Nathan der Weise

Vom Kampfpilot zum Friedensengel: Abie Nathan funkte mit seinem Sender Voice of Peace für Versöhnung im Nahen Osten

Weiß der Himmel, wie dieser Haufen Idealisten es über den Atlantik schafft. Der Steuermann der MV „Peace“ hat zuvor in einem Plattenladen gejobbt und nie eine seemännische Prüfung gemacht. Die meiste Zeit liegt er ohnehin seekrank in der Koje. Als sie am 16. März 1973 den Hafen von New York verlassen, gerät die Mannschaft in einen Sturm. Die elf Windstärken bringen das mehr als 30 Jahre alte Schiff fast zum Kentern. Keiner von ihnen hatte die langfris­tige Wettervorhersage gehört. Notdürftig dichten sie ein Leck in der Bordwand ab. Vor der spanischen Küste dann schippern sie versehentlich General Francos Privatyacht hinterher. Das Militär in Málaga empfängt sie mit Maschinengewehren.

Verdächtig genug sehen sie ja aus. Das weiß gestrichene Boot trägt längsseits die Aufschrift „Make love not war“. Zur Crew gehören langhaarige junge Kerle, die als DJs bei The Voice of Peace angeheuert haben, einem Piratensender, der bald im Mittelmeer vor Tel Aviv auf Sendung gehen soll. Von dort aus wollen sie in internationalem Gewässer moderne Musik in den Nahen Osten schicken, von den Beatles, Bee Gees, The Who – und Botschaften der Versöhnung. Mit einem Ankerplatz gut drei Seemeilen vor der Küste sind sie weit genug von israelischem Territorium und dessen Gesetzen entfernt. Aber nah genug, dass die Israelis und die Menschen in den arabischen Nachbarländern sie hören können.

Der Mann, der das Radioschiff von der Werft in New York losgeschickt hat, heißt Abie Nathan. Eigentlich Abraham, wie der Stammvater der Juden, Christen und Muslime. Der Name passt zu einem, der nach einem Intermezzo als Kampfpilot sein Leben einem einzigen Ziel widmet: zwischen Juden und Arabern Frieden zu stiften.

Geboren wurde er am 29. April 1927 als Kind wohlhabender jüdischer Eltern im Iran, kurz danach zog die Familie nach Bombay. Ehrgeizig, aber mit Flausen im Kopf, so beschreibt er sich selbst in seiner Autobiografie. Mit 14 gewinnt er einen Debattierwettbewerb, später organisiert er einen Schülerstreik, weil der Englischlehrer antisemitische Bemerkungen macht. Die muslimischen Nachbarn aber seien immer freundlich gewesen, sagt Abie Nathan in einer seiner Sendungen. Wenn er vor dem Mikrofon sitzt, erzählt er auch immer wieder über sich und davon, was ihn antreibt. Als Kind habe er einmal in einer heißen, schlaflosen Sommernacht auf dem Dach ihres Hauses gelegen. Der Vater kam dazu und sagte: „Weißt du, Sohn, wenn du den Mond erreichen willst, dann greif nach den Sternen.“

Und so hält Abie Nathan es sein Leben lang. Mit 16 macht er eine Ausbildung zum Piloten bei der Royal Air Force, indem er behauptet, schon 18 zu sein. Kurz nach der Gründung Israels 1948 meldet er sich – naiv und mit falschen Vorstellungen, wie er später sagt – als Kampfpilot, um beim Aufbau des neu gegründeten Staates zu helfen.

Doch als er einmal durch ein Dorf läuft, über dem er zwei Tage zuvor eine Bombe abgeworfen hat, ist er schockiert. Kurz darauf wechselt er zur zivilen Luftfahrt. Und weil Routine ihn langweilt, kündigt er nach ein paar Jahren und eröffnet mit anderen Piloten 1958 das erste Hamburgerrestaurant Tel Avivs. Das „California“ wird zum Szenetreff der israelischen Boheme. Bis spät in die Nacht diskutieren sie hier über Politik.

Themen gibt es ja genug in diesem Staat, dessen Existenzrecht die Regierungen der arabischen Nachbarländer bestreiten, allen voran Ägypten. Dessen Präsident Gamal Abdel Nasser ist ­ es, der in den 1960ern die Gründung der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) vorantreibt. Als Nathan sich eines Abends in eine Debatte unter seinen Gästen einmischt – man müsse auf eigene Faust nach Ägypten fliegen, um Frieden zu schaffen –, sagen die anderen: Bleib bei deinen Hamburgern. Aber wer den Mond erreichen will, muss nach den Sternen greifen. Und Fliegen kann er ja schon. Also fliegt er: rund 250 Kilometer von Tel Aviv nach Port Said im Feindesland, mit einem ­alten Doppeldecker. Alle erwarten, dass er vom ägyptischen Militär abgeschossen wird. Doch die Behördenmitarbeiter in Port Said bringen ihm sogar Kaffee, Essen und zwei Heizlüfter zum Aufwärmen, erzählt er später bei einem Vortrag an der University of California. Dann wird er, ohne dass das erhoffte Treffen mit Nasser stattfindet, zurückgeschickt. Hunderte Menschen empfangen ihn begeistert am Flughafen, sie tragen ihn auf ihren Schultern. 


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mare No. 123

No. 123August / September 2017

Von Silvia Tyburski

Silvia Tyburski, Jahrgang 1976, Journalistin in Hamburg, entdeckte während der Recherche den Text „Desiderata“ von Max Ehrmann, den Abie Nathan im Radio vorlas. Der Satz daraus „Höre anderen zu, auch den Langweiligen und Unwissenden, denn auch sie haben etwas zu sagen“, findet sie, ist ein gutes Motto für ihre Zunft.

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Vita Silvia Tyburski, Jahrgang 1976, Journalistin in Hamburg, entdeckte während der Recherche den Text „Desiderata“ von Max Ehrmann, den Abie Nathan im Radio vorlas. Der Satz daraus „Höre anderen zu, auch den Langweiligen und Unwissenden, denn auch sie haben etwas zu sagen“, findet sie, ist ein gutes Motto für ihre Zunft.
Person Von Silvia Tyburski
Vita Silvia Tyburski, Jahrgang 1976, Journalistin in Hamburg, entdeckte während der Recherche den Text „Desiderata“ von Max Ehrmann, den Abie Nathan im Radio vorlas. Der Satz daraus „Höre anderen zu, auch den Langweiligen und Unwissenden, denn auch sie haben etwas zu sagen“, findet sie, ist ein gutes Motto für ihre Zunft.
Person Von Silvia Tyburski