lenkt, entkleiden sich die Badegäste. An die hintere Tür des Karrens ist „eine Art von Zelt befestigt, das wie ein Reifrock aufgezogen und herabgelassen werden kann“. An Ort und Stelle läßt der Kutscher das Zelt herunter. „Wenn also der ausgekleidete Badegast alsdann die hintere Tür öffnet, so findet er ein sehr schönes, dichtes leinenes Zelt, dessen Boden die See ist, in welche die Treppe führt.“ Ein Seil in den Händen, steigen die Badenden ins Wasser. „Wer untertauchen will, hält den Strick fest und fällt auf ein Knie, wie die Soldaten beim Feuern im ersten Gliede, steigt alsdann wieder herauf, kleidet sich bei der Rückreise wieder an und so weiter.“

Kaum war man im Wasser, ging es auch schon zurück – als ob es Lichtenberg im wogenden Meer doch etwas unheimlich gewesen wäre. Dem Aufklärer war vor allem das Medizinische wichtig, wie er ironisch schrieb: „Es gehört für den Arzt zu bestimmen, wie lange man diesem Vergnügen (denn dieses ist es in sehr hohem Grade) nachhängen darf. Nach meinem Gefühl war es vollkommen hinreichend, drei- bis viermal kurz hintereinander im ersten Gliede zu feuern und dann auf die Rückreise zu denken.“ Die Zeilen verraten es: Lichtenberg konnte nicht schwimmen. Aber wer weiß, wäre er einem Halloren zwischen die Finger geraten, hätte er vielleicht nie eine Zeile über Margate geschrieben.

Lichtenberg veröffentlichte seine Badeerlebnisse 1793 in dem Beitrag „Warum hat Deutschland noch kein großes öffentliches Seebad?“, der wie eine Initialzündung wirkte. Begeistert trug der Rostocker Arzt Samuel Gottlieb Vogel seinem Landesherrn, Friedrich Franz I., Herzog von Mecklenburg-Schwerin, die neue Idee vor. Seine Hoheit war angetan und verfügte am 9. September 1793, am „heiligen Damm bey Dobberan“ ein Seebad einzurichten. Eine Anekdote will, dass eine Gruppe hochgestellter Persönlichkeiten noch in jenem Jahr mit eindeutiger Absicht von Doberan zum heiligen Damm aufbrach: Geheimrat von Flotow musste vorbaden, dann schritt auch der Herzog in die See. Sein Gefolge rückte nach, was blieb ihm auch anderes übrig.


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mare No. 8

No. 8Juni / Juli 1998

Von Henning Sietz

Henning Sietz (1953) studierte Germanistik und arbeitet als freier Journalist in Hamburg. Über Ostsee und Nordsee hat er mehrere Reiseführer veröffentlicht.

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Vita Henning Sietz (1953) studierte Germanistik und arbeitet als freier Journalist in Hamburg. Über Ostsee und Nordsee hat er mehrere Reiseführer veröffentlicht.
Person Von Henning Sietz
Vita Henning Sietz (1953) studierte Germanistik und arbeitet als freier Journalist in Hamburg. Über Ostsee und Nordsee hat er mehrere Reiseführer veröffentlicht.
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