Netzwerker

Hamburgs Hafencity ist die bevorzugte Wohnlage für die Brückenspinne Larinioides sclopetarius. Die übrigen Residenten des neuen Nobel­viertels sind darüber nicht eben erfreut

Es gibt ein Prinzip, nach dem jeder Horrorfilm funktioniert. Ein sorgloser junger Mensch verlässt morgens das Haus, nichts Böses ahnend. Die Kamera hält auf ein kleines Detail, von dem nur der Zuschauer Notiz nimmt - und von dem er nun weiß, dass der sorglose junge Mensch bald sterben wird. Er wird das erste Opfer sein. Sieht man etwa eine kleine Spinne durch das Bild krabbeln, weiß man, dass in den folgenden 90 Minuten sehr viele Menschen an den Bissen außer Kontrolle geratener, riesiger Horrorspinnen zugrunde gehen werden.

So ist es auch im Genreklassiker „Arachnophobia", der in den Neunzigern in die Kinos kam. Eine Spinne klettert im Dschungel in den Rucksack eines Fotografen. Und es ist völlig klar, dass dieses Tier zu einem Massenmörder werden wird. So kommt es dann auch. Die Spinne reist nach Amerika und terrorisiert dort eine Kleinstadt. Sie stellt sich als eine Art Leitspinne heraus, die im Film „der General" genannt wird. Sie stellt ein Heer von bitterbösen Spinnensoldaten auf, die den Untergang der Zivilisation herbeiführen wollen.

Ich erwähne das nur, weil ich selbst vor einigen Jahren meine damalige Wohnung am Hamburger Hafen verließ, an einem sorglosen Tag. Und mein Auge fiel auf eine Spinne, die in einem Netz direkt über meiner Haustür hing. Und dann war dort noch eine. Und noch eine. Für mich war das ein sicherer Hinweis, dass ich Hamburg schnell verlassen sollte, bevor es zu spät sein würde. Und nun nehme ich mit leichtem Grausen wahr, wie es in Hamburg weitergegangen ist. Die Spinnen sind nämlich mittlerweile überall. Sie sind vor allem in der wunderschönen neuen Hafencity, dem Vorzeigestadtteil im Hafengebiet, wo sie die glatt geputzten Fassaden mit ihren Netzen bedecken. Es sind Millionen. Es werden im Sommer 100 Tiere auf einem Quadratmeter gezählt. In Netzen, die bis zu 40 Zentimeter Durchmesser haben. Sogar das Problem des Spinnenkots ist in Hamburg schon besprochen worden. Überall schwarze Punkte mit weißem Rand auf den edlen Verglasungen - schlimmer, als man es von Tauben kennt.

Wissenschaftler der Universität Hamburg wurden sogar beauftragt, der Spinnenplage auf den Grund zu gehen und herauszufinden, wie man ihr begegnen kann. Die Investoren sind nämlich der Meinung, dass Hafencity und Spinnen nicht gut zueinanderpassen. Wenn man sein Loft nicht mehr verlassen kann, ohne sich eine soeben von der Fassade gefallene Spinne aus dem Nacken zu fischen, leidet der urbane Charme.

In Brückenspinnenkreisen gilt die Hafencity dagegen als architektonisch äußerst gelungen. Diese Spinne ist ein kleines Tierchen von höchstes 13 Millimeter Körperlänge, von dem man nicht sehr viel weiß. Sie mag es, ihr Netz in der Nähe von Gewässern aufzubauen und auch gerne bei künstlichen Lichtquellen, weil die wiederum gerne von Insekten besucht werden. Deshalb hat die Brückenspinne in Hafengegenden ein gutes Auskommen. Und ein lichtquellenreiches Refugium wie die Hafencity ist für sie das Paradies.

Das Besondere an der Larinioides sclopetarius ist, dass sie nicht über Artgenossen herfällt. Die Spinnen können friedlich zu Tausenden in Kolonien leben. In Horrorfilmen heißt es nie etwas Gutes, wenn Tiere einander nicht feindlich gesinnt sind. Denn dann verbünden sie sich geradewegs gegen den Menschen. Warum sie das tun? Weil Gegenden wie die Hafencity einfach für Spinnen vorgesehen sind, nicht für uns Menschen.

Ich kann jedem, den das beschäftigt, eine Reise empfehlen, wie ich sie getätigt habe, nämlich in das südliche Italien. Dort hatte ich ein Häuschen an einem See gemietet. Es war ein altes Bootshaus. Vom Bett konnte ich die Fische springen hören. Das Haus stand dort allein. Der nächste Ort hieß Monte San Biagio. Und wie man ahnen kann, lag er auf einem Berg. Um dort hinzukommen, musste man sich Serpentinen hochquälen. Warum, dachte ich, machen sich die Menschen die Mühe, Häuser auf Berge zu bauen, wenn es am Wasser doch so schön ist?


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mare No. 80

No. 80Juni / Juli 2010

Von Tillmann Prüfer

Tillmann Prüfer, Jahrgang 1974, ist Redakteur beim Zeit-Magazin in Berlin. Er kann Spinnen nicht ausstehen, seit er im Alter von vier Jahren im Fernsehen die Spinne Thekla bei Biene Maja sah. Die wollte immer Majas Freund Willi fressen.

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Vita Tillmann Prüfer, Jahrgang 1974, ist Redakteur beim Zeit-Magazin in Berlin. Er kann Spinnen nicht ausstehen, seit er im Alter von vier Jahren im Fernsehen die Spinne Thekla bei Biene Maja sah. Die wollte immer Majas Freund Willi fressen.
Person Von Tillmann Prüfer
Vita Tillmann Prüfer, Jahrgang 1974, ist Redakteur beim Zeit-Magazin in Berlin. Er kann Spinnen nicht ausstehen, seit er im Alter von vier Jahren im Fernsehen die Spinne Thekla bei Biene Maja sah. Die wollte immer Majas Freund Willi fressen.
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